„Kriegen die mich?“ Diese Frage geht mir seit heute Mittag nicht mehr aus dem Kopf, nach einer Premiere. Von Dresden aus, kurz vor der Autobahnauffahrt Altstadt, hatte ich einen Tramper mitgenommen – und fand mich ziemlich mutig dabei. Lachen Sie nicht! „Man weiß ja nie, wer da ins Auto steigt“, damit konnte ich 15 Autofahrer-Jahre lang jeden noch so sehnsuchtsvollen Blick vom Straßenrand schnell wieder vertreiben. Heute war es anders. Fragen Sie nicht nach einer Erklärung! Ich habe keine und ließ den jungen – wie sich schnell herausstellte – Gitarrenbauer aus Pirna mit seinem riesigen Rucksackberg einsteigen. In Klingenthal sei er ausgebildet worden und nun auf dem Weg in eine Harfenwerkstatt. „Bei Tübingen.“ Dann war ich dran, erzählte meine Geschichte knapp, noch immer skeptisch. Am „Auerswalder Blick“, nach einer Dreiviertelstunde Fahrt, wollte der junge Mann raus. „Auf Raststätten geht es am besten weiter“, meinte er wenige Kilometer vor meinem Fahrtziel und begründete das seine: Wiederholt habe er bislang feste Stellen abgelehnt, schaue daher mal da, dann hier, schließlich dort nach einer beruflichen Perspektive. Denn sämtlichen gefehlt habe, wonach er suche: die Möglichkeit zu Handarbeit durch und durch, Selbstbestimmung über das eigene Tun, Kontrolle. Was ich mache – Angestelltendasein, von Zeit zu Zeit Sonntags- und Feiertagsarbeit, wie sich das im Journalismus schwer nur vermeiden lässt -, sagte er voller Verständnis, doch mit klarer Ablehnung, das sei nichts für ihn. Wenn er nicht zu wesentlich von ihm bestimmten Konditionen arbeiten könne, lasse er es. Ziehe in eine Kommune. Schraube seinen Lebensstandard herunter. „Unter kommt man immer, notfalls im Wald.“ „Ernsthaft?“, fragte ich. „Ja, ja!“ Dann lebe er von Wildkräutern, da kenne er sich aus, und dem, was sich dort sonst noch so finde. „Ich brauche nur Wasser“, sagte der Handwerker. „Jedenfalls kommt für mich ein von der Schule bis zur Rente durchgetaktetes, fremdbestimmtes Leben nicht infrage. Die kriegen mich nicht“, ergänzte der etwa Zwanzigjährige freundlich lächelnd – und stieg aus. Wumms! Zu die Tür; und ich war mit meinen Gedanken allein. Ist das naiv oder ist das naiv – oder ist das …?
Nun möchte ich doch sehr stark bezweifeln, dass Getriebensein, Rastlosigkeit und Ungebundenheit besonders erstrebenswerte Formen von Freiheit sind. Von den Sachzwängen, die einem das Leben im Wald auferlegt mal ganz abgesehen.
Ihre Zweifel – unbenommen! Von Getriebensein oder Rastlosigkeit hat der junge Mann aber weder etwas gesagt noch ich geschrieben. In Sachen Ungebundenheit kommt es darauf an, auf was sie sich bezieht. Damit Sie mich aber nicht falsch verstehen, Herr Kammnagel: Ich rechtfertige hier niemanden, sondern präzisiere, was ich geschrieben habe. Das Leben „im Wald“ hatte er auf Notfälle bezogen. Wie viele Menschen im 21. Jahrhundert wären wohl in Deutschland noch von heute auf morgen in der Lage, „in freier Wildbahn“ zu überleben? Jenseits des Fliegenpilzes kann doch kaum noch wer einen essbaren von einem giftigen unterscheiden – als Beispiel. So habe ich den jungen Herrn verstanden – im Übrigen durchaus auch so, dass er eine Festanstellung sucht, nur eben keine beliebige. Und, dass er willens und in der Lage sei, auf das Passende zu warten – ohne „irgendwem auf der Tasche zu liegen“.