Suchen nach Beckett

Im Gespräch mit dem Chefredakteur der Literaturzeitschrift "Sinn und Form", Matthias Weichelt: Samuel Becketts Übersetzerin Erika Tophoven am 8. September 2018 im Rußwurmschen Herrenhaus zu Breitungen/Werra. Foto: Michael Kunze
Im Gespräch mit dem Chef­re­dak­teur der Lite­ra­tur­zeit­schrift „Sinn und Form“, Mat­thi­as Wei­chelt: Samu­el Becketts Über­set­ze­rin Eri­ka Topho­ven am 8. Sep­tem­ber 2018 im Ruß­wurm­schen Her­ren­haus zu Breitungen/Werra. Foto: Micha­el Kunze

Mona­te­lang hat der spä­te­re Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­ger 1936/37 Deutsch­land durch­streift – eine deut­sche Aus­ga­be der Rei­se­ta­ge­bü­cher fehlt aber noch. Bekannt ist, dass er in Leip­zig und Dres­den war. Sei­ne Über­set­ze­rin gab nun mehr preis über den Auf­ent­halt in Sachsen.

FREIBERG/BREITUNGEN. Sechs Mona­te lang ist der sei­ner­zeit noch unbe­kann­te Samu­el Beckett vom Herbst 1936 an durch Deutsch­land gestreift, bis er im April des Fol­ge­jah­res nach Irland zurück­kehr­te. Von sei­nem 1953 urauf­ge­führ­ten Welt­erfolg „War­ten auf Godot“ oder dem 1969 ver­lie­he­nen Lite­ra­tur­no­bel­preis war da noch kei­ne Rede.

Der gebür­ti­ge Dub­li­ner hat­te in Kas­sel Ver­wand­te, die er seit den 1920er-Jah­ren wie­der­holt besuch­te, wie nun Eri­ka Topho­ven bei einer Lesung in Erin­ne­rung geru­fen hat. Seit sie ihn 1957 erst­mals in Paris traf, kam die gebür­ti­ge Des­saue­rin, deren Vater in Thurm im Mül­sen­grund ein Rit­ter­gut ver­wal­te­te und die bis 1946 in Zwi­ckau zur Schu­le ging, von dem Schrift­stel­ler nicht mehr los. Sie war mehr als drei­ßig Jah­re lang mit Beckett als des­sen Über­set­ze­rin in regem Austausch.

Im Wer­ra-Städt­chen Brei­tun­gen las die 87-Jäh­ri­ge im Ruß­wurm­schen Her­ren­haus des Ver­le­gers Robert Eber­hardt aus ihrem in der Lite­ra­tur­zeit­schrift „Sinn und Form“ ver­öf­fent­lich­ten Auf­satz „ ‚The Dom in Naum­burg was stu­pen­dous.‘ Beckett 1937 in Mit­tel­deutsch­land“ über eben­je­ne Rei­se Becketts. Dass sie sich auf die Städ­te Hal­le, Wei­mar, Erfurt, Naum­burg kon­zen­trier­te, reg­te ange­sichts des Unter­ti­tels zu Fra­gen an, was der Schrift­stel­ler, der damals um die Ver­öf­fent­li­chung sei­nes ers­ten Romans bang­te, noch in der Regi­on gese­hen hat.

Bekannt ist: Auch in Leip­zig und Dres­den mach­te er Sta­ti­on. Weni­ger: dass er zudem in Mei­ßen und Pill­nitz war. Noch einen Monat lang ist im Deut­schen Lite­ra­tur­ar­chiv in Mar­bach die Aus­stel­lung „Ger­man fever. Beckett in Deutsch­land“ zu sehen, bei der eini­ge Ori­gi­nal­sei­ten der sechs Deutsch­land-Tage­bü­cher aus­ge­stellt sind.

Aber war der damals 30-Jäh­ri­ge noch andern­orts in Sach­sen unter­wegs? Genau hin­ge­schaut haben bis­lang weni­ge, viel­leicht auch, da eine deut­sche Aus­ga­be der vie­le Hun­dert Sei­ten lan­gen, von Beckett zeit­le­bens unter Ver­schluss gehal­te­nen Tage­bü­cher nach wie vor aus­steht. Im vori­gen Jahr hieß es, 2019 sol­le sie zwei­spra­chig bei Suhr­kamp erschei­nen. Topho­ven hat das Ori­gi­nal­ma­nu­skript 2003 aus­wer­ten kön­nen, kaum dass es Becketts Nach­lass­ver­wal­ter frei­ge­ge­ben hat­te. Dabei stell­te sie fest, hat das aber nicht wei­ter unter die Leu­te gebracht: Beckett war auch in Frei­berg. „Ja, da war er auch noch“, sagt sie. Wie­der zurück in Ber­lin, sieht sie spä­ter ihre Mit­schrift vom Besuch im Samu­el-Beckett-Archiv in Rea­ding durch.

