„Arm ist nicht sexy“

Nach dem Wir­bel um die zurück­ge­hal­te­ne Stu­die zum Stand des Auf­baus Ost hat eine brei­te Debat­te über künf­ti­ge Stra­te­gien begon­nen. For­scher for­dern nach dem Aus­lau­fen des Soli­dar­pakts II im Jahr 2019 eine Abkehr von spe­zi­el­len Ost­pro­gram­men und statt­des­sen eine gesamt­deut­sche Per­spek­ti­ve oder gar ein Ende von Trans­fers in den Osten. „Durch För­de­rung lässt sich die Ent­wick­lungs­schwä­che des Ostens nicht behe­ben“, meint etwa Hans-Wer­ner Sinn, der Prä­si­dent des Münch­ner Ifo-Insti­tuts. Auch der Län­der­fi­nanz­aus­gleich müs­se neu gere­gelt wer­den, regen Wis­sen­schaft­ler an. Ent­täu­schend sei die bis­lang gerin­ge wirt­schaft­li­che Strahl­kraft Ber­lins über das direk­te Umland hinaus.

Der Beauf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung für die neu­en Län­der, Chris­toph Berg­ner (CDU), will nun eben­falls den Auf­bau Ost in eine gesamt­deut­sche Per­spek­ti­ve stel­len. Zwar sei die Klein­tei­lig­keit der Wirt­schaft in den Ost­län­dern und ihre For­schungs- und Ent­wick­lungs­schwä­che ein spe­zi­el­les Pro­blem, das es in die­sem Aus­maß im Wes­ten nicht gebe, sagt Berg­ner. Auch er tritt nun aber für „gesamt­deut­sche För­der­pro­jek­te“ ein. Sie sol­len aber die „ost­deut­schen Pro­ble­me berück­sich­ti­gen, etwa bei der Fort­schrei­bung des Hoch­schul­pakts, der Gestal­tung der Inno­va­ti­ons­pro­gram­me und bei den For­schungs­ein­rich­tun­gen in den neu­en Bun­des­län­dern“. Die dor­ti­ge Wirt­schaft müs­se eige­ne „Tech­no­lo­gie­pfa­de“ erschlie­ßen, die sich „regio­nal in Gewin­nen und Steu­ern nie­der­schla­gen“. Ein Bei­spiel sei die 2011 vom Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um ins Leben geru­fe­ne Clean­tech-Initia­ti­ve für ener­gie- und res­sour­cen­ef­fi­zi­en­te Pro­duk­ti­ons­tech­ni­ken. Zudem sei eine moder­ne Braun­koh­le­för­de­rung nötig.

Lang­fris­ti­gen Flur­schä­den des Sozialismus

Gro­ße sozia­le, wirt­schaft­li­che und demo­gra­phi­sche Unter­schie­de sei­en aber kein rein ost­deut­sches Phä­no­men, gibt Berg­ner zu. Auch im Wes­ten gebe es Gefäl­le. „Die Unter­schie­de in der Wirt­schafts­leis­tung zwi­schen Hes­sen und Schles­wig-Hol­stein sind grö­ßer als zwi­schen dem Durch­schnitt West und dem Durch­schnitt Ost“, sagt er. Anfang ver­gan­ge­ner Woche war Berg­ner unter Druck gera­ten, weil er ein Gut­ach­ten zurück­ge­hal­ten hat­te, das sich kri­tisch mit den wirt­schaft­li­chen Per­spek­ti­ven der neu­en Län­der aus­ein­an­der­setzt. Mitt­ler­wei­le ist sie vom Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um ins Netz gestellt worden.

Beson­de­ren Nach­hol­be­darf sieht Berg­ner in den ost­deut­schen Städ­ten. Dres­den oder Jena hät­ten sich zwar sehr gut ent­wi­ckelt. Aber im Durch­schnitt „errei­chen grö­ße­re ost­deut­sche Städ­te – das dürf­te eini­ger­ma­ßen über­ra­schen – nur 63 Pro­zent der Wirt­schafts­leis­tung ihrer west­deut­schen Ver­gleichs­part­ner, wäh­rend das länd­li­che Umland der Städ­te mitt­ler­wei­le auf 84 Pro­zent des Niveaus ver­gleich­ba­rer West­re­gio­nen kommt, länd­li­che Gebie­te jen­seits der Ker­ne immer­hin auf 73 Pro­zent“. Die wirt­schaft­li­che Schwä­che liegt nach Ansicht Berg­ners dar­in begrün­det, dass gro­ße, bör­sen­no­tier­te Unter­neh­men mit gut­be­zahl­ten Stel­len fehl­ten. Dies schla­ge sich im Steu­er­auf­kom­men nieder.

