Benedikt XVI. hat am Donnerstag im Berliner Schloss Bellevue die wachsende Gleichgültigkeit gegenüber der Religion beklagt. Ich wollte den Papst erleben – und schreibe hier über mein Verhältnis zu ihm und zur katholischen Religion. Gleichgültig ist mir beides nicht.
WERDAU/BERLIN. Ja, ich bin katholisch. Ja, immer weniger sind das hierzulande. In Sachsen, dem einstigen Stammland der Reformation, ist das auch wenig überraschend, nach zwei Diktaturen. Gerade einmal vier Prozent der Bevölkerung. Genau weiß ich das nicht. Eines aber weiß ich: Den Papst, den finde ich gut. Schlimmer geht’s nicht, denken Sie? Doch! Ich mag nicht nur den netten, alten Herrn aus Rom, weil er kreuz und quer durch die Welt reist. Immerzu lächelnd – in lustigen Verkleidungen, die andere nur zu Fasching tragen würden. Ansonsten Bücher schreibend. Mich interessiert auch, was er sagt und wie er das macht.
Vielleicht zwei Monate ist es her, da rief mich eine Studienkollegin an. Mittlerweile ist sie in Lohn und Brot – bei der Sächsischen Staatsregierung in Dresden. Und fragte, ob ich mit zum Papst wolle. Und zum Bundespräsidenten (der mich nicht sonderlich interessiert, aber das behielt ich für mich). Nach Berlin ginge es, sagte sie. Zum Empfang Benedikts XVI., des ersten Papstes aus Deutschland seit einem halben Jahrtausend. Bei Christian Wulff auf Schloss Bellevue. Klar wollte ich dahin. Der Haken folgte umgehend: Nur auf die Warteliste könne ich, gab die Bekannte zu bedenken. „Na prima“, erwiderte ich. „Dann wird das nie was.“
Wochen später, ich hatte die Sache schon ad acta gelegt, erhielt ich Post. Aus dem Bundespräsidialamt: Schloss Bellevue, Spreeweg 1, Berlin. Ins Briefpapier ist ein goldener Bundesadler eingeprägt. Hochoffiziell. Es ist eine Einladung. Aber nicht irgendeine: „Der Bundespräsident bittet zu Ehren Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. zum Begrüßungszeremoniell mit militärischen Ehren.“ Steht dort. Und noch allerlei Salbungsvolles. Ich bin einigermaßen aus dem Häuschen, rufe Freunde an und meine Eltern.
Jetzt werden Sie denken: „So ein Spinner! Katholisch halt. Was will der bei dem Opa aus Rom? Der Ratzinger-Papst mäkelt doch ständig. Gängelt. Will uns unser Leben vorschreiben, obwohl ihn das gar nichts angeht!“ So sehen Sie das. Vielleicht. Ihr gutes Recht ist das! Jeder kann denken, was er will – und meistens darf er’s auch noch sagen. So halte ich das jedenfalls!
Und bin zum Papst nach Berlin gefahren. Am Donnerstag. Ideal sind die Umstände eigentlich nicht: Die paar Minuten Redezeit, die dort beim Empfang auf Schloss Bellevue für vielerlei Höflichkeiten im Protokoll standen. Sie würden wenig Raum dafür lassen, worum es dem Papst eigentlich geht, als Theologe, als Seelsorger, als Mensch, der sich um Menschen sorgt. Das war mir klar, bevor ich den Zug nach Berlin bestieg.
Wenn dieser schon einigermaßen gebrechliche 84-Jährige ein drittes Mal in seine Heimat kommt, wollte ich ihn trotzdem erleben. Wollte hören, was er zu sagen hat. Denn: Er hat etwas zu sagen, im Gegensatz zu vielen. Man muss nur hinhören, dann findet sich auch für die etwas, die vielleicht religiös unmusikalisch sind. Und auch für die, die unabhängig davon gar nicht teilen, was er zu sagen hat. Regt doch immerhin zum Nachdenken an. Oder?
Ich spüre, dass dieser Mensch mir etwas mit auf den Weg zu geben hat: Werte, die nicht nach Punkt und Komma zu beziffern sind, keiner Berechenbarkeit unterliegen, die die Verbindung von Glaube und Vernunft im Blick haben. Um wirkliche Ideale (nicht Idole) geht es ihm, die über das Jetzt hinausweisen. Auch, woher sie bezogen werden. Ihm geht es um die großen Fragen nach der Freiheit, nach der Liebe, nach unserem Verhältnis zum Bösen – oder besser: zum Übel, wie es in einer älteren Version des „Vaterunsers“ heißt.
Es geht ihm damit auch, wie der Kirche überhaupt, um die Frage nach der Wahrheit: „Der Begriff Wahrheit“, schrieb er 2005, noch bevor er zum Papst gewählt wurde, „ist in die Zone der Intoleranz und des Antidemokratischen gerückt. Sie ist kein öffentliches, sondern ein privates Gut bzw. ein Gut von Gruppen, aber eben nicht des Ganzen. Anders ausgedrückt: Der moderne Begriff von Demokratie scheint mit dem Relativismus unlöslich verbunden zu sein; der Relativismus aber erscheint als die eigentliche Garantie der Freiheit, gerade auch ihrer wesentlichen Mitte – der Religions- und Gewissensfreiheit.“ Seien nicht aber diese Werte um einen „nichtrelativistischen Kern“ herumgebaut?, fragte er in seinem Buch „Werte in Zeiten des Umbruchs“ (Freiburg i. Br. 2005). Gemeint hatte er damit die Menschenrechte, die nicht „ihrerseits dem Pluralismus- und dem Toleranzgebot“ unterliegen dürften. Denn seien nicht sie Inhalt von Toleranz und Freiheit – und damit unverfügbar? Ratzinger wollte damit hinaus auf die sittliche Wahrheit, der es gerade in der Demokratie bedürfe. Bei wem sie zu suchen wäre, daran kann ein Papst keinen Zweifel lassen.