Domkapitel sucht Käufer für sächsisches Castel Gandolfo

Das Mittel- (vorn) sowie das nördliche Seitenzimmer im zweiten Obergeschoss erregen der einstigen Sommerresidenz des Domkapitels Sankt Petri zu Bautzen erregen in diesen Wochen besondere Aufmerksamkeit. Wird ein Käufer gefunden, dürfte es der Öffentlichkeit nur mehr selten vor Augen geführt werden. Foto: Michael Kunze
Mit­tel- (vorn) und nörd­li­ches Sei­ten­zim­mer (hin­ten links) im zwei­ten Ober­ge­schoss der eins­ti­gen Som­mer­re­si­denz erre­gen in die­sen Wochen beson­de­re Auf­merk­sam­keit – auch bei Fern­seh­teams. Wird ein Käu­fer für das eins­ti­ge Domi­zil des Dom­ka­pi­tels Sankt Petri zu Baut­zen gefun­den, dürf­ten die Räu­me mit wert­vol­len, jedoch teils drin­gend sanie­rungs­be­dürf­ti­gen Bild­ta­pe­ten der Öffent­lich­keit nur mehr sel­ten vor Augen geführt wer­den. Foto: Micha­el Kunze

Die eins­ti­ge Som­mer­re­si­denz hoher katho­li­scher Wür­den­trä­ger ist mit his­to­ri­schen Pan­ora­ma­ta­pe­ten einer Manu­fak­tur von Welt­rang aus­ge­stat­tet. Doch die Kir­che will das süd­lich von Baut­zen gele­ge­ne Sankt-Pius-Haus verkaufen.

SCHIRGISWALDE. Seit dem Jahr 2006 sind die Lich­ter aus im baro­cken Sankt-Pius-Haus in Schir­gis­wal­de. 14 Kilo­me­ter süd­lich von Baut­zen gele­gen, erhebt sich inmit­ten von 10.800 Qua­drat­me­tern Park mit altem Baum­be­stand die ehe­ma­li­ge Som­mer­re­si­denz des katho­li­schen Dom­ka­pi­tels Sankt Petri zu Baut­zen mit 600 Qua­drat­me­tern Wohn­flä­che. Idyl­le, Abge­schie­den­heit, Platz für Träu­me.

Die bis­lang kei­ner träu­men will, obwohl das Anwe­sen mit Neben­ge­bäu­de seit dem Aus­zug des katho­li­schen Kin­der­gar­tens in eine benach­bar­te aus­ge­bau­te Scheu­ne leer­steht und die Kir­che Käu­fer sucht, sagt Dom­de­kan Andre­as Kutsch­ke, der zugleich Gene­ral­vi­kar des Bis­tums Dres­den-Mei­ßen ist. Auch bei Auk­tio­nen am Don­ners­tag ver­gan­ge­ner Woche in Dres­den und zwei Tage spä­ter in Leip­zig fan­den sich kei­ne Bie­ter, trotz der als Start­ge­bot auf­ge­ru­fe­nen 195.000 Euro. Jah­re­lang hat­te das Dom­ka­pi­tel in Bran­chen­krei­sen als viel zu hoch ein­ge­schätz­te 465.000 Euro zu erzie­len gehofft. Doch Lage und sanie­rungs­be­dürf­ti­ger Zustand dürf­ten abschre­cken, obwohl das Dach und die 1992 ein­ge­bau­te kom­bi­nier­te Gas- und Fest­brenn­stoff-Hei­zung intakt sind. Doch der Putz brö­ckelt, das Mau­er­werk ist in Boden­nä­he feucht, an den Holz­kas­ten­dop­pel­fens­tern schlägt die Far­be Bla­sen, in den Sani­tär­räu­men reiht sich nach wie vor kind­ge­recht Mini­wasch­be­cken an Mini-WC. „Das ist ein Lieb­ha­ber- und kein Spe­ku­la­ti­ons­ob­jekt, für das es eine durch­dach­te Nut­zung braucht“, so der zustän­di­ge Reprä­sen­tant der Deut­schen Grund­stücks­auk­tio­nen AG, Gün­ter Thieli­cke, beim Rund­gang durchs Gebäude.

