Wien, 30. Juli 2014

In der Königsliga Wiener Kaffeehäuser: Café Hawelka in der Dorotheergasse. Foto: Michael Kunze.
In der Königs­klas­se Wie­ner Kaf­fee­häu­ser: Café Hawel­ka in der Doro­theer­gas­se. In Bron­ze wacht noch immer Leo­pold Hawel­ka (1911–2011), der lang­jäh­ri­ge Inha­ber, über die Geschäf­te. Foto: Micha­el Kunze.

Zu ihm kamen sie alle. Die Gäs­te­lis­te sei­nes Hau­ses liest sich wie das „Who is Who“ aus Kunst, Kul­tur und Fern­se­hen der letz­ten 60 Jah­re: Hun­dert­was­ser oder Sen­ta Ber­ger, Bran­dau­er oder Canet­ti, Hei­mi­to von Dode­rer oder Udo Jür­gens, Arthur Mil­ler oder Hans Moser, Peter Usti­nov oder Andy War­hol oder, oder, oder. Sie kamen über die Jah­re in sein Wie­ner Café, gaben sich bei Leo­pold Hawel­ka die Klin­ke in die Hand.

Nun sit­ze ich in jenem Haus an der Doro­theer­gas­se 6 auf einem Fens­ter­platz und bli­cke auf eine Bron­ze­büs­te mit sei­nen Zügen und eine wei­te­re mit denen sei­ner Frau. Gut gefüllt ist das Café bei hoch­som­mer­li­chen Tem­pe­ra­tu­ren. Tou­ris­ten wie Ein­hei­mi­sche ver­schlägt es noch immer zu der Tra­di­ti­ons­adres­se, obwohl das etwas spe­cki­ge Inte­ri­eur sein Alter kaum ver­ber­gen kann. Aber das muss wohl so sein, denn wer hat sie nicht über, die fein, bei­na­he kli­nisch her­aus­ge­putz­ten Bars und Cafés inter­na­tio­na­ler Ket­ten, die in den letz­ten Jah­ren über­all aus dem Boden schos­sen wie Pil­ze im Herbst nach einem Regenguss?

Inmit­ten der ursprüng­li­chen Wie­ner Kaf­fee­h­aus­wirk­lich­keit eilt nun der Kell­ner her­bei, ein jun­ger Mann Mit­te Drei­ßig. Und er spielt sei­ne Rol­le gut, gibt zum Ein­stand ein rup­pi­ges „Was wol­len Sie?“ zum bes­ten. Als ob mit dem Betre­ten eines Cafés die­se Fra­ge nicht von vorn­her­ein wenigs­tens inso­fern geklärt wäre, dass jeder Gast eine Spei­se­kar­te erwar­tet, aus der zu wäh­len ihm dann die Zeit ein­ge­räumt wird, die er benö­tigt. Doch hier ist es anders. Höf­lich noch sage ich, aber schon bestimmt: „Die Kar­te, bit­te.“ „Haben wir nicht“, ent­geg­net er, bei­na­he angriffs­lus­tig. „Was haben Sie denn dann?“, ent­fährt es mir. „Würs­tel und Süßig­kei­ten“, wirft er zurück. „Wel­che?“ „Ja, das sage ich Ihnen jetzt“, kon­tert er unver­se­hens und nennt Apfel­stru­del, Top­fen­stru­del, Sacher­tor­te … „Kann man das in der Vitri­ne sehen?“ „Nein!“ „Dann, ja, dann ein Stück Top­fen­stru­del, bit­te.“ Die Nase rümp­fend, ärge­re ich mich über die­se Dreis­tig­keit, ja: Frech­heit aus Kal­kül. In Deutsch­land, schon im Café neben­an, hät­te ich ihm das nicht durch­ge­hen las­sen. Wäre ohne ein Wort gegan­gen. Min­des­tens. Jeden­falls rede ich mir das ein.

Schon aber über­flie­ge ich bei Hawel­ka ein knap­pes Dut­zend inter­na­tio­na­ler Blät­ter, schaue von einem Tisch zum ande­ren, mus­te­re die Gäs­te, so wie sie es mit mir tun, den­ke an den Patri­ar­chen, der nun schon bald drei Jah­re tot ist und über den ich sei­ner­zeit einen Nach­ruf geschrie­ben hat­te. Trost­su­chend nach mei­nem Erleb­nis mit dem Kell­ner fal­len sie mir ein, die Wor­te Felix Czei­kes, dem „der gran­telnd-jovia­le ‚Herr Ober‘ “ als „die Haupt­at­trak­ti­on eines jeden ech­ten Kaf­fee­hau­ses“ galt, der einen mit sei­nem Schmäh nicht belei­di­ge, „son­dern adelt“. Der­art gestärkt, lässt sich man­ches ertra­gen. Selbst man­che Frech­heit. Den Rest besorgt die süße Krank­heit „Ges­tern“, die mich befällt wie die Gedan­ken an jene Schrift­stel­ler, spä­ter Maler und Phi­lo­so­phen, Schau­spie­ler und Musi­ker, die Hawel­ka über Jahr­zehn­te in sei­nem Café begrüß­te. Bald nach dem Krieg war es mehr als nur „eta­bliert“.

Zunächst aber muss­te Hawel­ka in den Krieg und das erst 1939 mit sei­ner Frau Jose­fi­ne über­nom­me­ne Café vor­über­ge­hend dicht­ma­chen. Einem Wun­der glich es, dass er es nach sei­ner Rück­kehr völ­lig unver­sehrt vor­fand. Schon im Herbst 1945 öff­ne­ten sich die Türen aber­mals. Und die Hawel­kas arbei­te­ten hart: Wäh­rend Jose­fi­ne den Kaf­fee am Holz­ofen brüh­te, sam­mel­te ihr Mann im Wald das nöti­ge Feu­er­holz. Kno­chen­ar­beit war das, von früh bis spät.

In der öster­rei­chi­schen Haupt­stadt, die es auf mehr als 1900 Cafés brin­gen soll, wur­de Hawel­ka zu einer Iko­ne. Das lag an sei­ner Art zu bedie­nen, an sei­nem bezau­bern­den Lächeln, wohl aber auch an einem Mar­ken­zei­chen: sei­ner hand­ge­bun­de­nen Flie­ge. Dass die Mehl­spei­sen her­vor­ra­gend sind, ver­steht sich von selbst. Dies gilt auch für den genann­ten Top­fen­stru­del, für die Kaf­fee­spe­zia­li­tä­ten sowieso.

Bis zuletzt blie­ben Hawel­ka und sei­ne Frau, die 2005 starb, an Bord. Tag­täg­lich 14 Stun­den. Nicht von unge­fähr füh­re Czei­ke zufol­ge ihr Lokal die Königs­li­ga der authen­ti­schen Kaf­fee­häu­ser an. Eini­ge von ihnen ken­ne ich in Wien aus eige­ner Anschau­ung: Tho­mas Bern­hards Bräu­ner­hof, gleich um die Ecke, das Cen­tral und das Demel, auch das neue Grien­st­eidl am Michae­ler­platz gegen­über der alten Hof­burg. Doch nicht nur das Per­so­nal ist es, durch das sich das Hawel­ka in die­ser Schar eine ganz eige­ne Iden­ti­tät bewahrt hat.

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