Der Mönch von der Ostseeküste

In der Wech­sel­bur­ger Stifts­ba­si­li­ka, bei sich, mit Gott: Bene­dik­ti­ner­pa­ter Joseph Som­mer. Foto: Micha­el Kunze

Andre­as Som­mer war Pfar­rer von Stral­sund, sein Spren­gel drei­mal so groß wie Ber­lin. Nun ist er im mit­tel­säch­si­schen Wech­sel­burg Pater Joseph. Geflo­hen sei er nicht – was dann?

WECHSELBURG. Wer heu­te an Bene­dik­ti­ner­mön­che denkt, hat in säch­si­schen Brei­ten neben dem klei­nen Wech­sel­bur­ger Kon­vent viel­leicht Eti­ket­ten von Weiß­bier­fla­schen im Sinn oder baye­ri­sche Urlaubs­idyl­le, nicht aber Ost­see­küs­te oder bran­den­bur­gi­sche Pro­vinz. Andre­as Som­mer – bis 2020 Pfar­rer von Stral­sund, Rügen, Dem­min und seit­her Bene­dik­ti­ner­mönch – wird 1967 in Bran­den­burg an der Havel gebo­ren. Er ist das jüngs­te von fünf Kin­dern einer katho­li­schen Fami­lie aus Leh­nin, das durch sein eins­ti­ges Zis­ter­zi­en­ser­klos­ter Bekannt­heit genießt.

Der nun 56-Jäh­ri­ge emp­fängt im Wech­sel­bur­ger Klos­ter, eini­ge Kilo­me­ter nord­west­lich von Chem­nitz gele­gen, zum Gespräch im Raum „Subia­co“, der an die Keim­zel­le sei­nes Ordens erin­nert. Denn in dem Ort nahe Rom leb­te Ordens­va­ter Bene­dikt von Nur­sia um das Jahr 500 in einer Fels­spal­te, Gott suchend, als Ein­sied­ler, bevor er 13 Klös­ter grün­de­te, danach das berühm­te Montecassino.

Pater Joseph hat kein Klos­ter gegrün­det, ist aber in eines ein­ge­tre­ten: „Bis jetzt passt es für mich“, sagt er zufrie­den, der zuvor der der Flä­che nach größ­ten katho­li­schen Pfar­rei Deutsch­lands vor­ge­stan­den hat. War das eine Flucht, ange­sichts gewal­ti­ger Struk­tu­ren, von weni­ger Pries­tern und Gläu­bi­gen, über­bor­den­der Büro­kra­tie selbst in der Kir­che? „Nein“, ent­geg­net er ent­schie­den, „es hat gefunkt!“

Rück­blen­de: Unweit von Pots­dam wächst Som­mer auf wie vie­le ande­re, wenn auch mit Unter­schie­den: Er absol­viert die Poly­tech­ni­sche Ober­schu­le, ohne den Pio­nie­ren oder der Frei­en Deut­schen Jugend (FDJ) bei­zu­tre­ten. Ohne Jugend­wei­he, dafür gefirmt. Dann lässt er sich zum Gärt­ner ausbilden.

Was folgt, ist unge­wöhn­lich in der DDR: eine Art kirch­li­ches Sozia­les Jahr. Damit lie­ße sich das wenig bekann­te „Jahr für Gott“ am ehes­ten ver­glei­chen. Er leis­tet es 1987 bei den Gop­pel­ner Naza­reth­schwes­tern, unweit von Dres­den. In die­sen Mona­ten reift der Gedan­ke, Pries­ter zu wer­den. Doch für das Theo­lo­gie­stu­di­um braucht es ein Abitur. Er will es am Mag­de­bur­ger „Nor­ber­ti­num“ nach­ho­len. Doch er bricht ab; die alten Spra­chen lie­gen ihm wenig. Die Deut­sche Wie­der­ver­ei­ni­gung bringt ande­re Mög­lich­kei­ten. Som­mer erwägt, in ein Klos­ter ein­zu­tre­ten. Er geht zu den Bene­dik­ti­nern in Trier, auch nach Süd­deutsch­land. Und ver­wirft den Gedan­ken. Alles hat sei­ne Zeit. Statt­des­sen erhält er den Rat: Geh nach Hei­li­gen­kreuz in den Wie­ner­wald! An der Hoch­schu­le ist das Stu­di­um ohne Abitur mög­lich, über den Drit­ten Bil­dungs­weg. „Im Som­mer­se­mes­ter 1992 habe ich es begon­nen“, sagt er und schließt es 1997 ab. Er kehrt zurück in sein Hei­mat­bis­tum Ber­lin, das Gebie­te der Ost­see­küs­te ein­schließt, wird 1999 Pries­ter, 2003 Pfar­rer auf Use­dom, neun Jah­re spä­ter von Stral­sund, Rügen, spä­ter noch Demmin.

