Ein Leben im Widerspruch: Heute vor 300 Jahren wurde Friedrich II. geboren – und genauso lange hält er die Deutschen in Atem

Der Chem­nit­zer His­to­ri­ker Frank-Lothar Kroll ist einer der renom­mier­tes­ten Preu­ßen-Fach­leu­te. Er ist Vor­sit­zen­der der Preu­ßi­schen His­to­ri­schen Kom­mis­si­on. Sei­ne zahl­rei­chen Ver­öf­fent­li­chun­gen zu Preu­ßen und des­sen Herr­scher­haus fül­len gan­ze Bücher­re­ga­le. Ich sprach mit ihm über Per­son, Wir­kung und Aktua­li­tät Fried­richs des Gro­ßen anläss­lich von des­sen 300. Geburtstag.

Land­auf, land­ab wird in die­sem Jahr an Fried­rich den Gro­ßen erin­nert. Ist der Tru­bel gerechtfertigt?

Pro­fes­sor Dr. Frank-Lothar Kroll: Er war immer gerecht­fer­tigt. Mich über­rascht aber zwei­er­lei: die Mas­si­vi­tät, mit der Fried­rich gedacht wird und wie ein­heit­lich das Gan­ze von­stat­ten­geht. Jedes Hoch­glanz­ma­ga­zin hat Fried­rich auf der Titel­sei­te. 1986, zum 200. Todes­tag, war zwar auch eini­ges los an „Befeie­rung“, aber das hielt sich stark im wis­sen­schaft­li­chen Kon­text – und zwar sowohl im Wes­ten wie im Osten. In Ost-Ber­lin gab es die Aus­stel­lung „Fried­rich und die Kunst“, im Wes­ten zwei oder drei wis­sen­schaft­li­che Auf­satz­samm­lun­gen. Wenn Fried­rich im Wes­ten damals in den gro­ßen Maga­zi­nen vor­kam, dann mit einem erho­be­nen Zei­ge­fin­ger. Das ist heu­te kaum noch der Fall.

Was führ­te zu die­sem Wandel?

In der Geschichts­wis­sen­schaft wur­de ein posi­ti­ve­res Ver­hält­nis zu all­dem gefun­den, was in Deutsch­land vor 1918 pas­sier­te. Auch das Kai­ser­reich erscheint nicht mehr als Mons­ter­staat, wie es vor 20 Jah­ren noch der Fall war. Ein wei­te­rer Grund ist der Man­gel an Vor­bild­ge­stal­ten in der deut­schen Geschich­te. Es blei­ben nicht wirk­lich vie­le gro­ße Figu­ren übrig.

Was war Fried­rich für ein Mensch?

Er war ein unglück­li­cher Mensch. Sei­ne Jugend­ge­schich­te ist die eines Soh­nes, der sich nicht so zu ent­wi­ckeln schien, wie sein Vater – der Sol­da­ten­kö­nig – es woll­te. Der Vater war ein bedeu­ten­der König, per­sön­lich aber ein Gro­bi­an. Fried­rich kann den aus sei­ner Sicht ungeis­ti­gen Vater, der ihm die Flö­te zer­schlägt, die Perü­cke vom Kopf reißt, der nicht will, dass der Sohn gepu­dert rum­läuft, nicht mehr aus­hal­ten. Er haut ab von zu Hau­se. Das klappt aber nicht. Der Vater klagt den Sohn als Deser­teur vor einem Kriegs­ge­richt an, über­legt, ihn hin­rich­ten zu las­sen. Dazu kommt es nicht. Aber sein Freund Kat­te, der Flucht­hel­fer, wird auf Geheiß des Vaters ent­haup­tet. Das ist für den 20-Jäh­ri­gen eine Kata­stro­phe. Fried­rich fügt sich nur aus Klug­heit dem Vater, nicht aus Über­zeu­gung. Er wird ver­hei­ra­tet. In Brie­fen klagt er über sei­ne zukünf­ti­ge Frau: Sie sei im Gang wie eine Ente, schie­le, wür­de nichts sagen, sei ohne Esprit …

… kei­ne Lie­bes­hei­rat also …

… genau. Er schreibt dann an sei­ne Schwes­ter, die Mark­grä­fin von Bay­reuth: „Ich bin sicher, es wird eine unglück­li­che Ehe.“ Sei­ne glück­li­che Zeit ist das knap­pe Jahr­fünft auf Schloss Rheins­berg, wo er sich, weit weg vom Ber­li­ner Hof­le­ben, eine Art Musen­tem­pel ein­rich­tet. Dort hält er Kon­takt zu füh­ren­den Phi­lo­so­phen sei­ner Zeit. Es gibt die berühm­te Tafel­run­de, zu der die gelehr­te Welt Deutsch­lands und Frank­reichs bei ihm zu Gast ist. Danach ist – durch eige­nes Ver­schul­den – sein Leben ein unglück­li­ches. Hät­te er die Krie­ge um Schle­si­en nicht los­ge­tre­ten, wäre ihm eini­ges erspart geblie­ben. Die Kate­go­rie des per­sön­li­chen Glü­ckes ist für ihn eine, mit der er ab einem gewis­sen Zeit­punkt gar nicht mehr rech­net. Per­sön­li­che Wün­sche tre­ten dahin­ter zurück, dem Staat zuzuarbeiten.

