Weinbau unter widrigen Umständen

Sach­sen ist eines der kleins­ten deut­schen Anbau­ge­bie­te. Obwohl es den Exo­ten­sta­tus mitt­ler­wei­le ver­lo­ren hat, bleibt die Nach­fra­ge wegen eini­ger Vor­zei­ge­gü­ter hoch.

RADEBEUL/MEISSEN. Trin­ken für den Frie­den. Dafür war die „Gesell­schaft zur Bekämp­fung der Nüch­tern­heit“ zustän­dig, die August der Star­ke, Sach­sens legen­dä­rer Kur­fürst, im 18. Jahr­hun­dert ins Leben geru­fen hat­te. Gemein­sam mit dem preu­ßi­schen Sol­da­ten­kö­nig Fried­rich Wil­helm wur­de geta­felt, geplau­dert – und getrun­ken. Auf dass sich Dif­fe­ren­zen, die zwi­schen bei­den Herr­schern immer wie­der auf­tra­ten, mit Wein abküh­len las­sen wür­den. Arran­giert hat­te die Run­de Graf Wacker­b­arth, Augusts Kabi­netts­mi­nis­ter. Noch heu­te trägt das Staats­wein­gut in Rade­beul den Namen eben jenes Man­nes, der sich noch zu Leb­zei­ten nicht nur als Diplo­mat, son­dern auch als Wein­ken­ner Anse­hen erwarb.

Eine hal­be Auto­stun­de von Dres­dens Innen­stadt elb­ab­wärts befin­det sich auf dem Alters­sitz des Gra­fen einer der Leucht­tür­me des Wein­bau­ge­biets Sach­sen: das Säch­si­sche Staats­wein­gut Schloss Wacker­b­arth. Son­ja Schilg, die Geschäfts­füh­re­rin des Tra­di­ti­ons­hau­ses, blickt aus dem Fens­ter ihres Büros, das sich in einem Zweck­bau neben­an befin­det, auf den male­risch-baro­cken Adels­sitz. Seit 1928 ist er in Staats­be­sitz. „Schloss und Wein­bau waren auf Wacker­b­arth seit jeher nur schwer wirt­schaft­lich unter einen Hut zu brin­gen“, bekennt Schilg wie zur Erklä­rung für das schon 85 Jah­re wäh­ren­de staat­li­che Enga­ge­ment. 28 Mal wech­sel­te das Anwe­sen nach dem Tod des Gra­fen den Besit­zer, bis es die Säch­si­sche Staats­bank erstei­ger­te. Seit 1948 war es Staats­wein­gut, dann „volks­ei­gen“.

„Mit der Wie­der­ver­ei­ni­gung kam die Unge­wiss­heit“, sagt Schilg. Tech­nisch war das Gut ver­al­tet, die Qua­li­tät der Wei­ne min­der­wer­tig, die Bau­sub­stanz maro­de. Inves­ti­ti­ons­be­darf in Mil­lio­nen­hö­he, ohne abseh­ba­re Ren­di­te. Nie­mand woll­te trotz jah­re­lan­ger Aus­schrei­bun­gen das Gesamt­ob­jekt über­neh­men. 1998 stieg die lan­des­ei­ge­ne Säch­si­sche Auf­bau­bank ein.

„Säch­si­schen Wein“, sagt sie in der Rück­schau, „kann­ten damals jen­seits der neu­en Län­der nur weni­ge. Und die, die damit dort etwas anzu­fan­gen wuss­ten, woll­ten ihn nicht mehr.“ Vor­erst. Ein betriebs­wirt­schaft­li­ches Kon­zept muss­te her. Wein als Kul­tur­gut zu ver­mark­ten, als Pre­mi­um­pro­dukt und Mar­ken­bot­schaf­ter einer gan­zen Regi­on. So lau­te­te die Ziel­vor­ga­be, als es vor­lag. „Euro­pas ers­tes Erleb­nis­wein­gut“ wur­de aus der Tau­fe geho­ben. Das klang zwar etwas blu­mig, hat sich aber als Erfolgs­re­zept erwie­sen, pas­send zum Well­ness­zeit­al­ter. Wein und sei­ne Her­stel­lung soll­ten erleb­bar wer­den. Für Genuss und Kul­tur ste­hen, für eine gan­ze Kul­tur­land­schaft, die gesam­te 55 Kilo­me­ter lan­ge Säch­si­sche Wein­stra­ße. Sie erstreckt sich von Pir­na im Süd­os­ten bis nach Dies­bar-Seuß­litz im Nord­wes­ten, immer die Elbe entlang.

