Kreistagskandidaten Heinrich Douffet und Benjamin Karabinski über den demografischen Wandel und die Hausaufgaben in Mittelsachsen
FREIBERG. Am 25. Mai wird der mittelsächsische Kreistag gewählt. Dazu Bilanz gezogen haben nun der älteste und einer der jüngsten Kreisräte aus der zu Ende gehenden Wahlperiode. Ein Gespräch mit Heinrich Douffet (CDU), der am Wahltag seinen 80. Geburtstag feiert, und dem 32-jährigen Benjamin Karabinski (FDP).
Michael Kunze: Kreisrat Heinrich Douffet könnte Ihr Großvater sein, Herr Karabinski. Können Sie von dieser Generation in der Politik etwas lernen?
Benjamin Karabinski: Ich war immer einer der Jüngsten in meiner politischen Arbeit. Als ich bei den Liberalen aktiv wurde, war Jan Mücke aus Dresden, der spätere Parlamentarische Staatssekretär in Berlin, mein Vorbild, obwohl er gar nicht so viel älter ist als ich. Später war es Sachsens Wirtschaftsminister, mein Parteikollege Sven Morlok. Insofern war die Generation von Heinrich Douffet nie mein politisches Vorbild: Hans-Dietrich Genscher etwa erschien mir schon zu weit weg als Jugendlicher.
Mit welcher Motivation haben Sie sich entschieden, in die Politik zu gehen, Herr Douffet?
Heinrich Douffet: Nach dem Krieg sind wir auf der Oberschule stark historisch geprägt worden. Auch bei der Domrestaurierung in Freiberg war ich dabei. Wer in der DDR im Denkmalschutz etwas erreichen wollte, musste sich mit der Politik befassen – und die SED war denkmalfeindlich. Ich war kein Genosse, hatte aber in der Sache komischerweise meist gutes Einvernehmen mit den Zuständigen der Partei. Ich war schon in der DDR im Rat des Kreises, um besseren Zugang zu den Bürgermeistern zu haben. 1990 stellte die Wahl in die frei gewählte Volkskammer ein neues Kapitel dar. Dann rief mich Hans Joachim Meyer, der neue sächsische Minister für Wissenschaft und Kunst, nach Dresden. Ich war für Museen und Denkmalpflege zuständig.
Wie würden Sie das Klima im Kreistag einschätzen, der in seiner jetzigen geografischen Zusammensetzung 2008, nach der Kreisgebietsreform, erstmals gewählt wurde?
Karabinski: Der regionale Zusammenhalt ist größer als der innerhalb einer Partei über die großen Entfernungen, die der neue Kreis mit sich gebracht hat. Jeder kämpft für seine Region, was auch daran liegt, dass jeder Bewerber in einem geografisch fest umrissenen Wahlkreis kandidiert, für den er sich verantwortlich fühlt. Beispiele sind der Einsatz für das Autokennzeichen „FG“ oder die Frage nach dem Standort des Arbeitsamtes. Im Norden des Kreises konnten wir aus Freiberg mit unseren Vorstellungen kaum punkten, was wenig verwunderlich ist. Insgesamt war es nicht gut, dass die neuen Kreisgrenzen anscheinend am Schreibtisch entworfen wurden, ohne Rücksicht auf lokale Traditionen.
Douffet: Das stimmt. Manche Regionen des neuen Kreises haben eine historisch kaum überein zu bringende Entwicklung hinter sich. Wo liegt die Verbindung zwischen Neuhausen im Erzgebirge und Penig an der Zwickauer Mulde? Mittweida und Rochlitz haben historisch nie etwas mit Freiberg zu tun gehabt.
Was hätte besser laufen können?
Karabinski: Man hätte einen westerzgebirgischen und einen osterzgebirgischen, bis nach Dippoldiswalde reichenden Kreis bilden sollen. Der eine hätte sein Zentrum in Annaberg-Buchholz haben können, der andere in Freiberg. Damit wäre mancher Mentalitätskonflikt verhindert worden.
Welche Chancen und Risiken sehen Sie für die Zukunft, beispielsweise durch die demografische Entwicklung?
Douffet: Ich sehe die Lage sehr negativ. Reiche Gesellschaften wie die deutsche haben wenige Kinder. Auf der ganzen Welt ist das so, trotz vieler Förderangebote für Familien. An einer sinnvollen, freilich nicht überstürzten und gezielten Migrationspolitik kommen wir nicht vorbei. Doch auch der Kreis hat seine Hausaufgaben zu erledigen – im Nahverkehr zum Beispiel oder bei der Krankenversorgung.
Karabinski: Im Ganzen sehe ich es positiver. Ich habe drei Kinder. Viele Freunde von mir gründen nun Familien, wenn auch später als früher. Wir bauen Kitas aus, auch Grundschulen. Freiberg entwickelt sich positiv. Anders ist es leider in kleineren Gemeinden. Im Großen und Ganzen sind aber selbst im ländlichen Raum zum Beispiel die Schulen bestandssicher.
Vorerst. Abgesehen von Dresden oder Leipzig, weniger deutlich schon in Chemnitz, könnte in Sachsen in zehn Jahren eine neue Schulschließungswelle drohen. Nach wie vor schrumpft eine Generation gegenüber der vorherigen deutschlandweit um ein Drittel. Vor allem in den neuen Ländern darbt der ländliche Raum.
