In Chemnitz zum Doktortitel

Mit einer Dis­ser­ta­ti­on zum Spa­ren in ent­wi­ckel­ten Län­dern hat die Poli­ti­ke­rin Sah­ra Wagen­knecht an der TU promoviert.

CHEMNITZ. Die TU Chem­nitz ist um ein pro­mi­nen­tes Aus­hän­ge­schild rei­cher. Sah­ra Wagen­knecht, seit Novem­ber ver­gan­ge­nen Jah­res ers­te stell­ver­tre­ten­de Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de der Lin­ken im Bun­des­tag, hat am Diens­tag an der Uni­ver­si­tät ihre Dok­tor­ar­beit erfolg­reich ver­tei­digt. Ihre Abschluss­prü­fung und die Dis­ser­ta­ti­on, die Wagen­knecht auf Eng­lisch vor­ge­legt hat­te, wur­den mit der zweit­höchs­ten Note „magna cum lau­de“ („mit gro­ßem Lob“) bewer­tet. Die Arbeit trägt den Titel „Die Gren­zen der Aus­wahl. Spar­ent­schei­dun­gen und Grund­be­dürf­nis­se in ent­wi­ckel­ten Län­dern“. Sie wur­de seit 2005 von Fritz Hel­me­dag betreut, dem Inha­ber der Pro­fes­sur für Mikroökonomie.

Zum erfolg­rei­chen Abschluss des Pro­mo­ti­ons­ver­fah­rens gehör­te ein öffent­li­cher Vor­trag, in dem Wagen­knecht vor etwa 120 Zuhö­rern – üblich sind bei weni­ger pro­mi­nen­ten Prüf­lin­gen 10 bis 20 Ver­wand­te und Freun­de – die Inhal­te ihrer Arbeit zusam­men­fass­te und zur Dis­kus­si­on stellte.

Die 1969 in Jena gebo­re­ne Poli­ti­ke­rin, die nach eige­nen Anga­ben „immer schon“ die Absicht hat­te zu pro­mo­vie­ren, woll­te mit ihrer Unter­su­chung am Bei­spiel Deutsch­lands und der Ver­ei­nig­ten Staa­ten erklä­ren, wann und war­um Pri­vat­haus­hal­te spa­ren. Dazu gehö­re auch die Erkennt­nis, dass nur spa­ren kön­ne, wer über ein aus­rei­chend hohes Ein­kom­men ver­fü­ge. Gering­ver­die­ner, aber auch immer mehr Ange­hö­ri­ge der Mit­tel­schicht sei­en dazu „gar nicht in der Lage“; 25 bis 50 Pro­zent der Bevöl­ke­rung in Indus­trie­län­dern spar­ten über­haupt nicht. Sie müss­ten einen Groß­teil ihres Ein­kom­mens dar­auf ver­wen­den, Grund­be­dürf­nis­se zu decken. Dar­un­ter ver­steht Wagen­knecht Aus­ga­ben, die nicht ver­schieb­bar oder frei wähl­bar sind, zum Bei­spiel für Nah­rungs­mit­tel, Mie­te, Miet­ne­ben­kos­ten, Mobi­li­tät, Kom­mu­ni­ka­ti­on oder Versicherungen.

Die Poli­ti­ke­rin, die von 1990 bis 1996 in Jena, Ber­lin und Gro­nin­gen (Nie­der­lan­de) Phi­lo­so­phie und Neue­re Deut­sche Lite­ra­tur stu­diert hat­te, räum­te ein, dass der von ihr beschrie­be­ne Sach­ver­halt kei­nes­wegs neu und wohl „jedem Außen­ste­hen­den irgend­wie ein­gän­gig“ sei. Den­noch hebe sie sich von übli­chen Lehr­mei­nun­gen der „Main­stream-Öko­no­mie“ ab, da die­se nicht zwi­schen dem Spar­ver­hal­ten von Gering­ver­die­nern und Wohl­ha­ben­den unter­schie­den. Viel­mehr wer­de meist davon aus­ge­gan­gen, dass Men­schen mit klei­nen und gro­ßen Ein­kom­men eine ähn­li­che Spar­quo­te auf­wie­sen. Dies sei aber nicht der Fall. Gering­ver­die­ner spar­ten ent­we­der gar nicht oder im Durch­schnitt weni­ger und sehr viel ungleich­mä­ßi­ger, wäh­rend Bezie­her von Spit­zen­ein­künf­ten ihren Lebens­un­ter­halt oft aus den Zin­sen und Zin­ses­zin­sen ihres Ver­mö­gens bestrit­ten. Spar­ten die einen, weil sie sich kon­kre­te Kon­sum­wün­sche erfül­len woll­ten, sei die „Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on“ für die ande­ren zum Selbst­zweck gewor­den. „Gegen die­se Absur­di­tät“ habe sie in ihrer Arbeit anzu­schrei­ben versucht.

Wagen­knecht ist seit 2009 Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te, zuvor gehör­te sie dem Euro­päi­schen Par­la­ment an. Ihre wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­se will sie nun in der Poli­tik nut­zen. Öko­no­mi­sches Wis­sen sei unver­zicht­bar gewor­den, um dort die rich­ti­gen Fra­gen zu stel­len und pas­sen­de Lösun­gen zu fin­den, sag­te Wagen­knecht. Falsch sei es bei­spiels­wei­se gewe­sen, „die Ren­ten­ver­si­che­rung zu pri­va­ti­sie­ren“. Vie­le Men­schen sei­en ein­fach nicht in der Lage, selbst vor­zu­sor­gen. Wagen­knecht sprach sich auch gegen eine wei­te­re Libe­ra­li­sie­rung der Kre­dit­märk­te aus. Damit wür­de die Vor­aus­set­zung geschaf­fen, dass sich Pri­vat­haus­hal­te noch mehr ver­schul­de­ten. Nur weil Deutsch­land hier im inter­na­tio­na­len Ver­gleich noch rela­tiv gut daste­he, kön­ne sich die Poli­tik nicht zurücklehnen.

Die Ver­ei­nig­ten Staa­ten nann­te Wagen­knecht als abschre­cken­des Bei­spiel, da dort die Ban­ken- und Kre­dit­bran­che aktiv dar­auf hin­ge­wirkt habe, „Nor­mal­ver­die­ner in immer höhe­re Schul­den zu stür­zen“, wäh­rend es die Regie­rung ver­säum­te, regu­lie­rend ein­zu­grei­fen. Die Links­po­li­ti­ke­rin nann­te das auch hier­zu­lan­de kri­tik­wür­di­ge Bei­spiel der Dis­po-Zin­sen, die sich der­zeit bei 13 bis 14 Pro­zent beweg­ten, obwohl sich die Ban­ken das Geld mit einem Zins­satz von 0,75 Pro­zent lei­hen könnten.

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