Die Mil­lio­nen­in­ves­ti­tio­nen in das Gut wirk­ten wie ein Trans­mis­si­ons­rie­men – und tun es wei­ter. Er über­trägt Exper­ti­se und Öffent­lich­keit auch auf die klei­ne­ren Pri­vat­gü­ter. Leucht­turm­po­li­tik, die dut­zend­fach wei­te­re Inves­ti­tio­nen anreg­te. „Die Nach­fra­ge nach säch­si­schem Wein und Sekt ist heu­te grö­ßer als das Ange­bot“, sagt Schilg, die den Erfolg ihres Hau­ses zu bele­gen weiß: 160 000 Besu­cher, die ver­wei­len, viel­leicht etwas essen, trin­ken oder ein­kau­fen. Jedes Jahr, allein auf Wacker­b­arth. Der Umsatz, 60 Pro­zent wer­den auf und mit dem Schloss erwirt­schaf­tet, stieg von 2,3 Mil­lio­nen Euro im Jahr 2002 auf knapp elf Mil­lio­nen im ver­gan­ge­nen Jahr, ohne dass sich die Mit­ar­bei­ter­zahl wesent­lich änder­te. Klei­ne und gro­ße Ver­an­stal­tun­gen tra­gen zum Umsatz bei: Hoch­zei­ten, Ball­näch­te, Schloss- und Gar­ten­füh­run­gen, Wein­berg­wan­de­run­gen, Semi­na­re und Tagun­gen. 800 000 Fla­schen wer­den abge­füllt – bei Wein über­wie­gend Ries­ling, Mül­ler-Thur­gau und Ker­ner, Dorn­fel­der und Früh­bur­gun­der. Das Gros davon aber ist Sekt; allein 300 000 Fla­schen der Han­dels­mar­ke „Graf Wacker­b­arth“ ver­las­sen jedes Jahr das Haus.

Vom Absatz und von der bewirt­schaf­te­ten Reb­flä­che her stößt neben der Win­zer­ge­nos­sen­schaft Mei­ßen in die­se Kate­go­rien nur einer vor: Georg Prinz zur Lip­pe vom Wein­gut Schloss Pro­sch­witz. Einen zwei­stel­li­gen Mil­lio­nen­be­trag hat der stu­dier­te Agrar­in­ge­nieur und Unter­neh­mens­be­ra­ter in den letz­ten 23 Jah­ren inves­tiert. Seit Beginn des 18. Jahr­hun­derts war sein Fami­li­en­zweig in Sach­sen ansäs­sig. Nach Kriegs­en­de ent­schä­di­gungs­los ent­eig­net und als Klas­sen­fein­de inter­niert, flo­hen die Lip­pes spä­ter in den Wes­ten. 1991 wag­te Georg zur Lip­pe die Rück­kehr, star­te­te als Gara­gen­win­zer und über­nahm die Wein­bau­bri­ga­de der ört­li­chen Land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ti­ons­ge­nos­sen­schaft (LPG). Er kauf­te ein Gut in Zadel nahe Mei­ßen und 1996 – nach jah­re­lan­gen Ver­hand­lun­gen – den Fami­li­en­sitz zurück. Schloss Pro­sch­witz ist heu­te das ältes­te und zugleich größ­te pri­va­te Wein­gut in Sach­sen. 106 Mit­ar­bei­ter bewirt­schaf­ten 87 Hekt­ar. Ange­baut wer­den vor allem Weiß- und Grau­bur­gun­der, Spät- wie Früh­bur­gun­der, Elb­ling und der allein in Sach­sen ver­tre­te­ne Gold­ries­ling. Wei­te­re 46 Hekt­ar hält er in Thü­rin­gen, die unter der Mar­ke „Wein­haus zu Wei­mar“ ver­trie­ben wer­den. 600 000 Fla­schen kom­men so zusam­men, auch für elf Win­zer­kol­le­gen baut der Prinz den Wein aus. Alle ken­nen ihn im Umkreis, jeden grüßt er, stets herz­lich. Anfangs, in den Neun­zi­gern, war das anders. Jun­ker wol­le man hier nicht, hieß es allent­hal­ben, es gab anony­me Anru­fe, Dro­hun­gen. Das Erbe der DDR wirk­te nach. Bald aber dreh­te der Wind. „Ich bin fröh­lich und will nicht reich wer­den, son­dern etwas Nach­hal­ti­ges auf­bau­en, mei­ne Fuß­stap­fen hin­ter­las­sen“, sagt er über sich selbst.

