Zwischen 1933 und 1945 entzog die Universität in Niederschlesien 262 akademische Grade und Ehrengrade. Rehabilitiert wurde bislang niemand.
George Mundelein, ein Sohn deutscher Auswanderer, hatte es in Amerika weit gebracht. Während des Ersten Weltkriegs wurde er Erzbischof von Chicago, 1924 erhielt er von Papst Pius XI. das Kardinalsbirett. Bald gehörte er zu den Beratern von Präsident Franklin D. Roosevelt. Hitlers Aufstieg auf der anderen Seite des Atlantiks prangerte er öffentlich an: „Ihr werdet vielleicht fragen, wie eine Nation von 60 Millionen Menschen, intelligenten Menschen, sich in Furcht und Knechtschaft einem Ausländer unterwerfen kann, einem österreichischen Tapezierer, und – wie mir gesagt wird – einem schlechten dazu“, sagte Mundelein 1937 vor katholischen Seminaristen. Hitler persönlich beschwerte sich, der Augsburger Weihbischof Franz Xaver Eberle richtete die Klage im Vatikan aus: Derartige Beleidigungen träfen nicht nur Hitler, sondern das gesamte deutsche Volk – und hätten zu unterbleiben.
Mundelein wurde daraufhin von der nationalsozialistischen Propaganda als „Judensprachrohr“ verunglimpft. Auch die Universität Breslau leistete ihren Beitrag. 1921 hatte deren katholisch-theologische Fakultät dem Erzbischof die Ehrendoktorwürde verliehen – als Anerkennung dafür, dass er sich nach Ende des Ersten Weltkriegs für notleidende Deutsche eingesetzt hatte. Nun erkannte sie ihm den Titel ab. Da Mundelein in Amerika direktem Zugriff deutscher Stellen entzogen war, leistete die Universität damit einen Stellvertreterdienst, um ihn als Regimekritiker zu kriminalisieren. Bereitwillig ließen sich Rektor wie Dekane durch die nationalsozialistische Doktrin vereinnahmen. Am 26. November 1937 konnten sie nach Berlin melden, mit der Aberkennung sei „den maßgeblichen Ministerien ein Instrument“ an die Hand gegeben, das sich als „politische Waffe nach Gutdünken“ einsetzen lasse. Der Vorgang selbst blieb kein Einzelfall und reihte sich ein in eine Kette vielfältiger Aktionen, mit denen die Hochschulen ihre vormals stolz verteidigte Autonomie zu Grabe trugen.
Verfolgungsopfern und Regimekritikern im In- und Ausland die akademischen Grade abzuerkennen wurde zu einem probaten Mittel deutscher Hochschulen, um ihre Ergebenheit gegenüber der politischen Führung zu demonstrieren. Breslau war hierfür nur ein Beispiel. Wer als Regimegegner galt, wurde von Fall zu Fall entschieden. Die Akten des Breslauer Universitätsarchives geben darüber umfassend Auskunft: Wenig verwunderlich ist, dass vor allem jüdischen Bürgern das Schicksal Mundeleins widerfuhr. Aufgrund „der Rassenzugehörigkeit ist ohne weiteres eine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus anzunehmen“, heißt es in den Akten der Breslauer Polizeibehörde.
Wem wegen Herkunft oder politischer Orientierung die Staatsmacht ohnehin im Nacken saß, dem schadete die Aberkennung seiner akademischen Titel doppelt. Auch jene, die vor der nationalsozialistischen Verfolgung ins Ausland flüchten konnten, spürten sie weiter. Der Verlust akademischer Grade wog im Exil schwer, behinderte er doch die berufliche wie gesellschaftliche Integration. Genau daran aber war der politischen Führung in Deutschland gelegen im Kontext eines „perfekt ausgeklügelten Systems der Rechtsbeugung mit dem Zweck, die geächteten Emigranten … nachträglich zu vernichten“, wie es der Politologe Hans Georg Lehmann zusammengefasst hat.
Besonders prekär war die Lage für rassisch wie politisch verfolgte Personen, die sich nicht dem nationalsozialistischen Unrechtsregime entziehen konnten. Theodor Wohlfahrt war einer von ihnen. Ihm wurde sein Doktortitel der Rechtswissenschaft vermutlich aberkannt wegen der Liebesbeziehung zu einer „arischen“ Frau. Im Jargon der NS-Justiz lautete der Vorwurf „fortgesetzte Rasseschändung“. Wohlfahrt verlor alles: seinen Titel, seine Frau und zuletzt, in Auschwitz, sein Leben.
Fällte der Breslauer Uni-Senat das Urteil „Des Tragens eines deutschen akademischen Grades nicht würdig“ bedeutete dies, auch wenn es nicht so schlimm kam wie im Falle Wohlfahrts, den Ausschluss aus der wissenschaftlichen Elite. Die Liste der Betroffenen in Breslau umfasst dabei die gesamte Spitze des damaligen Bürgertums der Stadt. Der Schwiegersohn des schlesischen Nobelpreisträgers Paul Ehrlich verlor seinen Titel ebenso wie der Theologe Paul Tillich, der Schriftsteller Walter Meckauer, der SPD-Politiker Otto Landsberg, nach dem Ersten Weltkrieg Reichsjustizminister im Kabinett Scheidemann, der Mathematiker Hermann Kober und der spätere Landesrabbiner von Württemberg, Fritz Elieser Bloch. Mit weit mehr als 200 aberkannten Titeln errang Breslau nach Wien den unrühmlichen zweiten Platz unter den Universitäten im Deutschen Reich. Vielfach machten diese sich in vorauseilendem Gehorsam zu Vollstreckern der NS-Politik.
Während die meisten westdeutschen Hochschulen die Opfer rehabilitierten, wenn auch mitunter erst Jahrzehnte später, geschah das in Breslau bis heute nicht. Auch, weil die Rechtsnachfolge durch den ungeklärten Territorialstatus offenblieb. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs wuchs allerdings jenseits der Oder der Wunsch, sich der Vergangenheit der Universität – auch kritisch – stärker zuzuwenden. An die neun Nobelpreisträger zum Beispiel, die die Hochschule bis 1945 hervorgebracht hat, erinnert man sich längst wieder gern.
Im Jahr 2011 dann feierte die Universität den zweihundertsten Jahrestag der Gründung der alten Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität. Dabei war das unter deutscher Leitung begangene Unrecht Gegenstand einer wissenschaftlichen Konferenz. „Das Thema stieß vor zwei Jahren auf großes Interesse“, sagt Krzysztof Ruchniewicz, Historiker und Direktor des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien der Universität Breslau. „Es hat eine Diskussion ausgelöst, die hier noch nicht abgeschlossen ist.“ Die Universitätsleitung sei sich des „schmerzlichen Sachverhalts bewusst“, den man derzeit wissenschaftlich untersuchen lasse, sagt Adam Jezierski, Prorektor für Wissenschaft und internationale Beziehungen der Universität Breslau. Die Frage, wie von polnischer Seite mit den Aberkennungen bis 1945 umgegangen werden könne, sagt er, sei zwar zurzeit „offen“. „Gewiss“ aber werde man handeln. (mit Kai Kranich)