Der frü­he­re Prä­si­dent des Insti­tuts für Wirt­schafts­for­schung Hal­le, Ulrich Blum, sieht in den Ost­städ­ten eben­falls Defi­zi­te. „Es feh­len Kon­zern­zen­tra­len, denn an deren Sitz fal­len bis zu 30 Pro­zent der Wert­schöp­fung an. Aus dem H‑Dax, der 110 Unter­neh­men umfasst, müss­ten rein sta­tis­tisch 25 Fir­men in den neu­en Län­dern lie­gen, es sind aber nur vier. Aus dem Dax 30 haben wir kei­ne ein­zi­ge.“ Das hat his­to­ri­sche Grün­de, sagt Karl-Heinz Paqué, Volks­wirt­schaft­ler an der Uni Mag­de­burg und ehe­ma­li­ger Finanz­mi­nis­ter von Sach­sen-Anhalt. „Unter­neh­men, die nach dem Krieg mit ihren Zen­tra­len aus Ber­lin, Leip­zig oder Chem­nitz nach Mün­chen, Frank­furt oder Ingol­stadt gin­gen, über­le­gen es sich nun aus gutem Grund nicht wie­der anders.“ Dies sei einer der lang­fris­ti­gen „Flur­schä­den des Sozialismus“.

„Trans­fers unter­mi­nie­ren die Exportkraft“

Bis­lang ist es kaum gelun­gen, for­schungs- und ent­wick­lungs­star­ke Unter­neh­men in den neu­en Län­dern anzu­sie­deln. Statt­des­sen domi­nier­ten „ver­län­ger­te Werk­bän­ke“, die nach Blum künf­tig nicht mehr geför­dert wer­den soll­ten. Er ver­weist auf die Solar­in­dus­trie, die – mit Hil­fe hoher För­der­sum­men in Ost­deutsch­land kon­zen­triert – seit län­ge­rem unter der Bil­lig­kon­kur­renz aus Fern­ost lei­det. „Wir soll­ten bes­ser die Tech­nik zum Bau von Solar­fa­bri­ken ver­kau­fen statt Solar­pa­nele“, mahnt Blum.

In Zei­ten lee­rer öffent­li­cher Kas­sen gewinnt die Debat­te um die Ost­för­de­rung schon jetzt neue Dyna­mik. Eine drit­te Auf­la­ge des Soli­dar­pakts ist bis­lang nicht vor­ge­se­hen. Ifo-Prä­si­dent Sinn warnt vor einer wei­te­ren Ost­för­de­rung nach Aus­lau­fen des Soli­dar­pakts: „Je mehr Hilfs­gel­der dau­er­haft in eine Regi­on flie­ßen, um die Impor­te die­ser Regi­on zu bezah­len, des­to unwich­ti­ger wird es für die­se Regi­on, sich die Mit­tel für die Impor­te durch Expor­te vor­her selbst zu ver­die­nen“, sagt er. „Trans­fers stüt­zen den Lebens­stan­dard und unter­mi­nie­ren genau des­halb die Export­kraft.“ Paqué will spä­tes­tens 2019 „auch den der­zei­ti­gen Län­der­fi­nanz­aus­gleich auf den Prüf­stand“ stel­len. Die Fra­ge der „Gleich­wer­tig­keit der Lebens­ver­hält­nis­se“ müs­se „ernst­haft dis­ku­tiert“ wer­den, for­dert er.

Der Ost­be­auf­trag­te Berg­ner zeigt sich ent­täuscht über die gerin­ge Aus­strah­lungs­kraft Ber­lins über des­sen direk­tes Umland hin­aus: „Der flot­te Spruch von Klaus Wowe­reit, man sei ‚arm, aber sexy’, hät­te, wenn er ernst genom­men wer­den wür­de, unter ost­deut­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Empö­rung aus­lö­sen müs­sen“, kri­ti­sier­te Berg­ner, „denn er ist Aus­druck von Arbeits- und Ver­ant­wor­tungs­ver­wei­ge­rung gegen­über dem Auf­bau Ost.“ Öko­nom Blum sagt zur Schwä­che Ber­lins: „Die Stadt erhält pro Kopf das Fünf­fa­che an Finanz­aus­gleichs­mit­teln im Ver­gleich zu ost­deut­schen Flä­chen­staa­ten. In ähn­li­chen Grö­ßen­ord­nun­gen dürf­ten die Trans­fers aus der Ren­ten­ver­si­che­rung und ande­ren Sozi­al­ver­si­che­run­gen liegen.“

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