Volkswirt: „Häuser im Bauhausstil werden Problemimmobilien der 2030er-Jahre“

Flachdächer und eintönige Fassaden dominieren: zwei Häuer im Bauhausstil im Dresdener Stadtteil Blasewitz. Wie vielerorts schließen sie hier Baulücken, umgeben fast durchweg von traditioneller Bebauung. Foto: Michael Kunze
Flach­dä­cher und ein­tö­ni­ge Fas­sa­den domi­nie­ren: zwei Häu­er im Bau­haus­stil im Dres­de­ner Stadt­teil Bla­se­witz. Wie vie­ler­orts schlie­ßen sie hier Bau­lü­cken, umge­ben fast durch­weg von tra­di­tio­nell errich­te­ten Häu­sern mit Spitz­dach und rei­cher geglie­der­ten Fas­sa­den. Foto: Micha­el Kunze

CHEMNITZ/DRESDEN. Archi­tek­tur schafft Lebens­qua­li­tät – so lau­tet zumin­dest das Mot­to des Tages der Archi­tek­tur Ende Juni in Sach­sen. Doch in der Rea­li­tät herrscht bei Ein- und Mehr­fa­mi­li­en­haus­neu­bau­ten seit Jah­ren der Bau­haus­ty­pus vor. Meist hat er gro­ße Fens­ter, eine wei­ße Fas­sa­de, dazu ein Flach­dach. Ein Gespräch mit dem Volks­wirt Fried­rich Thie­ßen von der TU Chem­nitz, der mit sei­nen Mit­ar­bei­tern vier Befra­gun­gen in vier Städ­ten zum The­ma durch­ge­führt hat.

Sie haben unter­sucht, wie der vor allem bei Lücken­schlüs­sen ver­brei­te­te Bau­haus­ty­pus ankommt. Mit wel­chem Ergebnis? 

Wir sind auf einen über­ra­schend star­ken Gegen­satz gesto­ßen: Zwar stimmt es, dass die­ser Typus von pri­va­ten Häus­le­bau­ern wie auch Bau­trä­gern nach wie vor, und zwar deutsch­land­weit, oft gewählt wird. Ich erin­ne­re nur an die gro­ße Anzahl der­ar­ti­ger Neu­bau­ten in Dres­de­ner Stadt­tei­len wie Strie­sen oder Bla­se­witz oder etwa im Frank­fur­ter Euro­pa­vier­tel. An der Bern­hard­stra­ße in Chem­nitz wur­de eine gan­ze Sied­lung errich­tet – und es gibt vie­le wei­te­re Bei­spie­le. Nur kön­nen die aller­meis­ten der mehr als 600 befrag­ten Bür­ger mit dem Stil wenig anfangen.

Inwie­fern?

Wie die Stu­di­en zei­gen, leh­nen die Leu­te fast durch­weg die kar­ge und kan­ti­ge Bau­wei­se der Häu­ser mit schlich­ten, orna­ment­frei­en Fas­sa­den ab – gebaut vor­ran­gig aus Glas, Stahl und Beton.

Was wol­len die Befrag­ten anstel­le die­ses Stils, für den Wal­ter Gro­pi­us mit sei­ner Bau­haus­kunst­schu­le ab 1919 die Grund­la­gen legte? 

In über­gro­ßer Mehr­heit das, was wir als klas­si­schen Stil bezeich­nen: schrä­ge Dächer, geglie­der­te, ver­zier­te Fas­sa­den in homo­ge­nen, also in einem Stil gestal­te­ten Vier­teln, wenigs­tens Stra­ßen­zü­gen. Das gilt in Chem­nitz, Ham­burg, Frank­furt und Mün­chen glei­cher­ma­ßen. In die­sen Städ­ten fan­den die Unter­su­chun­gen statt, in denen ein reprä­sen­ta­ti­ver Schnitt der Bevöl­ke­rung aus­ge­wählt wurde.

Wie viel Abwei­chung tole­rie­ren die Leu­te auf ihrer Straße? 

Ein oder zwei sti­lis­tisch abwei­chen­de Häu­ser wer­den akzep­tiert. Wenn aber in etwa mehr als jedes zehn­te abweicht, sinkt die Zustim­mung rapi­de; das bestä­ti­gen auch Stu­di­en aus Amerika.

Also schau­en die Leu­te nicht nur auf ihre eige­nen vier Wände? 

So ist es. Ein Haus wird nicht allein wahr­ge­nom­men, son­dern immer in sei­nem Umfeld. Selbst Plat­ten­bau­ge­bie­te kön­nen gut gelit­ten sein, wenn sie homo­gen gestal­tet, durch Sanie­run­gen, Far­be an den Fas­sa­den oder Grün­an­la­gen auf­ge­wer­tet wur­den. Grund­sätz­lich gilt: Spitz­dä­cher sind weit belieb­ter als fla­che, gro­ße Fens­ter punk­ten mehr als klei­ne. Und Häu­ser im Bau­haus-Stil wer­den aus ästhe­ti­schen Grün­den eher abge­lehnt. Ihr Plus ist, dass sie neu sind. Neu­heit signa­li­siert Wohlstand.