Sol­ches Pen­sum leis­tet nur, wer auch inne­hält, den Blick jus­tiert. Ein­kehr­ta­ge, Exer­zi­ti­en haben in der Kir­che Tra­di­ti­on und wer­den auch in Wech­sel­burg ange­bo­ten. Som­mer aber fährt ins nähe­re Klos­ter Alex­an­der­dorf. Doch für die Jugend­grup­pen sei­ner Groß­pfar­rei, die etwa vor der Fir­mung tra­di­tio­nell eben­falls ein paar Tage ins Klos­ter gehen, ist das Gäs­te­haus zu klein. Nahe Lübeck fin­det er ein geeig­ne­tes Quar­tier. Dann kommt für die einen Zufall ins Spiel, für ande­re Fügung: Bau­ar­bei­ten dort ver­hin­dern eine geplan­te Fahrt.

Die roma­ni­sche Kir­che von Wech­sel­burg ist mehr als 850 Jah­re alt. Im Jah­re 2018 wur­de sie jen­seits Ber­lins als ers­te in Ost­deutsch­land vom Papst zur Basi­li­ca minor erho­ben. Foto: Micha­el Kunze

Som­mer sucht eine Alter­na­ti­ve – und stößt auf die Mön­che an der Zwi­ckau­er Mul­de. Eigent­lich ist das zu weit für einen Kurz­auf­ent­halt. Die Grup­pe fährt den­noch; sechs Jah­re her ist das. „Der Ort“, sagt Som­mer in der Rück­schau, „hat mich nicht mehr los­ge­las­sen.“ Die Wege des Herrn sind uner­gründ­lich. Tage, Näch­te treibt ihn ein Bün­del Fra­gen um: „Was will Gott von mir und wo? Was kommt noch? Wie kann und will ich leben?“ Eine pries­ter­li­che Mid­life-Cri­sis. Er kehrt nach Wech­sel­burg zurück, reist oben­drein nach Ettal, in das Mut­ter­klos­ter der Depen­dance an der Mul­de, und über­zeugt den Ber­li­ner Bischof, ihn zie­hen zu las­sen. Som­mer hat auch prak­ti­sche Fra­gen wie die, wie alt man sein dür­fe, um noch ins Klos­ter ein­tre­ten zu kön­nen. Immer­hin ist er über 50.

Das Inne­re der Kir­che ver­weist ein­drucks­voll auf den Über­gang von der Spät­ro­ma­nik zur Früh­go­tik. Öst­lich der Saa­le ist auch dank des wie­der­errich­te­ten Lett­ners und der dar­über thro­nen­den Tri­umph­kreuz­grup­pe kein ver­gleich­ba­rer Bau in Deutsch­land erhal­ten geblie­ben. Foto: Micha­el Kunze

Er darf und kommt, legt die Zeit­li­che Pro­fess ab, die Bin­dung ans Klos­ter für drei Jah­re in Ettal und Wech­sel­burg. Sie endet im März 2025. Bis Sep­tem­ber bleibt er in Mit­tel­sach­sen, kehrt dann zurück nach Ober­bay­ern. Dort wird von ihm, Abt und Mön­chen ent­schie­den, ob er die Ewi­ge Pro­fess able­gen will und kann. So viel weiß er schon: Die Tages­struk­tur – gere­gel­te Über­gän­ge zwi­schen Gebets‑, Arbeits‑, Erho­lungs­zeit: Das liegt ihm, heu­te mehr als vor Jah­ren. Er fei­ert Got­tes­diens­te, führt Gäs­te, leis­tet Haus­meis­ter­ar­beit, beglei­tet Trau­ern­de und fin­det es lebens­welt­lich in Mit­tel­sach­sen gar nicht so anders als an der See.

Dazu dies Geschenk: auch in Herr­gotts­frü­he oder abends bei beson­de­rem Licht in der 850 Jah­re alten Basi­li­ka Andacht suchen zu können.

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