Gelebte Ökumene: Die Diakonissen in der Dresdener Neustadt zählen auch Priester zu ihren Kunden.
DRESDEN. Seit dem Jahr 1866 backen die evangelischen Diakonissenschwestern in der Dresdener Neustadt Hostien. Die Bäckerei befindet sich inmitten eines weitläufigen Krankenhausgeländes mit Betreutem Wohnen und Kirche, nur einen Steinwurf entfernt von der Elbe. „Im Zweiten Weltkrieg“, sagt Pfarrer und Rektor Thilo Daniel beim Rundgang über das Gelände, „gab es hier große Zerstörungen.“ Mehr als drei Viertel der Gebäudesubstanz waren zerstört worden. „Lange war man sich später unsicher, ob die Anlage wieder aufgebaut werden soll.“
Dass die Impulse dafür stark genug wurden und der Wiederaufbau unter DDR-Bedingungen realisiert werden konnte, war ausgerechnet auch Freiwilligen aus dem englischen Coventry mit zu verdanken, das von deutschen Flugzeugen im Zweiten Weltkrieg bombardiert worden war. Im Jahr 1965 aber waren es Menschen aus dieser Stadt, die bei einem mehrmonatigen Einsatz am Wiederaufbau in Dresden mitwirkten. Sie bestärkten die verantwortlichen Stellen vor Ort, das Werk fortzusetzen. Eines der berühmten Nagelkreuze ist noch heute sichtbares Zeichen der damaligen Aussöhnung.
Die Hostienbäckerei wiederum ist in einem der Gebäude untergebracht, die 1945 kaum in Mitleidenschaft gezogen worden waren, sagt Thilo Daniel. Darum konnte sie noch im gleichen Jahr ihre Arbeit wieder aufnehmen. Die Anregung dazu, die feinen Oblaten in Dresden herzustellen, kam im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts indes aus dem Diakonissenhaus im mittelfränkischen Neuendettelsau. Dort hatte Pastor Wilhelm Löhe begonnen, die Liturgie der Evangelisch-Lutherischen Kirche zu erneuern. Er war der Meinung, dass zu einer guten, die Menschen ansprechenden Predigt eine würdige Abendmahlsfeier gehöre, in der besonderes Brot und ausgewählter Wein verwendet werden müssten. Das Brot sollten Diakonissen backen.
Seit 1866 stellt die Dresdener Diakonissenanstalt Hostien nun her – während eines Jahres etwa eine Million Stück, die vorrangig an Gemeinden in Sachsen, Thüringen, Berlin, Brandenburg, aber auch darüber hinaus geliefert werden, bis in die Vereinigten Staaten. Auch Priester sowie andere Vertreter katholischer Pfarreien kaufen, wie eine Sprecherin der Diakonissenanstalt Dresden sagt, immer wieder Hostien aus der Hostienbäckerei vor Ort oder haben welche bestellt, wenn sie das Haus besuchten.
In der Dresdner Bäckerei arbeiten drei bis fünf Frauen. Nach traditionellem Rezept rühren sie den Teig mit 1,25 Liter Wasser auf ein Kilogramm Weizenmehl an – „wie beim mit ungesäuertem Brot begangenen Passahmahl Jesu mit seinen Jüngern, an das am Gründonnerstag erinnert wird“, erläutert Schwester Petra Kühn.
Hergestellt auf einem elektrisch beheizten und etwa 140 Grad Celsius heißen Eisen, auf dem je Arbeitstag sechs Kilogramm Teig verarbeitet werden, entstehen aus den Hostienplatten von 37 Zentimetern Durchmesser später je 69 kleine und eine große Schauhostie. Landet eine Kelle Teig auf dem Eisen, zischt und qualmt es. „Das erfordert einige Aufmerksamkeit, sonst bilden sich schnell Blasen“, betont Kühn, die nach dem Backvorgang mit einer Spachtel die Reste vom Eisen schabt. Da frische Oblaten sehr trocken und brüchig sind, kommen sie über Nacht in einen ausgefliesten, voller Regale stehenden und vor allem luftbefeuchteten Raum. Schließlich werden die Hostien einzeln mit einer per Fuß zu betätigenden Stanze aus der Teigplatte gelöst.
Jede der beigefarbenen Oblaten ziert durch entsprechende Motive auf dem Backeisen entweder das Osterlamm mit Siegesfahne oder der Gekreuzigte, die großen Schauhostien aber das Christusmonogramm – das Konstantinische Kreuz aus den übereinandergeschriebenen griechischen Buchstaben Chi-Rho. „Es gibt auch einfachere Varianten – nicht zuletzt aus dem Internet-Versandhandel –, die wir aber nicht herstellen und die nicht verziert sind, dafür dicker und preisgünstiger“, sagt Kühn. Verpackt in Schachteln, gehen die Dresdener Hostien unter dem Gebet der Schwestern für die Empfänger auf den Weg.
Führungen können telefonisch gebucht werden. „Das Angebot nehmen sehr viele Leute wahr, weit mehr, als wir vermutet haben, seit wir es 2016 zur 150-Jahr-Feier mehr publik gemacht haben“, so Kühn. Bei einer Führung wird um eine Spende gebeten, die für den Umzug der Bäckerei vom bisherigen Standort inmitten des Areals in ein Haus mit großem Schaufenster zur Bautzner Straße hin gedacht ist, nur wenige Meter entfernt schräg gegenüber von Pfunds legendärer Molkerei, die täglich unzählige Dresden-Touristen aufsuchen. „Wir wollen“, begründet Rektor Daniel den Plan, „mit diesem wichtigen Dienst künftig für die Leute auf der Straße einfach sichtbarer sein.“