Der Leipziger Journalist und Politologe Uwe Krüger hat ein Buch geschrieben über die deutsche Medienlandschaft und deren Verhältnis zu Lesern, Hörern, Zuschauern. Es ist die Geschichte einer Vertrauenskrise mit vielfältigen Ursachen.
CHEMNITZ. „Dass in den Medien gelogen wird, ist an der Tagesordnung“, schrieb mir kürzlich ein Freund. Endzwanziger und TU-Freiberg-Absolvent. Polyglott, intelligent, attraktiv. Keiner, der es zu nichts gebracht hätte, der mit dem Leben hadert. Stattdessen postet er auf Facebook Fotos von Türkeiurlauben, von Besuchen mit Freunden in der tschechischen In-Metropole Prag oder solche, die er im Hubschrauber schießt, während der über den Grand Canyon fliegt.
Wie begründet er aber den seiner Meinung nach durch namhafte Medien verursachten Vertrauensbruch? „Weil sie nicht ausgewogen berichten“, so der junge Mann – und nennt den Irakkrieg als Beispiel oder Berichte über den Gaddafi-Sturz in Libyen, die Lage in Syrien, den Ukrainekonflikt. Ständig werde auf angebliche Russlandversteher wie ihn eingedroschen, die Verantwortung des Westens für politische Krisen aber unterbelichtet oder ganz außen vor gelassen.
So äußert er sich, der nicht mehr ganz neue TV‑, Radio- und Pressefrust über Alters- und Schichtgrenzen, parteipolitische Lager hinweg. Ein Einzelfall? Mitnichten, stellt der Leipziger Journalist und Politikwissenschaftler Uwe Krüger in seinem Buch „Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen“ fest. Die 170 Seiten lange und gut verständliche Arbeit ist die Chronik einer Vertrauenskrise zwischen den deutschen Leitmedien, denn auf die beschränkt sich das Buch – von „ARD“ und „ZDF“ über „Deutschlandfunk“ und „Frankfurter Rundschau“, „Welt“ und „Focus“ bis „Spiegel“ oder „Süddeutsche Zeitung“ – und ihrem Publikum.
In acht Kapiteln leistet sie eine vielschichtige Ursachensuche, die einerseits die Umstände klar benennt, unter denen viele Medien – unabhängig davon, ob öffentlich-rechtlich oder privat organisiert – im Internetzeitalter arbeiten. Zum andern schaut der bei der Leipziger Volkszeitung ausgebildete Journalist auf Gründe für die skeptische bis feindselige Haltung vieler Nutzer gegenüber der Berichterstattung zu ausgewählten Themen.
Sein Ausgangspunkt: Der Jahreswechsel 2013/14, seitdem deutschlandweit ein großer Chor angeschwollen ist, der seine Medienkritik in Leserbriefen und vor allem im Internet auf Schlagworte bringt wie „Mainstream-“ oder „Systemmedien“, „Gleichschaltung“ oder „Lügenpresse“. Was war passiert? Proteste in der Ukraine gegen die Politik des damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, der ein Assoziierungsabkommen mit der EU abgelehnt hatte, waren in Gewalt umgeschlagen. Anfangs friedlich, arteten sie in Straßenschlachten aus – mit Dutzenden Toten. Janukowitsch floh. Nach Demonstrationen gegen die neue prowestliche Kiewer Regierung auf der Krim sickerten auf der Halbinsel Soldaten ohne Hoheitsabzeichen ein, die nach einem Referendum an Russland angegliedert wurde. Aus Moskau war währenddessen von einem faschistischen, aus Amerika gesteuerten Putsch in der Ukraine die Rede, während die Mehrheit deutscher Leitmedien in ihren Kommentaren von einer demokratischen Revolution sprach, so Krüger, und nach der völkerrechtswidrigen russischen Krim-Annexion harte Sanktionen forderte. „Eine Deutung“, schreibt der an der Leipziger Uni lehrende Wissenschaftler, „gegen die tausende deutsche Leser, Hörer, Zuschauer und Internetnutzer Sturm liefen.“ Krüger listet eine Vielzahl von Beiträgen auf, in denen diese Linie kritisiert wurde: Von „einseitigen Berichten zur Krim-Krise“ im „Deutschlandfunk“ war darin die Rede, „ekelhafter Doppelmoral“ in der Auseinandersetzung mit der Abstimmung auf der Halbinsel in der „Systempresse“. Ein Nutzer bei „faz.net“ schrieb, die dortigen Darstellungen ignorierten „wichtige Details und ganze Sinnzusammenhänge“.