Sind Sie auf Unter­schie­de zwi­schen Ost und West, Wohl­ha­ben­de­ren und weni­ger Begü­ter­ten gestoßen? 

Die Bau­stil­vor­lie­ben der Befrag­ten in Ost wie West sind sehr ähn­lich. Wir haben Ein­kom­men, Alter, Bil­dungs­grad und Geschlecht abge­fragt. Es stell­te sich her­aus, dass in einer Sied­lung im Wes­ten die Zah­lungs­be­reit­schaft, für ästhe­ti­sche Vor­lie­ben ein­zu­tre­ten, etwas höher war. Sonst gab es kei­ne Unter­schie­de. Gene­rell ist die Bereit­schaft, für die sti­lis­ti­sche Auf­wer­tung einer Immo­bi­lie Geld in die Hand zu neh­men, nicht son­der­lich hoch. Etwa die Hälf­te zeig­te kei­ne aus­rei­chen­de Zah­lungs­be­reit­schaft. Das heißt indes: Die ande­re Hälf­te hat sie, und die Bau­in­dus­trie pro­du­ziert das Falsche.

Wel­che Schlüs­se zie­hen Sie für die Wert­ent­wick­lung von Immo­bi­li­en im Bauhausstil? 

Obwohl Wie­der­ver­mie­tungs- und Wie­der­ver­kaufs­chan­cen auch von Kri­te­ri­en wie Lage und Kon­junk­tur abhän­gen, gehört nicht viel Fan­ta­sie dazu, dass es sich bei der­ar­ti­gen Häu­sern um die Pro­blem­im­mo­bi­li­en der 2030er-Jah­re han­deln dürf­te. Ich rech­ne mit weit­aus schlech­te­rer Wert­ent­wick­lung als bei klas­si­schen Typen mit Spitz­dach oder bei Gründerzeithäusern.

Was soll­ten Bau­trä­ger und Pri­vat­leu­te beach­ten, wenn sie neu bau­en oder eine der­ar­ti­ge Immo­bi­lie kau­fen wollen? 

Der Bau­haus­stil wird im Ver­gleich mit ande­ren Sti­len nur von einer Min­der­heit bevor­zugt. Das legt die Fra­ge nahe, wie sich anders bau­en oder vor­han­de­ne Gebäu­de anpas­sen lie­ßen: Statt der gän­gi­gen Fas­sa­den­far­be Weiß kön­nen sich vie­le Befrag­te eine Alter­na­ti­ve vor­stel­len. Selbst Bau­häu­ser, denen nach­träg­lich schrä­ge Dächer auf­ge­setzt wer­den, ste­hen höher im Kurs als die Ori­gi­na­le. Wo deren Fas­sa­den nach­träg­lich mit Holz oder Natur­stein auf­ge­wer­tet und grö­ße­re Fens­ter ein­ge­baut wer­den – wir haben das anhand von Ver­gleichs­fo­tos abge­fragt -, kom­men sie bes­ser an. Vor allem soll­ten Bau­trä­ger und Pri­vat­leu­te auf­hö­ren, Häu­ser zu bau­en, die kon­trär zu einem vor­herr­schen­den Stil in einer Stra­ße ent­wor­fen wur­den. Das ist wert­min­dernd für alle – auch die Bestandsgebäude.

Ist das ein Alarm­si­gnal für Stadt­pla­ner, Archi­tek­ten und für Bauträger? 

Unbe­dingt. Jeder hat im Rah­men der orts­üb­li­chen Vor­ga­ben das Recht, zu bau­en, wie er will. Wir kön­nen aber bele­gen, dass die Mehr­zahl der Befrag­ten es nicht gut­heißt, wenn tra­di­tio­nel­le Bau­en­sem­bles auf­ge­ris­sen wer­den, um die­se durch Gebäu­de im Bau­haus­stil zu erset­zen oder zu ergän­zen. Über Jah­re und in Grö­ßen­ord­nung an den Wün­schen und Bedürf­nis­sen der Bür­ger vor­bei­zu­bau­en, wird sich rächen. Mit einem Haus­bau wer­den ja stadt­pla­ne­ri­sche und gestal­te­ri­sche Ent­schei­dun­gen getrof­fen, die Jahr­zehn­te wir­ken und fatal sein kön­nen, wenn die Nach­fra­ge ein­mal weg­bricht, weil die Woh­nungs­not nicht mehr so groß ist und sich die Men­schen mehr aus­su­chen kön­nen, wo sie einziehen.

Die voll­stän­di­ge Unter­su­chung ist im Inter­net abruf­bar unter www.tu-chemnitz.de/wirtschaft/bwl4/pub/WWDP_130_Fassaden_2017.pdf

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