Dresden/Stollberg, 6. September 2015

Krie­gen die mich?“ Die­se Fra­ge geht mir seit heu­te Mit­tag nicht mehr aus dem Kopf, nach einer Pre­mie­re. Von Dres­den aus, kurz vor der Auto­bahn­auf­fahrt Alt­stadt, hat­te ich einen Tram­per mit­ge­nom­men – und fand mich ziem­lich mutig dabei. Lachen Sie nicht! „Man weiß ja nie, wer da ins Auto steigt“, damit konn­te ich 15 Auto­fah­rer-Jah­re lang jeden noch so sehn­suchts­vol­len Blick vom Stra­ßen­rand schnell wie­der ver­trei­ben. Heu­te war es anders. Fra­gen Sie nicht nach einer Erklä­rung! Ich habe kei­ne und ließ den jun­gen – wie sich schnell her­aus­stell­te – Gitar­ren­bau­er aus Pir­na mit sei­nem rie­si­gen Ruck­sack­berg ein­stei­gen. In Klin­gen­thal sei er aus­ge­bil­det wor­den und nun auf dem Weg in eine Har­fen­werk­statt. „Bei Tübin­gen.“ Dann war ich dran, erzähl­te mei­ne Geschich­te knapp, noch immer skep­tisch. Am „Auers­wal­der Blick“, nach einer Drei­vier­tel­stun­de Fahrt, woll­te der jun­ge Mann raus. „Auf Rast­stät­ten geht es am bes­ten wei­ter“, mein­te er weni­ge Kilo­me­ter vor mei­nem Fahrt­ziel und begrün­de­te das sei­ne: Wie­der­holt habe er bis­lang fes­te Stel­len abge­lehnt, schaue daher mal da, dann hier, schließ­lich dort nach einer beruf­li­chen Per­spek­ti­ve. Denn sämt­li­chen gefehlt habe, wonach er suche: die Mög­lich­keit zu Hand­ar­beit durch und durch, Selbst­be­stim­mung über das eige­ne Tun, Kon­trol­le. Was ich mache – Ange­stell­ten­da­sein, von Zeit zu Zeit Sonn­tags- und Fei­er­tags­ar­beit, wie sich das im Jour­na­lis­mus schwer nur ver­mei­den lässt -, sag­te er vol­ler Ver­ständ­nis, doch mit kla­rer Ableh­nung, das sei nichts für ihn. Wenn er nicht zu wesent­lich von ihm bestimm­ten Kon­di­tio­nen arbei­ten kön­ne, las­se er es. Zie­he in eine Kom­mu­ne. Schrau­be sei­nen Lebens­stan­dard her­un­ter. „Unter kommt man immer, not­falls im Wald.“ „Ernst­haft?“, frag­te ich. „Ja, ja!“ Dann lebe er von Wild­kräu­tern, da ken­ne er sich aus, und dem, was sich dort sonst noch so fin­de. „Ich brau­che nur Was­ser“, sag­te der Hand­wer­ker. „Jeden­falls kommt für mich ein von der Schu­le bis zur Ren­te durch­ge­tak­te­tes, fremd­be­stimm­tes Leben nicht infra­ge. Die krie­gen mich nicht“, ergänz­te der etwa Zwan­zig­jäh­ri­ge freund­lich lächelnd – und stieg aus. Wumms! Zu die Tür; und ich war mit mei­nen Gedan­ken allein. Ist das naiv oder ist das naiv – oder ist das …?

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2 Gedanken zu „Dresden/Stollberg, 6. September 2015

  1. Nun möch­te ich doch sehr stark bezwei­feln, dass Getrie­ben­sein, Rast­lo­sig­keit und Unge­bun­den­heit beson­ders erstre­bens­wer­te For­men von Frei­heit sind. Von den Sach­zwän­gen, die einem das Leben im Wald auf­er­legt mal ganz abgesehen.

    1. Ihre Zwei­fel – unbe­nom­men! Von Getrie­ben­sein oder Rast­lo­sig­keit hat der jun­ge Mann aber weder etwas gesagt noch ich geschrie­ben. In Sachen Unge­bun­den­heit kommt es dar­auf an, auf was sie sich bezieht. Damit Sie mich aber nicht falsch ver­ste­hen, Herr Kamm­na­gel: Ich recht­fer­ti­ge hier nie­man­den, son­dern prä­zi­sie­re, was ich geschrie­ben habe. Das Leben „im Wald“ hat­te er auf Not­fäl­le bezo­gen. Wie vie­le Men­schen im 21. Jahr­hun­dert wären wohl in Deutsch­land noch von heu­te auf mor­gen in der Lage, „in frei­er Wild­bahn“ zu über­le­ben? Jen­seits des Flie­gen­pil­zes kann doch kaum noch wer einen ess­ba­ren von einem gif­ti­gen unter­schei­den – als Bei­spiel. So habe ich den jun­gen Herrn ver­stan­den – im Übri­gen durch­aus auch so, dass er eine Fest­an­stel­lung sucht, nur eben kei­ne belie­bi­ge. Und, dass er wil­lens und in der Lage sei, auf das Pas­sen­de zu war­ten – ohne „irgend­wem auf der Tasche zu liegen“. 

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