Dresden, 12. November 2013

Eine Freun­din aus Stu­di­en­zei­ten hat­te mich auf ihn auf­merk­sam gemacht. Nun ist er da, Alain Badiou, in Fleisch und Blut: der Althus­ser-Schü­ler und frü­he­re Mao­ist, der Phi­lo­soph und Roman­cier, zu Vor­trag und Dis­kus­si­on im Deut­schen Hygie­ne­mu­se­um. Und ich, ich sit­ze im Publi­kum. Badious Inter­es­se, hat­te mir die Freun­din noch vor­ab geschrie­ben, gel­te „neben for­mal­lo­gi­schen Arbei­ten“ dem „poli­ti­schen Sub­jekt nach dem Schei­tern des Mar­xis­mus“. Aha, dach­te ich. Das könn­te span­nend wer­den. Nach „dem neu­en Politischen/der neu­en Politik/der neu­en Phi­lo­so­phie“ suche er – und befas­se sich „neben­bei […] mit der Kri­se des Mar­xis­mus im Anschluss an den Tota­li­ta­ris­mus, da Staat und Poli­tik mit­ein­an­der iden­ti­fi­ziert schei­nen“. Soweit die Wor­te besag­ter Freun­din, die sich – anders als ich – mit Badiou schon inten­si­ver aus­ein­an­der­ge­setzt hat. Dann schwebt er her­ein, Badiou, der 76-Jäh­ri­ge. Mit schloh­wei­ßem Haar, in Hemd und Pull­over. Leger nimmt auf dem Podi­um Platz. Der alte Mann, 1937 im marok­ka­ni­schen Rabat gebo­ren, will über „Poe­sie und Gemein­sinn“ refe­rie­ren. Wer sich an Gro­ßes wagt, darf die gro­ßen Lini­en nicht aus den Augen ver­lie­ren. Badiou liebt sie – sagt zum Ein­stieg Sät­ze wie: „Im 20. Jahr­hun­dert sind vie­le Poe­ten Kom­mu­nis­ten gewe­sen.“ Ein Trau­er­flor scheint sie zu umge­ben, sei­ne Erin­ne­rung an Brecht zum Bei­spiel. Die­sem und ande­ren habe man ihre poli­ti­sche Ein­stel­lung als Fol­ge ideo­lo­gi­scher Ver­füh­rung aus­ge­legt, als Irr­glau­be gar. Das sei zu unrecht gesche­hen, meint Badiou, der zwi­schen Poe­sie und Kom­mu­nis­mus „eine inne­re Ver­bin­dung“ aus­macht. Denn: Ist es nicht der Poet, der sich dar­in ver­sucht, das Unaus­sprech­li­che zur Spra­che zu brin­gen? Natür­lich nicht, um es für sich zu behal­ten, son­dern: um sei­ne Emp­fin­dun­gen zu tei­len. Abs­trak­ter: Zur Poe­sie gehör­ten immer die Uto­pie und das Gemein­sa­me. Poe­sie, sagt Badiou, sei somit geleb­ter Kom­mu­nis­mus. Dar­um hält er es auch nicht für ver­wun­der­lich, dass sich so vie­le Poe­ten im Spa­ni­schen Bür­ger­krieg als Kom­mu­nis­ten begrif­fen. Ihre Erfah­rung als Poe­ten hät­ten sie dann auf die Poli­tik ange­wandt. Schließ­lich kommt Badiou zu sich selbst, schluss­fol­gert, was er seit Jah­ren schluss­fol­gert: Jeder Mensch, sagt er, sei grund­sätz­lich für Poe­sie emp­fäng­lich. Des­halb sei auch der Kom­mu­nis­mus – immer – mög­lich. Dem wie­der­um ent­ge­gen aber ste­he die erleb­te Wirk­lich­keit, das wirk­li­che Schei­tern des real­exis­tie­ren­den Kom­mu­nis­mus in der Sowjet­uni­on, auf Kuba, in Chi­na, wo auch immer. Als rea­le Mög­lich­keit sei er daher ad absur­dum geführt. Et voi­là: Da ist sie, die badiou­sche Para­do­xie. Mit der er sei­ne Leser und Zuhö­rer gern zurück­lässt. Oder? Nicht ganz: Im Anschluss an sei­nen Vor­trag schwang Badiou dann – er ist wirk­lich ein Schlitz­ohr – den Zei­ge­fin­ger empor. Warn­te und mahn­te: dass der, der jene Para­do­xie igno­rie­re, sich leicht zum Par­tei­gän­ger eines Staats­ab­so­lu­tis­mus mache – nicht also eines Kom­mu­nis­mus, wie er ihn ver­ste­he. Behut­sa­me sozi­al­po­li­ti­sche Ver­bes­se­run­gen hier, eine kari­ta­ti­ve Wohl­tat dort – das scheint er ihm heu­te zu sein: der Kommunismus.

Zu die­sem jedoch, wen­det ein kri­ti­scher Geist nach der Ver­an­stal­tung mir gegen­über ein, „zum Kom­mu­nis­mus gehört ja nicht nur ein Appell ans Gemein­sa­me“, denn – streng genom­men – appel­lie­re doch jede Ideo­lo­gie mehr oder min­der an alle. Zum Kom­mu­nis­ten, sagt die­ser, wird man doch nicht Kraft eige­nen Wil­lens. Die Revo­lu­ti­on wer­de doch viel­mehr durch bestimm­te Stru­ku­ren erzeugt. Da hat einer, dach­te ich, sei­nen Marx noch gele­sen. Er schob nach: Was Dich­ter däch­ten, spie­le kei­ne Rol­le. Badiou jeden­falls, soviel sei sicher, ist kein Kom­mu­nist. Was blei­be, von die­sem Abend, sei Gere­de – schö­nes zwar, aber eben doch nur: Gere­de. Besorgt sein, gab er sich eher belus­tigt als resi­gniert, müs­se nach die­sem Vor­trag nie­mand. Von hier, von heu­te, von Badiou gehe gewiss nicht die Welt­re­vo­lu­ti­on aus. Das Bür­ger­tum kön­ne ruhig schla­fen. Und ich? Ich ging ruhig schlafen.

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