„Dem Staat zuzu­ar­bei­ten“. Bei Lud­wig XIV. hieß es in Frank­reich noch: „Der Staat bin ich.“ War Lud­wig für den jun­gen Preu­ßen kein Vorbild?

Nein, Lud­wig war kein Vor­bild für ihn. Für die dama­li­ge Zeit gilt nach fran­zö­si­schem Modell: Ein Staat ist dann in Ord­nung, wenn er sei­nen Glanz zur Schau stellt, Ruhm und Macht demons­triert – auch in Dich­tung und Musik. Fried­rich denkt anders, will einen Staat, in dem es auch den Bür­gern gut geht. Er för­dert den Stra­ßen­bau, lässt Was­ser­we­ge anle­gen, ein Kanal­netz, för­dert Wirt­schaft und Bil­dung. Es kann nur so viel aus­ge­ge­ben wer­den, wie ein­ge­nom­men wird. Fried­rich hielt Lud­wigs Mot­to „Der Staat bin ich“ ein neu­es ent­ge­gen: Er woll­te der „ers­te Die­ner sei­nes Staa­tes“ sein.

 „Feld­herr mit Flö­te“ wur­de Fried­rich auch häu­fig genannt. Passt er zwi­schen die­se Pole?

Bei­des ist nicht falsch. Den­noch darf man das nicht mit dem Cel­lo spie­len­den Kom­man­dan­ten von Ausch­witz, Rudolf Höß, ver­wech­seln. Fried­rich war sich immer bewusst über das, was Recht und was Unrecht war. Er wuss­te, dass er 1740 etwas tat, was sich nicht gehörte…

… einen „unge­rech­ten Krieg“ gegen Schle­si­en begon­nen zu haben, wovor ihn sogar sein Vater gewarnt hatte …

… ganz genau. Fried­rich wuss­te, dass man als Staats­mann Din­ge tun muss, die man als Pri­vat­mann nicht ver­ant­wor­ten kann. Und doch wur­de Preu­ßen unter Fried­rich dem Gro­ßen ein Rechts­staat. Die gro­ßen Refor­men kamen in die­ser Zeit.

Fried­richs Erbe ist bis heu­te umstrit­ten, soge­nann­te Sekun­där­tu­gen­den wie Dis­zi­plin und Gehor­sam wur­den als Weg­be­rei­ter eines deut­schen Son­der­wegs gedeu­tet, die zu Krieg und zur Ermor­dung der Juden führten.

Preu­ßen galt um 1770 vie­len Auf­klä­rern als Ide­al­bild eines Staa­tes. In Eng­land, Frank­reich, Öster­reich wur­den Fried­rich und Preu­ßen geschätzt wie kein ande­rer Mon­arch, kein ande­res Land. Wer bau­te zum Bei­spiel eine Ver­wal­tung auf, die ganz Euro­pa erstaun­te, weil sie nicht kor­rupt war? Fried­richs Nach­fol­ger ver­spiel­ten dann sein Erbe – und in den spä­ten Jah­ren war er auch selbst nicht mehr zu Refor­men in der Lage. Das Preu­ßen­bild und die preu­ßi­sche Geschich­te haben nach Fried­richs Tod wei­te­re Jah­res­rin­ge gebil­det: die Schlacht bei Jena und Auer­stedt, die Revo­lu­ti­on 1848/49, das bis­marck­sche Eini­gungs­werk, der Ers­te Welt­krieg, Wil­helm II. Dann haben die preu­ßi­schen Kon­ser­va­ti­ven zwar Hit­ler nicht ver­ur­sacht, ihn aber auch nicht ver­hin­dert, obwohl es 1944 einen spä­ten Ver­such dazu gab. Im Nach­hin­ein wur­den nega­ti­ve Punk­te aus Fried­richs Leben stark gemacht, die angeb­lich zum 30. Janu­ar 1933 führ­ten. Der Schat­ten der Nach­fol­ger Fried­richs leg­te sich auf ihn selbst.

Eine Linie von Fried­rich über Wil­helm II. zu Hitler?

Man­che gehen sogar bis zu Luther zurück. Das ist aber Unsinn. Fried­rich ist nicht für Hit­ler ver­ant­wort­lich, so wenig wie Fried­rich Nietz­sche für ihn ver­ant­wort­lich ist, nur weil Hit­ler ihn gern gele­sen hat.

Zurück zum musisch talen­tier­ten und phi­lo­so­phisch inter­es­sier­ten Fried­rich. Kann man vor dem Hin­ter­grund sei­ner Inter­es­sen Fried­richs Popu­la­ri­tät im deut­schen Bür­ger­tum erklären?

