Luthers Retter buhlte um Chemnitzer Klosterpfründe

Bis 1540/41 eine wohlhabende Benediktinerabtei, von der aus im 12. Jahrhundert Chemnitz gegründet wurde, heute ein Museum für gotische Kunst. Foto: Michael Kunze
Bis 1540/41 eine wohl­ha­ben­de Bene­dik­ti­ner­ab­tei, von der aus im 12. Jahr­hun­dert Chem­nitz gegrün­det wur­de: Auf dem heu­ti­gen Schloß­berg ist ein Muse­um für goti­sche Kunst in der frü­he­ren Klau­sur unter­ge­bracht, dahin­ter die evan­ge­li­sche Pfarr- und eins­ti­ge Klos­ter­kir­che. Foto: Micha­el Kunze

Ohne die Bene­dik­ti­ner, die sich vor 874 Jah­ren auf dem heu­ti­gen Schloß­berg nie­der­lie­ßen, wäre die süd­west­säch­si­sche Stadt damals nicht ent­stan­den. Eine Tagung wid­me­te sich nun der Abtei, um mehr als 400 Jah­re vor­re­for­ma­to­ri­scher His­to­rie zu wür­di­gen. Dabei sorg­te ein Wis­sen­schaft­ler aus­ge­rech­net für einen klei­nen Pau­ken­schlag der Reformationsgeschichtsschreibung.

CHEMNITZ. Was der Sprach- und Lite­ra­tur­his­to­ri­ker Chris­toph Fas­ben­der (TU Chem­nitz) am Wochen­en­de bei einer wis­sen­schaft­li­chen Tagung über das ehe­ma­li­ge Bene­dik­ti­ner­klos­ter im Chem­nit­zer Schloß­berg­mu­se­um prä­sen­tier­te, ist ein klei­ner Pau­ken­schlag der Refor­ma­ti­ons­ge­schichts­schrei­bung. Im Zen­trum steht dabei eine von der For­schung bis­lang offen­kun­dig nicht beach­te­te, durch Fas­ben­der im Staats­ar­chiv Wei­mar aus­ge­gra­be­ne Lis­te, auf der der Name „Georg Spa­la­tin“ auf­taucht. Der war kein Gerin­ge­rer als der Beicht­va­ter Fried­richs des Wei­sen, ein ent­schie­de­ner För­de­rer Luthers am kur­fürst­lich-säch­si­schen Hof und for­mu­lier­te 1530 mit Phil­ipp Melan­chthon beim Augs­bur­ger Reichs­tag die „Con­fes­sio Augusta­na“, das Bekennt­nis der luthe­ri­schen Reichs­stän­de. Spa­la­tin war es auch, der 1521 die Ret­tung des auf­müp­fi­gen Mön­ches vor den Häschern des Kai­sers auf die Wart­burg orga­ni­sier­te. Ohne Luthers Freund wäre die Refor­ma­ti­on wohl anders verlaufen.

Die für ihre Zeit an sich nicht unge­wöhn­li­che Lis­te aus dem Jahr 1520 ent­hält Namen von Wür­den­trä­gern, die nach der Wahl des Habs­bur­gers Karl V. zum Kai­ser sofort für ihre Unter­stüt­zung belohnt wer­den soll­ten. Auf dem Schrift­stück, das Spa­la­tin im Auf­trag des Kur­fürs­ten erstell­te, taucht aber auch sein eige­ner Name auf. Noch drei Jah­re, nach­dem Luther sei­ne 95 The­sen wider den Ablass­han­del ver­öf­fent­licht hat­te, bringt Spa­la­tin sich als Abt des Bene­dik­ti­ner­klos­ters Chem­nitz ins Spiel.

Abtei muss nach innen und außen in gutem Zustand gewe­sen sein

Für Fas­ben­der ist dar­an zwei­er­lei bemer­kens­wert: Einer­seits zeu­ge Spa­la­tins Namens­nen­nung davon, dass das Chem­nit­zer, dem Hir­sau­er Ordo fol­gen­de Klos­ter auch zu die­sem Zeit­punkt nach innen und außen in sehr ordent­li­chem Zustand gewe­sen sein muss – dabei hat­te es wie­der­holt exter­ne Reform­be­stre­bun­gen abge­lehnt. Wäre es um Chem­nitz schlecht bestellt gewe­sen, hät­te es ein der­art enger und hoher Mit­ar­bei­ter des Fürs­ten nicht ins Auge gefasst. In der Mark Mei­ßen galt die Bene­dik­ti­ner­ab­tei mit Besit­zun­gen bis ins Böh­mi­sche als die zweit­reichs­te nach Alt­zel­la. Zum ande­ren sieht der His­to­ri­ker und Ger­ma­nist in der Namens­nen­nung einen Beleg, dass Spa­la­tin in direk­tem Gegen­satz zur von refor­ma­to­ri­scher Sei­te wort­ge­wal­tig ver­tre­te­nen Kri­tik am „alt­kirch­li­chen“ Pfrün­de­we­sen han­del­te. Zudem muss­te es aus­ge­rech­net ein Klos­ter sein. Dabei streb­te sein Freund Luther bereits früh deren Auf­lö­sung wegen angeb­lich flä­chen­de­ckend ana­chro­nis­ti­scher Zustän­de an. Spa­la­tin erscheint so dem „nach wie vor durch und durch ver­haf­tet“, was die Refor­ma­ti­on bekämpf­te, sag­te Fasbender.