War­um aber Frei­berg? Bis­he­ri­ge Aus­wer­tun­gen der Rei­se leg­ten den Fin­ger auf Becketts Begeis­te­rung für deut­sche Expres­sio­nis­ten. In Ham­burg, Hal­le, anders­wo hat­te er Künst­ler, Händ­ler, Samm­ler, Muse­en besucht, auch sol­che, die deren von den Nazis als „ent­ar­te­te Kunst“ ver­fem­ten Wer­ke schon vor der Öffent­lich­keit weg­ge­schlos­sen hatten.

Außer­dem spür­te er mit­tel­al­ter­li­cher Archi­tek­tur und dem Figu­ren­schmuck der Kathe­dra­len nach, wie Topho­vens Unter­la­gen bele­gen. Er fer­tig­te Skiz­zen an, schwärm­te von den Stif­ter­fi­gu­ren im Naum­bur­ger Dom, beschrieb, was er gese­hen hat­te. Wofür? „Wir haben über sei­ne Deutsch­land­rei­se nie gespro­chen“, sagt die Über­set­ze­rin. Ob Beckett je eine Ver­öf­fent­li­chung der Tage­bü­cher plan­te, ist unklar. Bald zog der Welt­krieg her­auf, in dem sich der Ire, seit Okto­ber 1937 in Frank­reich hei­misch, der Résis­tance anschloss. „Da hat­te er ande­re Sor­gen“, so Tophoven.

Nach dem lan­gen Dres­den-Auf­ent­halt, Abste­chern nach Pill­nitz und Mei­ßen, stand Bam­berg auf dem Plan, spä­ter Würz­burg, Regens­burg – auch dies Städ­te mit bedeu­ten­den Sakral­bau­ten. Doch im Febru­ar, auf dem Weg nach Fran­ken, macht er Halt in Frei­berg, wovon in der Stadt noch kaum wer wis­sen dürf­te. „Im Stadt- und Berg­bau­mu­se­um ist bis dato über einen Besuch von Samu­el Beckett in Frei­berg nichts bekannt“, sagt des­sen Direk­to­rin Andrea Rie­del, „und auch nicht dazu geforscht wor­den.“ „Für uns ist es hoch­in­ter­es­sant“, so der evan­ge­li­sche Dom­pfar­rer Urs Ebenau­er, „dass Beckett hier war.“ Anhalts­punk­te dazu im Archiv der Kirch­ge­mein­de zu fin­den, hält er für unwahr­schein­lich. Wonach soll­te man suchen? Beckett war sei­ner­zeit kein Pro­mi­nen­ter. Wer soll­te von ihm Notiz genom­men haben? Er kam, ohne in der Stadt zu über­nach­ten, auch wenn Topho­vens Abschrif­ten der „Ger­man Dia­ries“ nahe­le­gen, dass der Unter­weg­s­halt nicht der ers­te gewe­sen ist. „Es fin­den sich Andeu­tun­gen, dass er vor­her schon – wohl eben­falls von Dres­den aus – hin­ge­fah­ren ist, aber, viel­leicht weil der Dom ver­schlos­sen war, unver­rich­te­ter Din­ge umkehr­te“, sagt sie. Der Win­ter, die Käl­te, Tou­ris­mus wie heu­te gab es kaum.

Am 19. Febru­ar 1937 aber klappt es. „Für eini­ge Stun­den“ sei er dage­we­sen, schreibt Beckett im Tage­buch. Er sucht den Dom auf, die spät­ro­ma­ni­sche, seit 1903 durch einen Jugend­stil­vor­bau geschütz­te Gol­de­ne Pfor­te von 1225. Der „Dehio“, das „Hand­buch der deut­schen Kunst­denk­mä­ler“, das in kei­nem bil­dungs­bür­ger­li­chen Gepäck feh­len durf­te, weist sie als Werk von euro­päi­schem Rang, „an Pracht sel­ten, an inne­rem Adel nie­mals mehr über­bo­ten“ aus.

Die acht Figu­ren an der Dop­pel­tür, je vier zu bei­den Sei­ten, zei­gen alt- und neu­tes­ta­men­ta­ri­sche Gestal­ten: Aaron, David und Bath­se­ba, ihren Sohn Salo­mo oder Johan­nes den Täu­fer. Beckett hat sie betrach­tet. „Bath­se­ba ist ent­zü­ckend“, notiert er. Die Figu­ren wirk­ten stren­ger, erns­ter als an den Domen zu Naum­burg und Mei­ßen. Nach­dem er die Rei­se mit der Bahn nach Bam­berg fort­ge­setzt hat­te, schrieb er von dort an sei­nen Schrift­stel­ler-Freund Tho­mas Mac­Gree­vy eine Post­kar­te mit Frei­berg-Motiv; auch dies ist über­lie­fert. Sie zeigt eben­je­ne Figu­ren an der Gol­de­nen Pfor­te – dar­un­ter Bathseba.

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