Sie lebte in der DDR, er in Südfrankreich – Brieffreunde begegnen sich nach knapp 60 Jahren erstmals

Erst nach knapp 60 Jahren sahen sie sich erstmals: die langjährige Gitarrelehrerin an der Städtischen Musikschule Chemnitz, Ute Loos, und ihr Brieffreund aus den 1950ern, Claude Michel. Links im Bild: Michels Ehefrau Marie-Catherine. Beide wohnen in Südfrankreich. Foto: Michael Kunze
Erst nach knapp 60 Jah­ren sahen sie sich erst­mals: die lang­jäh­ri­ge Gitar­re­leh­re­rin an der Städ­ti­schen Musik­schu­le Chem­nitz, Ute Loos, und ihr Brief­freund aus den 1950ern, Clau­de Michel. Links im Bild: Michels Ehe­frau Marie-Cathe­ri­ne. Bei­de woh­nen in Süd­frank­reich. Foto: Micha­el Kunze

44 Jah­re lang hat Ute Loos an der Chem­nit­zer Musik­schu­le Gitar­re unter­rich­tet. In den 1950ern ver­band sie mit Clau­de Michel aus Süd­frank­reich eine Brief­freund­schaft. Doch begeg­net sind die bei­den sich nie – bis ein Zei­tungs­ar­ti­kel alles veränderte.

CHEMNITZ/OBERGNEUS. 74 Jah­re alt ist die gebür­ti­ge Hohen­stein-Ernst­tha­le­rin Ute Loos mitt­ler­wei­le, Clau­de Michel aus Mil­haud in Süd­frank­reich ein Jahr jün­ger. Vor bald 60 Jah­ren schrie­ben sie ein­an­der Brie­fe. Loos erin­nert sich: „Ich hat­te sei­ner­zeit an das Lyze­um in Nîmes geschrie­ben und um die Ver­mitt­lung eines Brief­freun­des gebe­ten“, sagt die Gitar­re­leh­re­rin im Ruhe­stand, die die meis­ten ihrer 47 Berufs­jah­re an der Städ­ti­schen Musik­schu­le in Chem­nitz unter­rich­tet hat, bevor sie 2013 in den Ruhe­stand trat.

Auf die Idee, für den Aus­tausch nach einem Kon­takt in der Fer­ne zu suchen, brach­te sie sei­ner­zeit ihre Schwes­ter. „In ihrer Ober­schu­le in Lich­ten­stein war es Mode, eine inter­es­san­te Stadt auf der Kar­te zu suchen und dann dahin zu schrei­ben, meist nach Ita­li­en oder Frank­reich“, erin­nert sich die Absol­ven­tin der Wei­ma­rer Musik­hoch­schu­le, deren Groß­va­ter einst den Posau­nen­chor in der Ernst­tha­ler St.-Christophori-Kirche leitete.

Loos‘ schrieb ihren ers­ten Brief im Alter von etwa 15 Jah­ren Ende der 1950er. Clau­de Michel erhielt ihn aber nicht über sei­ne Schu­le. „Wohl ein Leh­rer kann­te eine aus Nord­hau­sen stam­men­de, mit einem fran­zö­si­schen Diplo­ma­ten ver­hei­ra­te­te Dame, die in Clau­des Nach­bar­schaft wohn­te“, erklärt Loos die Hin­ter­grün­de, wie der Aus­tausch zustan­de kam. Die ehe­ma­li­ge Thü­rin­ge­rin habe an den Jun­gen gedacht, der in der Schu­le Deutsch lern­te, und den Brief wei­ter­ge­reicht. Was folg­te, war ein Brief­wech­sel über zwei, drei Jah­re mit dem Sohn eines Wein­groß­händ­lers, der heu­te mit sei­ner Fami­lie in Mon­teli­mar lebt. Irgend­wann schlief das Gan­ze ein. „Wir tausch­ten uns ja, wie das üblich war, über ziem­lich Belang­lo­ses aus. Nur ein Brief ist erhal­ten geblie­ben“, so Loos. „In der Fremd­spra­che zu schrei­ben, war auch noch ziem­lich müh­sam“, ergänzt sie.

Wie aber gelang die Kon­takt­auf­nah­me nach bei­na­he sechs Jahr­zehn­ten, ohne dass sich die bei­den bis dato gese­hen hat­ten? Rück­blen­de: Im Chem­nit­zer Lokal­teil der „Frei­en Pres­se“ war im Herbst 2013 ein Bericht über Loos erschie­nen, als sie sich aus der Musik­schu­le in den thü­rin­gi­schen Saa­le-Holz­land-Kreis ver­ab­schie­de­te, wo sie seit Jahr­zehn­ten lebt. Auf die­sen Bei­trag war Clau­de Michel eini­ge Zeit spä­ter, selbst gera­de in Ren­te gegan­gen, übers Inter­net auf­merk­sam gewor­den. „Clau­de war damals sehr krank und muss­te sich einer schwe­ren Ope­ra­ti­on unter­zie­hen“, sagt Ute Loos. „Da hat er auch an Sachen gedacht, die er unbe­dingt noch machen woll­te – zum Bei­spiel die eins­ti­ge Brief­freun­din wenigs­tens ein­mal zu tref­fen.“ Er recher­chier­te im Inter­net, stieß auf den Zei­tungs­ar­ti­kel und nahm mit dem Autor Kon­takt auf, der Ute Loos informierte.

Dann ging alles schnell: Im Advent 2014 kün­dig­te Clau­de Michel sei­nen ers­ten Besuch in Thü­rin­gen an. „Ich war anfangs nicht so begeis­tert, schließ­lich kann­ten wir uns gar nicht. Hin­zu kam der Aus­tausch über die Sprach­bar­rie­re hin­weg“, räumt Loos ein. „Aber es war ganz ein­fach: Wir hat­ten schnell gemein­sa­me The­men ent­deckt – Lite­ra­tur, Musik, zumal Clau­de in der Kul­tur­sze­ne sei­ner Hei­mat sehr enga­giert ist, und … Land­kar­ten“, sagt sie. Bald brach Loos zum Gegen­be­such nach Süd­frank­reich auf. Kürz­lich war Michel, der einst Jura und Poli­tik­wis­sen­schaft stu­dier­te und eini­ge Jah­re in West­deutsch­land bei einer Bank gear­bei­tet hat, mit sei­ner Ehe­frau wie­der im thü­rin­gi­schen Oberg­neus zu Gast – dies­mal mit Ent­de­ckungs­tou­ren zu den Dorn­bur­ger Schlös­sern, zum Naum­bur­ger Dom, nach Erfurt.

Lang­wei­lig wird ihnen nie, im Gegen­teil. „Es ist für uns alle noch immer ein unglaub­li­ches Glück – die­se uner­war­te­te Begeg­nung nach so vie­len Jah­ren“, sag­te dabei Clau­de Michel.

Sie leb­te in der DDR, er in Süd­frank­reich – Brief­freun­de begeg­nen sich nach knapp 60 Jah­ren erst­mals: 1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars
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