Nahrungsmittel ohne tierische Inhaltsstoffe liegen in Deutschland im Trend. Auch namhafte Körperpflegemittel-Hersteller drängen auf den Markt – mit teils überraschenden Produkten.
DRESDEN/CHEMNITZ. Zahnpasta und Parfüm, Seife und sogar Kondome: So vielfältig ist die Auswahl tierfreier und ohne Tierversuche hergestellter Produkte mittlerweile. Das mag viele Kunden erstaunen – Carolin Fritzsche hat dafür aber eine einfache Erklärung: „Für vegane Körperpflegeartikel spricht das Gleiche wie für vegane Lebensmittel: Man kauft sie, damit Tiere nicht leiden müssen, bloß damit wir uns wohlfühlen oder schön bleiben“, sagt die Vize-Vorsitzende des Dresdener Vereins Modereco, der Nachhaltigkeit fördern will und ökologisches Bewusstsein.
Die aus dem vogtländischen Ellefeld stammende Doktorandin ernährt sich vegan und kauft auch ab und an derartige Körperpflegeprodukte. Ihr Argument für veganes Duschbad: „Es geht ja bei Tierversuchen zur Herstellung konventioneller Pflegeprodukte nicht darum, Krankheiten wie Krebs zu heilen. Die Tiere leiden aber.“
Sind jedoch vegane Produkte besser oder schlechter als solche, die tierische Erzeugnisse enthalten? Weder – noch, sagt der Chemnitzer Apotheker Tobias Liebold. Er erklärt dies damit, dass noch immer selten daran geforscht werde, tierfreie Körperpflegeprodukte weiterzuentwickeln. Zurzeit stehe im Vordergrund, pflanzlichen Ersatz zu finden für bisher verwendete tierische Inhalte. Hat das Folgen für die Wirksamkeit?
Wie jemand auf eine Substanz reagiert, hänge ab von Stoffart und Konzentration. Auch auf reiner Pflanzen- oder synthetischer Basis erzeugte Bestandteile wirkten, erklärt Liebold. Mehr Vorsicht hält er bei der Frage geboten, wie verträglich vegane Pflegeprodukte sind. Da müsse noch mehr geforscht werden, denn die in konventionellen Fabrikaten enthaltenen tierischen Stoffe seien – anders als viele erst vor Kurzem eingeführte pflanzliche Substitute – oftmals seit Jahren im Einsatz. Das heißt auch: Sie sind besser auf Gefahren wie allergieauslösende Inhalte hin untersucht. Ob tierische Stoffe in jedem Fall durch eine pflanzliche oder künstlich erzeugte Alternative ausgetauscht werden können, ist für ihn nicht das Problem.
Auch jenseits von Pflegeprodukten kennt er viele Beispiele, bei denen vormals verwendete tierische Substanzen durch nicht tierische ersetzt werden konnten – etwa mit biochemischen Methoden hergestellter Insulinersatz. Oder Nahrungsergänzungsmittel wie Vitaminpräparate, in denen nicht tierische Stoffe Gelatine ersetzen. Auch für Seefischöl, das wegen mehrfach ungesättigter Fettsäuren traditionell gegen erhöhte Blutfettwerte eingesetzt wird, seien inzwischen Äquivalente verfügbar, die aus Algen gewonnen werden.
Frauen mehr interessiert als Männer
Der Markt für vegane Produkte wächst jedenfalls rasant, die Anzahl der Veganer in Deutschland auch: 1,3 Millionen sollen es mittlerweile sein, dreimal so viele wie 2011, sagt Christian Vagedes, Vorsitzender der Veganen Gesellschaft Deutschland. Die Drogeriemarktkette dm nannte auf ihrer Internetseite im Mai 2015 eine Anzahl von 900 000. Auch wenn die Zahlen auseinanderklaffen: Auf alle Fälle sind es mehr als 80 000. Von dieser Anzahl war 2008 in der Verzehr-Studie die Rede, die das Bundesverbraucherschutzministerium in Auftrag gegeben hatte.