Die Lis­te, die bei­na­he den Schluss­punkt der Geschich­te des Chem­nit­zer Bene­dik­ti­ner­klos­ters dar­stellt, das 1540/41 im Zuge der Refor­ma­ti­on auf­ge­löst und spä­ter in ein kur­fürst­li­ches Schloss, zeit­wei­se auch ein Salz- und Bier­la­ger umge­wan­delt wur­de, bestä­tigt indes, posi­tiv gewandt, den kultur‑, bau- und ent­wick­lungs­ge­schicht­li­chen Bei­trag, den die Bene­dik­ti­ner mit ihrer 1136 durch Kai­ser Lothar III. gegrün­de­ten Abtei mehr als 400 Jah­re lang im Chem­nitz­tal und noch im 16. Jahr­hun­dert leis­te­ten. Ohne sie wäre die Stadt wohl nicht, jeden­falls nicht so früh, in einem damals fast aus­schließ­lich von Sla­wen besie­del­ten Ter­rain entstanden.

Letz­te Bene­dik­tin­er­neu­grün­dung in Mitteldeutschland

Dass die Erst­erwäh­nung von Chem­nitz ins Jahr 1143 fällt, wor­auf auch das Jubi­lä­um im kom­men­den Jahr abzielt, hängt damit zusam­men, dass vom Grün­dungs­akt kein Schrift­stück über­lie­fert ist, sag­te Uwe Fied­ler. Der Lei­ter des her­vor­ra­gend sanier­ten Schloß­berg­mu­se­ums mit rei­chen Schät­zen goti­scher Bild- und Schnitz­kunst (etwa von Peter Breu­er) aus ganz Sach­sen, des­sen Haus in den erhal­te­nen Tei­len der frü­he­ren Klau­sur unter­ge­bracht ist, ver­wies statt­des­sen auf eine Urkun­de des Stau­fers Kon­rad III. Sie­ben Jah­re nach der Grün­dung aus­ge­fer­tigt, belegt sie die Rech­te des Klos­ters, das laut dem Leip­zi­ger His­to­ri­ker Enno Bünz die damals öst­lichs­te und in Mit­tel­deutsch­land letz­te der Bene­dik­ti­ner war. Besie­delt wur­de sie wohl vom 1091 errich­te­ten Klos­ter Pegau und erlang­te durch Betei­li­gun­gen am erz­ge­bir­gi­schen Sil­ber­berg­bau beträcht­li­chen Wohl­stand. Auch Besitz und Pri­vi­le­gi­en, der Schutz des Rei­ches, den es als Kai­ser­grün­dung genoss, und das Markt­recht, aus dem die Ent­ste­hung der Sied­lung Chem­nitz folg­te, wur­den durch Kon­rad ver­brieft. Wel­che Rol­le das eins­ti­ge Klos­ter, des­sen reichs­un­mit­tel­ba­re Stel­lung immer wie­der von Bischö­fen und Ter­ri­to­ri­al­her­ren ange­foch­ten wur­de, im kom­men­den Jahr beim Jubi­lä­um der Chem­nit­zer Erst­erwäh­nung spie­len wird, ist zwar der­zeit noch Gegen­stand der Pla­nun­gen, sag­te Uwe Fiedler.

Die gelun­ge­ne Tagung und das gro­ße Inter­es­se von 60 bis 70 Teil­neh­mern zeig­ten aber, dass die vor­ma­li­ge Abtei, die wie­der­holt und umfang­reich erwei­tert wur­de, und ihre Geschich­te dazu vie­le Anknüp­fungs­punk­te bie­ten dürf­ten. Chris­toph Fas­ben­ders Fund­stück könn­te einer sein. Spa­la­tin wur­de  übri­gens nie Abt in Chem­nitz, auch wenn sich 1522 rela­tiv zeit­nah zu der von ihm erstell­ten Lis­te dazu die Mög­lich­keit erge­ben hat­te. In dem Jahr trat mit Hein­rich von Schlei­nitz der vor­letz­te Abt in der Klos­ter­ge­schich­te zurück, der nicht von unge­fähr als zwei­ter Grün­der gilt. Er hat­te nicht nur die Hans Wit­ten zuge­schrie­be­ne, über vier Meter hohe, far­big gefass­te Gei­ßel­säu­le (1515) in Auf­trag gege­ben, die Jesu Mar­ty­ri­um dar­stellt. Son­dern auf sei­ne Initia­ti­ve geht auch das bis in die 1970er-Jah­re an der Nordaußen­wand der ehe­ma­li­gen Klos­ter- und heu­ti­gen evan­ge­li­schen Pfarr­kir­che befind­li­che, elf Meter hohe Ast­werk­por­tal (1504/25) zurück, das nun wie die Säu­le im Kir­chen­in­nern auf­ge­stellt ist. Er ver­ant­wor­te­te in die­ser spä­ten Blü­te wei­te­re Aus- und Umbau­ten am Klos­ter, das laut archäo­lo­gi­scher Unter­su­chun­gen zur Klos­ter­zel­len­struk­tur nie mehr als 20 Pries­ter­mön­che bewohnt haben dürften.

Wenn auch die Quel­len­la­ge zur Lebens­wei­se der Mön­che in Chem­nitz dürf­tig ist, spricht nichts dafür, dass es vor dem poli­tisch ver­ord­ne­ten Ende des Klos­ter­le­bens nach Her­zog Georgs Tod wie etwa andern­orts zu Ermü­dungs­er­schei­nun­gen kam. Inso­fern wäre Chem­nitz wohl eine gute Par­tie gewe­sen für Spa­la­tin. Bei der Auf­lö­sung, sag­te Ste­phan Pfal­zer (Stadt­ar­chiv Chem­nitz), wur­de der Wert der Abtei auf 92.000 Gul­den bei 3500 Gul­den Jah­res­ein­nah­men beziffert.

Luthers Ret­ter buhl­te um Chem­nit­zer Klos­ter­pfrün­de: 1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars
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