Chemnitz, 7. November 2013

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Chris­to­pher Clark (links) und Frank-Lothar Kroll, auf des­sen Ein­la­dung hin er nach Chem­nitz kam. Foto: Micha­el Kunze.

Chris­to­pher Clark, der aus­tra­li­sche, in Cam­bridge leh­ren­de und bekann­ter­ma­ßen ger­ma­no­phi­le Deutsch­land-His­to­ri­ker, hat sich ange­sagt. Er spricht an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät über sein neu­es Buch (deutsch: „Die Schlaf­wand­ler. Wie Euro­pa in den Ers­ten Welt­krieg zog“), das, kaum dass es erschie­nen ist, zum Best­sel­ler wur­de. Nicht nur, aber vor allem hier­zu­lan­de. Wor­an das liegt? Einer der Dis­ku­tan­ten lie­fert nach Clarks Vor­trag eine mög­li­che Begrün­dung: „Sie haben die Schuld der Deut­schen am Aus­bruch des Ers­ten Welt­krie­ges etwas klei­ner, die der Bri­ten etwas grö­ßer gemacht.“ Und die Kon­se­quenz dar­aus, näm­lich das Buch zu kau­fen, passt ja auch: Vie­le Deut­sche lie­ben es, wenn ihnen Aus­län­der schmei­cheln, sie wol­len gefal­len. Über sich selbst urteil­ten sie im kon­kre­ten Fall einst weit kri­ti­scher, wie Fritz Fischers Buch „Griff nach der Welt­macht“ zeig­te. Fischer hat dar­in 1961 die vor­ran­gi­ge Schuld Deutsch­lands am Aus­bruch des Ers­ten Welt­kriegs nach­zu­wei­sen ver­sucht, die auch im Ver­sail­ler Ver­trag von 1919 gegen schärfs­ten Pro­test aus Deutsch­land fest­ge­hal­ten wor­den war. Dabei hält der Aus­tra­li­er die Klä­rung der Schuld­fra­ge nach eige­nen Wor­ten heu­te nicht ein­mal für eine zen­tra­le: „Es geht nicht mehr dar­um, den ‚rich­ti­gen‘ zum Schul­di­gen zu machen“, sagt er in sei­nem Vor­trag. Frei­lich: Mit sei­nem Buch hat er gera­de die Dis­kus­si­on um eine Neu­be­wer­tung der Kriegs­schuld­fra­ge ange­sto­ßen, er hat Deut­sche, Öster­rei­cher und Ungarn ein Stück weit ent­las­tet, die Schuld am Kriegs­aus­bruch statt­des­sen – mehr als dies bis­lang in sei­ner Zunft geschah – auf die Schul­tern von Ser­ben und Rus­sen, Fran­zo­sen und Bri­ten ver­teilt. Metho­disch macht er sich dabei für die von vie­len His­to­ri­kern lan­ge für über­holt gehal­te­ne Ereig­nis­ge­schich­te stark, deren Deu­tungs­kraft ihm die Bal­kan­krie­ge der neun­zi­ger Jah­re, vor allem aber die Anschlä­ge vom 11. Sep­tem­ber 2001 unter Beweis stel­len. Sei­ne The­se: „Die Julikri­se von 1914 war ein moder­nes Ereig­nis“, die Poli­tik damals schon mul­ti­po­lar und inter­ak­tiv. Sozial‑, Struk­tur- oder Gesell­schafts­ge­schich­te erwie­sen sich hier als unzu­läng­lich, ver­kenn­ten sie doch bei­spiels­wei­se die Bedeu­tung von Zufäl­len für den Ver­lauf der Geschich­te. Ob es nicht aber den­noch zu weit greift, den Aus­bruch des Ers­ten Welt­krie­ges zuge­spitzt als eine Art „Kom­mu­ni­ka­ti­on­s­pan­ne“ und Abfol­ge poli­ti­scher Kurz­schlüs­se zu erklä­ren, steht auf einem ande­ren Blatt. Die­ses reicht Clark denn auch gene­rös wei­ter an zwei­feln­de Kol­le­gen. Beschrei­ben aber müss­ten sie es schon selbst.

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