Nein. Fried­rich hat kaum Deutsch geschrie­ben, hielt es für eine bar­ba­ri­sche Spra­che. Er sag­te ein­mal: „Deutsch spre­che ich nur mit mei­nem Pferd“ und war durch und durch fran­zö­sisch geprägt. Fried­rich hat­te für das, was in Deutsch­land um 1770 auf­brach – Sturm und Drang, Goe­thes Wert­her oder Les­sing – kein Ver­ständ­nis. Es ist die natio­na­le Umin­ter­pre­ta­ti­on Fried­richs als nicht bloß preu­ßi­schem Herr­scher, son­dern als Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur natio­na­ler Ein­heit. Früh kommt es zu Vereinnahmungen.

Jede Zeit stutz­te sich ihren Fried­rich zurecht?

Beson­ders im Natio­nal­so­zia­lis­mus wur­den Fried­rich und Preu­ßen instru­men­ta­li­siert. Eine Post­kar­te, um 1940 ent­stan­den, zeigt Fried­rich, Bis­marck, Hin­den­burg und Hit­ler. Dar­un­ter steht: „Was der König erober­te, der Fürst form­te, der Feld­mar­schall ver­tei­dig­te, ret­te­te und einig­te der Sol­dat.“ Hit­ler wur­de als legi­ti­mer Erbe Fried­richs ausgegeben.

Auch die DDR rang um Fried­rich. Auf Geheiß Erich Hon­eckers stell­te man das berühm­te Rei­ter­stand­bild wie­der unter den Lin­den auf. Wie ist das zu erklären?

Es gab schon in der frü­hen DDR eine kurz­zei­ti­ge Besin­nung auf die Hel­den der Befrei­ungs­krie­ge – Scharn­horst, Gnei­sen­au, Clau­se­witz –, vor allem auch auf die Waf­fen­brü­der­schaft zwi­schen Russ­land und Preu­ßen. Das schläft dann wie­der ein. 1983 wird Luther gefei­ert. Kurz danach, 1986, ist Fried­rich an der Rei­he. Ingrid Mit­ten­zwei, eine sehr aner­kann­te His­to­ri­ke­rin aus der DDR, schreibt schon in den 1970ern eine viel beach­te­te Fried­rich-Bio­gra­fie. Sie nimmt Abschied vom alten Bild: Fried­rich, der Faschist, der Vor­läu­fer Hit­lers, der Knech­ter der Bau­ern, der Freund der Jun­ker­klas­se. Fried­rich wird nun als in Gren­zen reform­ori­en­tier­ter König ver­mit­telt, als tole­rant, als Mon­arch auch, der der Reli­gi­on und dem Chris­ten­tum skep­tisch gegen­über­steht. Damit konn­te man in der DDR punk­ten. Hon­ecker hat­te sogar ver­sucht, Fried­richs Leich­nam von Hechin­gen nach Pots­dam zu holen.

Wie kam Fried­richs Preu­ßen mit Sach­sen zurecht?

Im ers­ten Schle­si­schen Krieg war Sach­sen auf der Sei­te Preu­ßens. Dann wech­sel­te es die Sei­ten, bei­de Staa­ten befan­den sich in har­ter Kon­kur­renz. Sach­sen war Preu­ßen lan­ge vor­aus, hat­te frü­her die Königs­kro­ne – wenn auch kei­ne deut­sche, so doch die pol­ni­sche. 1763 ist ein Schlüs­sel­jahr, Sach­sen ver­liert das Ren­nen. Nach dem Huber­tus­bur­ger Frie­den ist das Land am Ende. Erst nach dem Tod Fried­rich Augusts II. von Sach­sen wird eine gro­ße Staats­re­form ein­ge­lei­tet, refor­miert sich Sach­sen nach preu­ßi­schem Vor­bild. Seit der Zeit des Alten Fritz hat es aber nie eine wirk­li­che Ver­stän­di­gung zwi­schen Sach­sen und Preu­ßen gege­ben, auch wenn es dynas­ti­sche Ver­bin­dun­gen gab. Ein Bei­spiel: Die ers­te deut­sche Kai­se­rin ab 1871, Augus­ta, die Frau von Wil­helm I., war eine Prin­zes­sin aus dem Haus Sachsen-Weimar.

Taugt Fried­rich heu­te als Vor­bild – für Poli­ti­ker zum Bei­spiel –, oder nur noch als Lehr­stoff für Geschichtsbücher?

Ich fürch­te, letz­te­res ist der Fall. Dabei könn­te er Vor­bild sein. Für Soli­di­tät, für den Wil­len, der All­ge­mein­heit zu die­nen, eige­ne Inter­es­sen zurückzustellen …

Ein Leben im Wider­spruch: Heu­te vor 300 Jah­ren wur­de Fried­rich II. gebo­ren – und genau­so lan­ge hält er die Deut­schen in Atem: 1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars
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