Sein Unter­neh­men schreibt schwar­ze Zah­len. Im Wein­gut in Zadel wur­de ein klei­nes Hotel ein­ge­rich­tet, ein Restau­rant, die Vino­thek. Wie Wacker­b­arth kann das Schloss gemie­tet wer­den für Fes­te, Semi­na­re und Kon­zer­te. Der Betrieb gehört heu­te neben dem von Klaus Zim­mer­ling als ein­zi­ger in Sach­sen zum Ver­band der Prä­di­kats­wein­gü­ter. Doch nicht nur sie haben gewal­ti­ge Qua­li­täts­sprün­ge hin­ge­legt, son­dern die gesam­te Bran­che im Freistaat.

Die Schon­pha­se ist vor­bei, der Exo­ten­sta­tus, der den ost­deut­schen Gütern anhaf­te­te, weit­ge­hend ver­flo­gen. Wer durch wit­te­rungs­be­dingt nied­ri­ge Erträ­ge – durch­schnitt­lich 45 Hek­to­li­ter je Hekt­ar, in Steil­la­gen weit weni­ger – teu­rer ist als ande­re, muss auf bes­te Qua­li­tät ach­ten, ein exklu­si­ves Image pfle­gen. Mit immer­hin 850-jäh­ri­ger Tradition.

Dabei ist das Wein­bau­ge­biet Sach­sen mit 480 Hekt­ar Reb­flä­che eines der kleins­ten in Deutsch­land – und hat es schon des­halb schwe­rer, wahr­ge­nom­men zu wer­den. Zum Ver­gleich: Im 16. Jahr­hun­dert sol­len es 5000 Hekt­ar gewe­sen sein, das größ­te deut­sche Wein­bau­ge­biet Rhein­hes­sen kommt heu­te auf 26 000 Hekt­ar Reb­flä­che. „Der säch­si­sche Anteil an der deut­schen Pro­duk­ti­on beträgt gera­de ein­mal 0,25 Pro­zent“, sagt Bernd Kast­ler vom Wein­bau­ver­band Sach­sen. Wei­ße Reb­sor­ten decken 81 Pro­zent der Flä­chen ab, rote 19 Pro­zent. Bewirt­schaf­tet wer­den sie nach Anga­ben des Lan­des­am­tes für Umwelt, Land­wirt­schaft und Geo­lo­gie von mehr als 2500 Win­zern, von denen nur 25 einem Haupt­er­werb nach­ge­hen. 99 Pro­zent sind Klein­win­zer. Kos­ten­trei­bend wir­ken die vie­len Hang- und Steil­la­gen, die manu­ell bewirt­schaf­tet wer­den müs­sen. Mehr als andern­orts ist die­ses nord­öst­lichs­te der 13 deut­schen Wein­bau­ge­bie­te von Win­ter- und Spät­frös­ten bedroht. Georg zur Lip­pe sucht dar­um auf sei­nem Gut mit For­schern aus Pots­dam und Ber­lin nach Lösun­gen, wie Reb­stö­cke bes­ser geschützt wer­den können.

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