„Tatsächlich“, so Krügers Fazit, „hat der deutsche Medien-Mainstream in der Ukraine-Frage nicht nur ein sehr enges Meinungsbild präsentiert. Es gab auch eine Reihe von Falschinformationen, falschen Bebilderungen und vernachlässigten Fakten, die alle in dasselbe Muster passten“. Sie hätten die Maidan-Bewegung in gutem Licht erscheinen lassen und seien zulasten der prorussischen Fraktion gegangen. Seine Analyse belegt er mit vielen Beispielen – etwa, dass an den Maidan-Demonstrationen gegen Janukowitsch tatsächlich „militante Radikal-Nationalisten und Rechtsextreme maßgeblich beteiligt“ gewesen seien, zum Beispiel die Partei Swoboda, „die auch vor Waffen-SS-Nostalgie und öffentlicher Gewalt nicht zurückschreckte“ und die nach dem Sturz des Präsidenten Ministerposten in der Übergangsregierung erhalten hat. Dabei ist der Ukrainekonflikt nur ein Exempel von vielen – er kritisiert auch die Pegida-Berichterstattung oder jene zur aktuellen Migrationspolitik, die Vorzüge von Zuwanderung gegenüber Risiken hervorhebe. Als ein älteres Beispiel verweist Krüger auf den Umgang deutscher Medien mit dem Irakkrieg, in dessen Vorfeld die Darstellung der amerikanischen Regierung unter George Bush jun., Saddam Hussein verfüge über Kernwaffen, unkritisch verbreitet wurde.
Der promovierte Diplom-Journalist zeichnet das Bild einer Medienlandschaft, die durch das Internet ökonomisch unter Druck geraten sei und deren Vertreter sich immer weniger Zeit nähmen für tiefgreifende Recherche („Die Suppe wird dünner“), die sich zudem seit Jahrzehnten personell aus einem sehr homogenen gesellschaftlichen und politischen Spektrum speise, in dem Andersdenkende und ‑sozialisierte selten seien. Er stellt fest: In „Sachen Bildungsstand, Parteineigung und Milieuzugehörigkeit“ sind Deutschlands Journalisten „keineswegs ein Spiegel der deutschen Bevölkerung“. Dies habe auch eine große Journalistenbefragung aus dem Jahr 2005 neben anderen Untersuchungen gezeigt, die zum Ausdruck brachte, dass sich seinerzeit 36 Prozent des Berufsstandes politisch den Grünen nahefühlten – bei der Bundestagswahl im selben Jahr kam die Partei auf 5,4 Prozent der Erst- und 8,1 Prozent der Zweitstimmen. Überdies hätten 69 Prozent der Journalisten einen Hochschulabschluss bei 14 Prozent der Gesamtbevölkerung. Zwei Drittel aller Journalisten seien in einem „gut abgesicherten Angestellten- oder Beamtenhaushalt“ großgeworden, Arbeiterkinder stellten eine kleine Minderheit dar. Dass deshalb vor dem Hintergrund abweichender Werdegänge Weltsicht und Wertemuster von jenen der Gesamtbevölkerung abwichen, sei wenig verwunderlich.
Schließlich verweist Krüger auf die so wenig überraschende wie problematische Abhängigkeit der Journalisten von ihren Quellen: Informationen von Insidern aus Politik, Kultur, Wirtschaft etwa – von Leuten also, die sich mit einer Thematik auskennen, da sie ihr zum Beispiel von Berufs wegen verhaftet sind –, gebe es meist nur, wenn diese zu den Regeln publiziert würden, die von dort vorgegeben werden. Wer davon abweicht, verliere das Vertrauen der Zirkel, ist womöglich künftig vom Informationsfluss abgeschnitten.
Dem entgegen stehe das Vertrauen der Mediennutzer, die nicht das Gefühl bekommen dürften, Journalisten seien Sprachrohre der Mächtigen. Daraus rühre die Gefahr her, dass „gut gemeinte Einseitigkeiten“ Wirklichkeit unterdrückten. Lücken und Tendenzen kennzeichneten oftmals die Berichterstattung, nicht eine von Politik, Wirtschaft oder dunklen Mächten gesteuerte Gleichschaltung.
Ist die Entfremdung zwischen Medien und Nutzern gefährlich? Ja, sagt Krüger: „Es geht ums Ganze.“ Und verweist auf ein Repräsentationsdefizit, das viele Bürger ausmachten. Was also tun? Journalisten müssten im Webzeitalter „mehr [die] Auseinandersetzung mit den Menschen“ suchen. Dazu sollten „Daten, Fakten sowie Sichtweisen und Werte“ offengelegt werden, zitiert er mit Heiko Hilker ein Mitglied des MDR-Rundfunkrats, das lange Zeit für die Linkspartei im Sächsischen Landtag saß. Inszenierungen und die Interessen der Mächtigen dürften nicht nur in Fachmagazinen oder nächtlichen Dokumentationen (auf Spartenkanälen) thematisiert werden. Dies gehöre in die reichweitenstärksten Sendungen. Statt einer „pädagogisch-paternalistischen Haltung“ komme es darauf an, dass die Medienelite gegenüber ihrem Publikum Grundvertrauen in dessen Mündigkeit entwickle: „Vielleicht“, schließt Krüger, „ist das der Weg zu einem neuen Verhältnis zwischen Journalisten und Nutzern, zu einem Verhältnis auf Augenhöhe.“
Die Studie „Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen“ von Uwe Krüger ist im C.H.-Beck-Verlag, München 2016, erschienen. Sie hat 170 Seiten und kostet 14,95 Euro.