Der prominente Politikwissenschaftler Manfred G. Schmidt sprach in Chemnitz über Konsequenzen von Rechtsterrorismus und Finanzkrise.
CHEMNITZ. Folgt nach der Finanz- und Wirtschaftskrise, die die Welt seit 2008 in Atem hält, eine Krise der deutschen Demokratie und ihrer Institutionen? Die täglich neuen Erkenntnisse über das Gewaltpotenzial der sogenannten Zwickauer Terrorzelle könnten diesen Eindruck nahelegen. Der Heidelberger Politologe Manfred G. Schmidt, einer der profiliertesten Vertreter seines Fachs in Deutschland, der jetzt an der TU Chemnitz über die „Zukunft der Demokratie“ referierte, hält von derartigen Deutungen der jüngsten Geschehnisse wenig: „Eine irgendwie geartete Gefährdung der deutschen Demokratie durch rechtsextreme Gewalt sehe ich nicht.“
Trotz des beträchtlichen Ausmaßes der Verbrechen von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, die kürzlich in Eisenach aufgeflogen waren, zeigt sich für Schmidt die deutsche Demokratie in sehr guter Verfassung. Dafür führt er drei Argumente an.
Erstens: Die Deutschen hätten aus ihrer Geschichte gelernt. Von einer Unterwanderung der Bundesrepublik durch (rechts-)extremistische Kräfte könne keine Rede sein. Schmidt sieht in den jüngsten Ereignissen zunächst eine „Herausforderung für die Sicherheitsbehörden“. Es stelle sich aber die Frage, ob „Teile der Verfassungsschutzorgane erst das Problem geschaffen haben, das sie bekämpfen sollten“. Schmidt spricht von den „eigenbrötlerischen Interessen der einzelnen Landesverfassungsschutzämter“.
Zweitens: Im Gegensatz zur Weimarer Republik sei die Bundesrepublik nicht in ihren Grundfesten bedroht, während zwischen 1918 und 1933 neben breiten Teilen der Bevölkerung auch die Eliten gegen die Demokratie mobil machten.
Drittens: Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sehe sich die Demokratie so stark herausgefordert wie lange nicht. Auch böten autoritäre Staaten wie China durchaus Alternativen zum Westen – so das Urteil vieler Politiker in nichtdemokratischen Staaten. Insbesondere die Dynamik Chinas wecke Bewunderung.
Für Schmidt ist die Anziehungskraft der westlichen Demokratien jedoch ungebrochen – und dies belegt er auch mit Zahlen: Wurden im Jahr 1972 weltweit 50 Demokratien gezählt (37 Prozent aller Staaten), waren es im Jahr 2009 bereits 85 (44 Prozent). Kein anderes System gewähre kontinuierlich ein vergleichbares Maß an individueller Freiheit.
Vieles spreche daher dafür, dass das 21. Jahrhundert ein „Jahrhundert der Demokratien“ werde, auch wenn es zwischen den einzelnen Staaten beträchtliche Unterschiede gebe. So müssten viele Demokratien als „defekt“ gelten, zum Beispiel Kolumbien, wo die Drogenmafia einen Teil des Staatsgebietes kontrolliere und die Bevölkerung terrorisiere.
Obwohl die deutsche Demokratie nicht gefährdet sei, gelte es, ihre Errungenschaften neu zu beleben. Besonders in Ostdeutschland gebe es viele „unzufriedene Demokraten“, die die Demokratie als Staatsform und Idee begrüßten, aber ihre konkrete Funktionsweise hierzulande kritisierten.
Auch herrschten vielfach sehr hohe Erwartungen an Politiker – „viele Menschen urteilen außerordentlich scharf über die Politik und die Politiker in Deutschland“, obwohl man im Vergleich zur Lage in Griechenland oder Italien sehr zufrieden sein könne. Politiker und Medien müssten jedoch die Abläufe politischer Prozesse besser erklären. Vor allem sollte klarer werden, wer wofür verantwortlich sei: „Ist die EU zuständig, die Bundesregierung oder das jeweilige Bundesland?“ Schmidt ist zuversichtlich: „Wir haben zwar viele unzufriedene Demokraten, aber kaum Systemgegner, schon gar nicht Parteien von der Stärke einer NSDAP oder KPD, die die Abschaffung der Demokratie betreiben.“