Karabinski: In den Städten entstehen Arbeitsplätze. Wer auf dem Land wohnt, muss allerdings zu den Arbeitsplätzen pendeln. Im Kreis geht es darum, dass Bürger, die das Landleben in Rechenberg-Bienenmühle oder Sayda schätzen, zu ihrer Arbeitsstelle kommen können, über gute Straßen oder mit einem leistungsfähigen Öffentlichen Personennahverkehr. Dessen Netz muss erhalten werden.
Douffet: Als älterer Mensch habe auch ich mir über das Leben auf dem Land Gedanken gemacht. Wer nicht mobil ist, für den ist es schwierig. Wir können ja nicht sagen: „die Jungen in die Dörfer, die Alten in die Städte“. Die Frage der Schulstandorte ist nach wie vor drängend. Wir schicken jetzt schon Grundschüler über viele Kilometer hin und her.
Inwiefern sehen Sie Lösungen?
Karabinski: Wir sollten in Fächern wie Musik oder Sport, Religion, Ethik oder Sachkunde öfter jahrgangsübergreifend unterrichten, um Schulstandorte zu erhalten und dennoch Personal einzusparen. Rechenberg-Bienenmühle ist so ein Fall. Letzten Endes ist das aber keine Angelegenheit des Kreises, sondern des Freistaats.
Douffet: Es wäre schon ein Erfolg, die ersten beiden Schuljahrgänge nicht mehr auf die Reise schicken zu müssen.
Worin liegt der Beitrag des Landkreises für eine gute Entwicklung Mittelsachsens?
Douffet: Ein wichtiges Handlungsfeld ist die Verkehrspolitik. Hier bereitet der schlauchartige Zuschnitt des Kreises Nachteile. Insgeheim rechne ich damit, dass das nicht die letzte Kreisgebietsreform war. Wir müssen aufpassen, mit all den Zusammenlegungen den Leuten nicht die Heimat wegzunehmen. Oft stehen Fragen der Wirtschaftlichkeit gegen solche der Versorgungssicherheit oder der Identität. Auch die für Ende 2015 vorgesehene Stilllegung der Bahnstrecke von Meißen nach Döbeln ist ein schwerer Schlag. Freiberg nach Nossen hin anzuschließen, ist damit nicht mehr möglich, was auch auf Gewerbeansiedlungen Einfluss haben könnte.
Karabinski: Ich sehe die Arbeit des Kreises positiv, vor allem die von Landrat Volker Uhlig. Er rührt mit viel Einsatz die Werbetrommel für Mittelsachsen. Denken Sie an die Reise nach Vietnam. Uhlig geht auf die Leute zu. In Verwaltungsfragen könnten Kreis und Kommunen aber besser zusammenarbeiten. Für den Bürger ist egal, ob er vom Kreis oder vom Einwohnermeldeamt seiner Gemeinde den Führerschein ausgestellt bekommt.
Wenn Sie sich für den Kreis Mittelsachsen etwas wünschen könnten, was wäre das?
Karabinski: Die verschiedenen Regionen des Kreises müssen lernen, ein Gespür für die Mentalitäten und Bedürfnisse zu entwickeln. Um mitzuhelfen, würde ich gern wieder in den Kreistag gewählt werden.
Douffet: Für Rochlitz oder Mittweida fehlt mir das Wissen zu den einzelnen Bedürfnissen. Für Freiberg und die Region wünsche ich mir eine bessere Anbindung an die Autobahn. Außerdem muss die Umgehungsstraße für Freiberg in Richtung Erzgebirge zustande kommen.
Heinrich Douffet
Geboren 1934 in Teplitz/Teplice (Tschechoslowakei), studierte Heinrich Douffet von 1952 bis 1957 Geologie an der Bergakademie Freiberg.
Bis 1983 arbeitete er beim Geologischen Dienst in Freiberg, bis 1990 am Bezirkskunstzentrum in Karl-Marx-Stadt. 1975 wurde er an der Uni Greifswald promoviert und wirkte von 1963 bis 1989 als Kreisbeauftragter für Denkmalpflege Freiberg. Für die CDU, der er seit 1983 angehört, zog er 1990 in die einzige frei gewählte Volkskammer ein. 1991 wechselte er als Referatsleiter für Museen und Denkmalpflege ins Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst Dresden. Er ist verheiratet und hat ein Kind. Dem Kreistag, für den er erneut kandidiert, gehört er seit 2008 an.
Benjamin Karabinski
Der gebürtige Freiberger (Jahrgang 1981) hat drei Kinder und studierte von 2002 bis 2007 an der Universität Leipzig Geschichte und Gemeinschaftskunde auf Lehramt für Gymnasien. Seither ist er selbstständig tätig im Bereich Jugend- und Erwachsenenbildung, nach eigenen Worten „sehr eingeschränkt“ auch über das Jahr 2009 hinaus, als er für die FDP in den sächsischen Landtag einzog. Dort hat Karabinski das Amt des Innenpolitischen Sprechers inne und ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Der FDP gehört er seit 1999 an, in deren Nachwuchsorganisation er zeitweise Landesvorsitzender war. In den Kreistag, für dessen Neuwahl er kandidiert, wurde er erstmals 2008 gewählt.