44 Jahre lang hat Ute Loos an der Chemnitzer Musikschule Gitarre unterrichtet. In den 1950ern verband sie mit Claude Michel aus Südfrankreich eine Brieffreundschaft. Doch begegnet sind die beiden sich nie – bis ein Zeitungsartikel alles veränderte.
CHEMNITZ/OBERGNEUS. 74 Jahre alt ist die gebürtige Hohenstein-Ernstthalerin Ute Loos mittlerweile, Claude Michel aus Milhaud in Südfrankreich ein Jahr jünger. Vor bald 60 Jahren schrieben sie einander Briefe. Loos erinnert sich: „Ich hatte seinerzeit an das Lyzeum in Nîmes geschrieben und um die Vermittlung eines Brieffreundes gebeten“, sagt die Gitarrelehrerin im Ruhestand, die die meisten ihrer 47 Berufsjahre an der Städtischen Musikschule in Chemnitz unterrichtet hat, bevor sie 2013 in den Ruhestand trat.
Auf die Idee, für den Austausch nach einem Kontakt in der Ferne zu suchen, brachte sie seinerzeit ihre Schwester. „In ihrer Oberschule in Lichtenstein war es Mode, eine interessante Stadt auf der Karte zu suchen und dann dahin zu schreiben, meist nach Italien oder Frankreich“, erinnert sich die Absolventin der Weimarer Musikhochschule, deren Großvater einst den Posaunenchor in der Ernstthaler St.-Christophori-Kirche leitete.
Loos‘ schrieb ihren ersten Brief im Alter von etwa 15 Jahren Ende der 1950er. Claude Michel erhielt ihn aber nicht über seine Schule. „Wohl ein Lehrer kannte eine aus Nordhausen stammende, mit einem französischen Diplomaten verheiratete Dame, die in Claudes Nachbarschaft wohnte“, erklärt Loos die Hintergründe, wie der Austausch zustande kam. Die ehemalige Thüringerin habe an den Jungen gedacht, der in der Schule Deutsch lernte, und den Brief weitergereicht. Was folgte, war ein Briefwechsel über zwei, drei Jahre mit dem Sohn eines Weingroßhändlers, der heute mit seiner Familie in Montelimar lebt. Irgendwann schlief das Ganze ein. „Wir tauschten uns ja, wie das üblich war, über ziemlich Belangloses aus. Nur ein Brief ist erhalten geblieben“, so Loos. „In der Fremdsprache zu schreiben, war auch noch ziemlich mühsam“, ergänzt sie.
Wie aber gelang die Kontaktaufnahme nach beinahe sechs Jahrzehnten, ohne dass sich die beiden bis dato gesehen hatten? Rückblende: Im Chemnitzer Lokalteil der „Freien Presse“ war im Herbst 2013 ein Bericht über Loos erschienen, als sie sich aus der Musikschule in den thüringischen Saale-Holzland-Kreis verabschiedete, wo sie seit Jahrzehnten lebt. Auf diesen Beitrag war Claude Michel einige Zeit später, selbst gerade in Rente gegangen, übers Internet aufmerksam geworden. „Claude war damals sehr krank und musste sich einer schweren Operation unterziehen“, sagt Ute Loos. „Da hat er auch an Sachen gedacht, die er unbedingt noch machen wollte – zum Beispiel die einstige Brieffreundin wenigstens einmal zu treffen.“ Er recherchierte im Internet, stieß auf den Zeitungsartikel und nahm mit dem Autor Kontakt auf, der Ute Loos informierte.
Dann ging alles schnell: Im Advent 2014 kündigte Claude Michel seinen ersten Besuch in Thüringen an. „Ich war anfangs nicht so begeistert, schließlich kannten wir uns gar nicht. Hinzu kam der Austausch über die Sprachbarriere hinweg“, räumt Loos ein. „Aber es war ganz einfach: Wir hatten schnell gemeinsame Themen entdeckt – Literatur, Musik, zumal Claude in der Kulturszene seiner Heimat sehr engagiert ist, und … Landkarten“, sagt sie. Bald brach Loos zum Gegenbesuch nach Südfrankreich auf. Kürzlich war Michel, der einst Jura und Politikwissenschaft studierte und einige Jahre in Westdeutschland bei einer Bank gearbeitet hat, mit seiner Ehefrau wieder im thüringischen Obergneus zu Gast – diesmal mit Entdeckungstouren zu den Dornburger Schlössern, zum Naumburger Dom, nach Erfurt.
Langweilig wird ihnen nie, im Gegenteil. „Es ist für uns alle noch immer ein unglaubliches Glück – diese unerwartete Begegnung nach so vielen Jahren“, sagte dabei Claude Michel.