Für­sor­ge­heim, Kin­der­gar­ten – und nun?

Dass der­ar­ti­ge Som­mer­re­si­den­zen aus der Mode kom­men, ist spä­tes­tens bekannt, seit Papst Fran­zis­kus die sei­ne, Cas­tel Gan­dol­fo unweit von Rom, vor zwei Jah­ren zum Muse­um gemacht hat. Das Anwe­sen im bis ins 19. Jahr­hun­dert zum habs­bur­gi­schen Böh­men und kirch­lich zum Bis­tum Leit­me­ritz gehö­ren­den Schir­gis­wal­de ist längst kei­ne Som­mer­fri­sche mehr. Dien­te es nach dem Krieg Mit­glie­dern des Dom­ka­pi­tels und dem dama­li­gen Bischof Petrus Leg­ge (1882–1951) noch als Unter­kunft, nach­dem des­sen Haus unweit des Baut­zener Doms beschos­sen und zer­stört wor­den war, zog Ende der 1950er-Jah­re eine Kir­chen­mu­sik­schu­le ein. In die­ser Zeit wur­de das Gebäu­de nach dem 1954 hei­lig­ge­spro­che­nen Papst Pius X. benannt, da die­ser den Gre­go­ria­ni­schen Cho­ral geför­dert hat­te. Neben einem Für­sor­ge­heim für Frau­en und Mäd­chen (das kaum zwan­zig Jah­re blieb) zog 1972 der Kin­der­gar­ten in das um 1700 errich­te­te, zunächst zwei‑, längst drei­stö­cki­ge, unter Denk­mal­schutz ste­hen­de Haus mit wuch­ti­gen Gewöl­ben im Erd­ge­schoss und Res­ten der eins­ti­gen Kapel­le, Stuck­de­cken wei­ter oben und einer Beson­der­heit von über­re­gio­na­ler Bedeu­tung, sagt Vero­ni­ka Paul. Sie ist beim Dom­ka­pi­tel für Bau­an­ge­le­gen­hei­ten zuständig.

Lau­renz Tammer, Pfar­rer in Dres­den, der in Schir­gis­wal­de auf­wuchs, kennt die­se gut. Er gehör­te als Kind einem Kna­ben­chor an, mit dem die Musik­schü­ler im Palais das Diri­gie­ren übten. „Als die Haus­ka­pel­le damals erneu­ert wur­de, fand die Hei­li­ge Mes­se vor­über­ge­hend in einem der Tape­ten­zim­mer statt“, erin­nert sich der 64-Jäh­ri­ge. Zwei Räu­me sind über­reich mit in den 1820er-Jah­ren gedruck­ten Bild­ta­pe­ten aus­ge­klei­det, ein wei­te­rer in Rich­tung Süden mit in neu­go­ti­sche Säu­len und Maß­werk­bö­gen geglie­der­ter Archi­tek­tur­ta­pe­te unbe­kann­ter Her­kunft sowie einer den Raum­ein­druck ver­stär­ken­den gemal­ten illu­sio­nis­ti­schen Kas­set­ten­de­cke. Im nörd­li­chen Zim­mer zei­gen zwan­zig Bah­nen mit dem Titel „Les Fêtes Grec­ques“ die olym­pi­schen Fes­te der alten Grie­chen. Sie wur­den 1824 von Dufour & Leroy in Paris gedruckt und zeu­gen von der Anti­ken­be­geis­te­rung im frü­hen 19. Jahr­hun­dert. „Da gab es für mich als Minis­tran­ten was zu gucken wäh­rend der Mes­se. Man muss­te acht­ge­ben, den Ablauf der Lit­ur­gie nicht zu ver­pas­sen“, sagt Tammer schmunzelnd.

Madon­na, Muba­rak, Meier?

