AUGUSTUSBURG/BERLIN. Schon vor zwei Jahren ist die Soloviolinistin Liv Migdal auf der Waldbühne in Augustusburg (Kreis Mittelsachsen) aufgetreten und wurde seinerzeit euphorisch vom Publikum gefeiert. In Aue war sie in dieser Saison bei der Erzgebirgischen Philharmonie zu hören. Am 6. Juli musiziert sie nun zur als Benefizkonzert des örtlichen Lionsclubs ausgerichteten Operettengala, die unter dem Motto „Zigeunerliebe“ steht, ebenfalls mit dem Auer Orchester. Ein Gespräch mit der Berlinerin über ihren Weg zur Musik, das Programm des Abends sowie das Verhältnis zur Region.
Sie sind kürzlich in der Hamburger Elbphilharmonie aufgetreten; demnächst steht die Berliner Philharmonie auf Ihrem Konzertprogramm. Was macht den Reiz einer kleinen Bühne wie in Augustusburg aus?
Schon vor zwei Jahren war das Publikum außergewöhnlich. Dazu das Gespräch im Nachgang mit dem Bürgermeister und anderen Gästen: Mich haben Offenheit, Neugier und Wärme bewegt. Auch das Wetter war großartig. Ich freue mich sehr auf das Konzert.
Was bedeuten die örtlichen Umstände für Ihre Vorbereitung?
Man darf kein Publikum unterschätzen, ob es ein großes Auditorium ist oder ein kleines, erfahren oder weniger. Ich sehe meine Aufgabe ein ums andere Mal darin, die Zuhörer aus ihrem Alltag zu entführen, sie emotional auf eine schöne Achterbahnfahrt mitzunehmen, die nach Ende des Konzerts nachwirkt und sich am schönsten vielleicht sogar derart widerspiegelt, wenn jemand sich dann schwertut, das Erlebte in Worte zu fassen, weil das bei Musik nun einmal nicht immer gelingt.
Wie kam der Kontakt in die Region zustande?
Vor etwa neun Jahren wurde ich angesprochen. Bei einem Privatkonzert in Nordrhein-Westfalen kam ein Gast auf mich zu und fragte, ob ich mir vorstellen könnte, im Erzgebirge aufzutreten. Daraufhin kam es zu einer Reihe von Terminen mit der Erzgebirgischen Philharmonie in Aue, allein in dieser Saison drei, und 2017 in Augustusburg.
Es war kürzlich von einer Art Abschied aus Aue zu lesen, angesichts Ihres vollen Kalenders …
… das sah ich auch in der Zeitung und kann es mir nicht recht erklären. Denn ich hoffe, auch nach Aue wiederkommen zu können, selbst wenn das in der Häufigkeit, in der es zuletzt der Fall war, sicher nicht klappt. Ich würde mich jedenfalls freuen.
Ihr im Jahr 2015 nach schwerer Krankheit verstorbener Vater war Klavierprofessor. Wie sind Sie angesichts dieser Prägung zur Violine gekommen?
Mein Papa war mein größter musikalischer Begleiter. Er hat mich sehr beeinflusst. Dass ich aber im Alter von drei Jahren begonnen habe, Geige zu lernen, hing mit meiner vier Jahre älteren Schwester zusammen. Sie war schon dabei – da konnte ich nicht anders; ich reagierte sehr auf den Klang und musste unbedingt spielen.
Spielen Sie auch andere Instrumente?
Ein wenig Klavier und klassische Gitarre für meinen privaten Seelenfrieden, da ich früher auch Lieder geschrieben habe, die ich dann spielen wollte. Es ist aber kein beachtenswertes Niveau.
Das Konzert in Augustusburg steht diesmal unter dem Motto „Zigeunerliebe“ in Anlehnung an Franz Lehárs gleichnamige Operette. Spielen Sie selbst Operetten?
Auf meinem Programm für den Abend steht Maurice Ravels „Tzigane“, eine 1924 komponierte Rhapsodie für Violine und Orchester, die mit Themen der Zigeunermusik und deren musikalischer Verarbeitung in zeitgenössischer Manier spielt. Wir kennen das auch von Brahms oder Liszt.
Das Stück ist, anders als man es bei dem Thema erwartet, ganz streng durchkomponiert.
Das stimmt. Über etwa zehn Minuten hat es Ravel mit allen Finessen gespickt, technisch herausfordernd, in der Stimmung mal schmelzend, dann sehr rasant.
Was geben Sie noch?
Henryk Wieniawskis dritten Satz aus seinem Violinkonzert d‑Moll. Der Komponist und Violinist, 1835 im polnischen Lublin geboren und 1880 in Moskau während einer Tournee gestorben, hat damit ein klassisch romantisches Stück geschrieben, sehr virtuos, mit hohen technischen Anforderungen. Außerdem bereite ich, falls das Publikum es wünscht, noch ein drittes Stück vor. Worum es sich dabei handelt, wird noch nicht verraten.
Wie proben Sie mit dem Orchester angesichts der räumlichen Distanz?
Zunächst einmal macht das jeder für sich – das Orchester und auch ich. Einen Tag aber werden wir uns treffen und gemeinsam das Programm durchgehen, Tempi abstimmen, dazu die Dynamiken, gewissermaßen unsere separat vorbereiteten Partien zusammensetzen, damit sie beim Konzert als harmonische Einheit wahrgenommen werden.
Wie finden Sie das Anliegen des Lionsclubs, den Abend als Benefizveranstaltung auszurichten? Alle Beteiligten leisten harte Arbeit. Gute Musik muss bezahlt werden.
Dieses Benefizkonzert ist mir wichtig, auch wenn, wer nur derartige Formate spielte, wohl nicht davon leben könnte. Wie vor zwei Jahren spende ich einen Teil des Erlöses der am Abend verkauften CDs. Es gibt immer Leute, denen es schlechtergeht oder die sich in einer Situation befinden, in der sie Hilfe benötigten. Wir dürfen sie nicht vergessen.
Kommen Sie 2020 wieder?
Es gab darüber noch keine Gespräche mit dem Veranstalter. Ich würde mich freuen, da ich die Region liebengelernt habe. So ergibt sich auch die Möglichkeit, wunderbare Menschen wiederzutreffen, die ich über die Jahre kennenlernte.
Liv Migdal wurde 1988 in Herne (Nordrhein-Westfalen) als Tochter des 1948 in Polen gebürtigen und später nach Schweden emigrierten Pianisten und Professors Marian Migdal geboren. Die Musikerin, deren Schwester Nadia Schauspielerin ist, studierte an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock sowie am Mozarteum in Salzburg, jeweils mit Auszeichnung. Im Frühjahr erschien ihre CD „Refuge“ mit Solowerken von Johann Sebastian Bach, Paul Ben-Haim und Béla Bartók. Diesen Sommer führen sie Tourneen mit verschiedenen Programmen nach Australien, Frankreich, Norwegen und Schottland.