Schloss Rochsburg zeigt Kunstwerke, einige 500 Jahre alt, deren Präsentation andere Museen ablehnten: Die ab 13. April zu sehenden Stücke sind von Zeit, Mensch und Natur teils arg geschundene. Daraus aber erwächst ihre Kraft.
ROCHSBURG. Das Antlitz des Bischofs ist entzweit. Von der Mitra, der Bischofsmütze, über die Stirn, dann rechts der Nase hinab bis zum Hals reicht eine tiefe Wunde, ein Riss. Früh schon dürfte das Lindenholz der wohl um das Jahr 1500 entstandenen Büste aufgeplatzt sein, vermuten die Restauratoren Thomas und Sybille Heinicke, die die auf Schloss Rochsburg im gleichnamigen Lunzenauer Ortsteil öffnende Ausstellung „Das geschundene Kunstwerk“ nicht nur kuratiert haben.
Das bei Waldenburg (Landkreis Zwickau) lebende Ehepaar stellt auch sämtliche Stücke zur Verfügung – als Resultat jahrzehntelanger Sammlertätigkeit. Sie fanden die Exponate an Straßenrändern, in Scheunen, für Ramschpreise auf Flohmärkten, im Kunstgroßhandel. Einstigen Besitzern galten sie als „sammlungsunwürdig“, sagt Heinicke. Dass er es anders sieht, ist ein Glück, an dem auch kunstgeschichtliche Laien auf dem Schloss leicht teilhaben können. Rund 200 Stücke aus etwa fünf Jahrhunderten bieten dazu in zwei großen Räumen Gelegenheit.
Nägel heilen zersprungenes Gesicht nicht
Jene Bischofsbüste ist eines der ältesten – und Zeugnis für lange zurückliegenden Handwerker- und Künstlerpfusch, so der Restaurator. „Um Risse im Holz zu vermeiden, wusste man seinerzeit nämlich längst, dass es darauf ankommt, früh das Kernholz zu entfernen“, sagt der 66-Jährige. Deshalb sind romanische oder gotische Skulpturen, wie sie etwa im nahen Chemnitzer Schloßbergmuseum in großer Anzahl auch von Meistern wie Peter Breuer gezeigt werden, meist rückseitig entkernt. Im konkreten Fall ist das unterblieben, das Holz gerissen. Es trocknete außen schneller als im Innern. Die entstandene Spannung war zu groß. Das Martyrium setzte sich bei späteren Reparaturversuchen fort: Zwei in den Kopf getriebene Nägel – der eine in die Stirnpartie, der andere gegenüber unterhalb der Wange – sollten „heilen“. Erfolglos. Die Wunde klafft noch immer.
Ganz anders geschunden wurde ein wohl im frühen 20. Jahrhundert entstandenes Industriellenporträt. „Es lag mit der Schauseite nach oben im Kohlenkeller einer Chemnitzer Villa“, so Heinicke, „und diente als Aufsatz für die Brikettgabel auf sonst vermutlich unebenem Grund.“ Man muss das sehen – das zerfurchte Bildnis eines wohlhabenden Mannes. Den rechten Arm hat er auf die Stuhllehne gestützt, trägt zwei goldene Ringe an der einen und hält in der andern, auf dem Schreibtisch liegenden Hand ein Bündel Papiere. An der Wand hängt ein Medaillon mit dem Konterfei einer Frau, womöglich der verstorbenen Gattin. Dazu die von Striemen durchbrochene Harmonie. Unzählige sind es, diagonal eingegraben in das Gemälde, durch die Ölfarbe in die Malpappe, zwischen Kohlenresten.
Der materielle Wert vieler der gezeigten Stücke dürfte auch angesichts der Schäden, die sie aufweisen, gering sein, sagt die 52 Jahre alte Sybille Heinicke. Dennoch legen sie mit eigenwilliger Patina Zeugnis ab davon, dass Zeit, Umwelteinflüsse, menschlicher Wahn und Wille sich wandelnde Kunst hervorbringen. Ob sie sammlungswürdig ist, bleibt oder „wegkann“, wie es vor Jahren in einem schnellen Witz oft hieß, liegt im Auge des Betrachters. Dafür kommt es auch auf „Seherfahrungen“ an, schrieb der Kunsthistoriker Martin Warnke 1999. Besondere Vorbildung braucht es dafür nicht, nur Neugier auf die teils schon anrestaurierten Stücke.
Eine Schule des Auges
Die Ausstellung, deren Präsentation nach Heinickes Angaben zwei andere Museen abgelehnt hatten, ist eine Schule des Auges – dank ziselierter Bilderrahmen oder einer Skulpturengruppe von Spielern, denen die Instrumente abhanden gekommen sind, von Hand gemalten Werbeplakaten, einem missglückten Nachguss des berühmten „tanzenden Fauns“ von Pompeji, dessen Original bald 1800 Jahre unter Vesuv-Asche lag, oder einem von Richard Riemerschmid (1868–1957) entworfenem Schreibsekretär, von der Hand jenes zeitweise in Dresden tätigen Münchener Kunstgewerblers also, der „maßgebend die Wohnkultur in Deutschland gefördert“ hat, wie der Kunsthistoriker Hans Vollmer feststellte.
Dass Schlossleiter Lutz Hennig laut Thomas Heinicke gleich „Feuer und Flamme“ gewesen sei, die Exponate zu zeigen, ist eine Freude. So sehen wir neben einigen Werken von der Hand Heinickes Versehrtes, das seine Kraft durch die Wundmale nicht verloren hat – im Gegenteil.
Geöffnet ist die Ausstellung auf Schloss Rochsburg vom 13. April bis 24. November 2019, dienstags bis sonntags, jeweils von 10 bis 17, im November bis 16 Uhr. Schlosseintritt 4, ermäßigt 3 Euro.