Die Tape­ten müs­sen erhal­ten wer­den, heißt es vom Denk­mal­schutz. Die drei Räu­me „gehö­ren zu den ganz weni­gen voll­stän­dig erhal­te­nen Inte­ri­eurs aus der Zeit um 1830 in Sach­sen“, schrieb die Säch­si­sche Lan­des­kon­ser­va­to­rin Rose­ma­rie Pohl­ack im März 2010 in einer Ein­schät­zung. Sie stel­len „ein über­re­gio­nal bedeut­sa­mes Zeug­nis der Wohn- und Reprä­sen­ta­ti­ons­kul­tur des frü­hen 19. Jahr­hun­derts dar und nicht zuletzt auch ein Doku­ment für die Geschich­te des Bis­tums Dres­den-Mei­ßen“. Wegen man­cher Schä­den an den Bah­nen im Mit­tel­zim­mer mit far­bi­gen Sze­nen von der Land­nah­me der Euro­pä­er in Süd­ame­ri­ka, die Segel­schif­fe, Dschun­gel und Plan­ta­gen vol­ler India­ner zei­gen, wer­den die Tape­ten dort schon mit Stüt­zen an den Wän­den gehal­ten. Dom­de­kan und Bischof Ignaz Bern­hard Mau­er­mann hat­te sie wie die ande­ren im Zuge eines 1833 begon­ne­nen Umbaus anbrin­gen lassen.

Was die von Hand in unzäh­li­gen Arbeits­schrit­ten bedruck­ten Bah­nen im Mit­tel­zim­mer beson­ders macht: Sie sind nicht nur 190 Jah­re alt, son­dern stam­men aus der nach wie vor exis­tie­ren­den, seit 1797 im elsäs­si­schen Rix­heim ansäs­si­gen Manu­fak­tur Jean Zuber & Cie mit Schau­räu­men in New York, Paris, Mos­kau oder Dubai. Neu­dru­cke der in Schir­gis­wal­de ange­brach­ten Exem­pla­re aus der Serie „Les Vues de Bré­sil“ kön­nen nach wie geor­dert wer­den. Zuber & Cie ver­fügt über ein Depot mit zehn­tau­sen­den Druck­stö­cken aus Bir­nen­holz. John F. Ken­ne­dys Frau Jac­que­line ließ 1961 den soge­nann­ten Diplo­ma­tic Recep­ti­on Room im Washing­to­ner Wei­ßen Haus mit aus dem Jahr 1834 stam­men­den Zuber-Bild­ta­pe­ten aus­stat­ten, die zuvor in einem Gebäu­de abge­nom­men wor­den waren, das abge­ris­sen wur­de. Pop­mu­si­ke­rin Madon­na zählt eben­so zu den Kun­den wie einst der ehe­ma­li­ge ägyp­ti­sche Macht­ha­ber Hus­ni Muba­rak, recher­chier­te die Wochen­zei­tung „Die Zeit“. Eine his­to­ri­sche Zuber-Pan­ora­ma­ta­pe­te aus 32 Bah­nen erziel­te vor Jah­ren auf einer Auk­ti­on 40.500 US-Dol­lar und galt sei­ner­zeit als teu­ers­te je verkaufte.

Dass sich ange­sichts des papier­nen bild­ge­wal­ti­gen Schat­zes, der auf Zeich­nun­gen des deut­schen Malers und For­schungs­rei­sen­den Moritz Rugen­das (1802–1858) zurück­geht, noch kein Käu­fer für das Sankt-Pius-Haus gefun­den hat, „ist sehr scha­de“, so Dom­de­kan Kutsch­ke, der man­gels einer geeig­ne­ten kirch­li­chen Nut­zung wei­ter auf Inter­es­sen­ten in der soge­nann­ten Nach­ver­kaufs­zeit zu den jüngs­ten Auk­tio­nen hofft. „Wenn sich bis zu deren Ablauf in eini­gen Wochen nie­mand fin­det, müs­sen wir im Dom­ka­pi­tel neu berat­schla­gen“, sagt er.

Auf der Inter­net­sei­te der Manu­fak­tur Zuber & Cie zeigt ein Kurz­film, wie deren Bild­ta­pe­ten her­ge­stellt werden.

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