Daten des Marktforschungsunternehmens Nielsen zum deutschen Lebensmittelmarkt zeigen zudem: Seit 2011 soll allein der Anteil für vegane Nahrung am Gesamtmarkt im zweistelligen Prozentbereich gewachsen sein – und weiter entsprechend wachsen. Eine Entwicklung wie seit dem Aufkommen von Bio-Produkten, die in der Lebensmittelbranche längst ein wichtiger Umsatztreiber sind? Immerhin zehn Prozent aller Erzeugnisse, die neu auf dem deutschen Markt eingeführt werden, seien mittlerweile als vegan ausgewiesen, sagt Vagedes, zusätzlich sechs Prozent als vegetarisch. 2013 waren nur drei Prozent als vegan gekennzeichnet. Ob dahinter vorrangig eine Marketingstrategie steckt – ohnehin vegane Produkte extra als solche auszuweisen, da sie „in“ sind –, sei dahingestellt. Gestützt werden die Daten von weiteren Nielsen-Erhebungen, denen zufolge in Deutschland der Wert verkaufter veganer und vegetarischer Erzeugnisse von Mai 2014 binnen eines Jahres von 230 auf 289 Millionen Euro gestiegen ist.
Für Adelheid Nowitzky, Vorstandsmitglied der VG Verbrauchergemeinschaft für umweltgerecht erzeugte Produkte, die vier Biomärkte und einen Naturwarenladen in Dresden betreibt, kommt der Trend nicht überraschend. „Bei uns hat sich allein die Anzahl inhaltlicher Nachfragen zu veganer Körperpflege in den vergangenen acht Jahren etwa verdoppelt.“ Vor allem jüngere Kunden seien interessiert, Frauen mehr als Männer. Viele probierten zunächst vegane Lebensmittel aus und kauften später auch entsprechende Körperpflegeprodukte, sagt Nowitzky. Das Angebot der VG reicht dabei im Naturwarenladen Dresden-Mitte von Herstellern oder Marken wie Lenz oder Lavera bis Logona oder Weleda.
Nicht immer sind vegane Erzeugnisse aber leicht identifizierbar. Meist vermerken Hersteller zwar „vegan“ auf der Verpackung. Teils ist das auch hierzulande verbreitete V- oder Blumensymbol der „Vegan Society England“ abgebildet. „Doch im Zweifel sollten Kunden nachfragen“, rät Nowitzky. Die Vermutung, dass vegane Produkte durchweg teurer seien als konventionelle, kann sie nicht bestätigen. „Anders ist es oft, wenn sie zusätzlich Bio-Qualität aufweisen“, sagt Modereco-Vize Fritzsche.
Ob teurer oder nicht: Dass derartige Pflegeprodukte den Sprung aus der Nische geschafft haben, fällt spätestens auf, seit namhafte Kosmetikhersteller mit eigenen Angeboten in den Markt drängen. CD etwa brachte kürzlich ein veganes Männer-Deo heraus. Auch für dm wird das Geschäft wichtiger: Davon zeugen die Körperpflegemarke Alverde und die Kooperation mit der erst vor fünf Jahren gegründeten Supermarktkette Veganz – mit einem Markt auch in Leipzig vertreten –, deren Produkte die Branchengröße seit diesem Jahr in Hunderten Filialen anbietet.
Schäferstündchen ohne Kuhmilch
Wenig überraschend: Auch im Internet auf Portalen wie www.vegane-pflege.de blüht das Geschäft – nicht nur mit Deo oder Körperlotion. Selbst vegane Tattoo-Pflege oder Peelings stehen in den virtuellen Regalen.
Und neuerdings auch Kondome. Anna Schaaf von vegane-pflege.de im baden-württembergischen Neckargemünd will zwar nicht sagen, wie gut die sich verkaufen – es seien aber „viele, und die Nachfrage steigt stetig.“ Tierfrei hergestellte Präservative werden aus Naturkautschuklatex und – das ist das Entscheidende – ohne den Milch-Proteinanteil Kasein hergestellt.
Während Deutschlands absatzstärkster Kondomhersteller Durex und Wettbewerber Mapa („Billy Boy“) darauf nicht verzichten, um die Elastizität sicherzustellen, wie die Sprecher beider Häuser mitteilen, hält Schaaf die von ihr angebotenen veganen Kondome des Herstellers ESP für genauso gut. Teurer sind sie auch kaum: Acht Durex-Classic-Kondome sind für 10,39 Euro zu haben. Drei ESP-Präservative kosten bei ihr 2,50 bis 4 Euro – je nach Größe, Farbe, Wandstärke. Für Schäferstündchen ohne Kuhmilch.