Die DDR förderte berufstätige Frauen, jedoch nicht nur zur Gleichberechtigung. Ihre Arbeitskraft war dringend erforderlich. In welchem Zwiespalt sich dabei Unternehmerinnen befanden, zeigt eine neue Studie.
CHEMNITZ. Irmgard Fuhrmann, Ulrike Kaufmann und die 2010 verstorbene Eleonore Vogel hatten eines gemeinsam: Sie kämpften auch in der DDR „in einer von Männern dominierten Welt“. Damit waren sie zwar nicht allein. Die meisten Frauen mussten sich aber nicht „gegen das Leitbild des ‚Ausbeuters‘“ wehren. Diese Rolle, schreiben der Paderborner Wirtschaftswissenschaftler Peter Becker und der Politologe Sebastian Liebold von der TU Chemnitz, war unter ihnen den Unternehmerinnen vorbehalten. Unter dem Titel „Kleiner Markt im großen Plan – drei Unternehmerinnen in der DDR“ skizzieren die Forscher Leben und Arbeit der Querfurter Weinhändlerin Fuhrmann, der Inhaberin eines Chemnitzer Medizintechnikvertriebs, Kaufmann, und der Druckereibesitzerin Vogel aus Schwarzenberg unter den Widrigkeiten der Planwirtschaft: „Zum einen sollte jede Frau in der DDR ‚werktätig‘ sein und einen Beruf ergreifen“, andererseits aber „niemand durch privatwirtschaftliche Initiative“ den Sozialismus infrage stellen, kennzeichnen sie deren Dilemma. Daraus habe sich „ständiges Misstrauen“ gegen die Frauen ergeben, schreiben die Autoren in ihrem Buch, für das sie Firmenarchive ausgewertet und Interviews geführt haben.
Obwohl die in der DDR geförderte Berufstätigkeit von vielen Frauen begrüßt wurde, stieß sie auch an Grenzen, besonders dann, wenn damit Führungsfunktionen verbunden waren, die traditionell Männer inne hatten. So hörten Fuhrmann und Kaufmann beim Rat des Kreises oder des Bezirkes zuweilen die Frage „Können Sie nicht Ihren Chef schicken?“, sagt Liebold.
Die ökonomische Unabhängigkeit, die Erwerbsarbeit für viele Frauen brachte, verdeckt dabei in der Bewertung zuweilen die Tatsache, dass ihre Arbeitskraft auch aus volkswirtschaftlichen Gründen dringend gebraucht wurde. Knapp vier Millionen Menschen verließen die DDR bis 1989, während laut Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung nur rund 600.000 die Gegenrichtung wählten. Um den Fachkräfteverlust auszugleichen, war die DDR auf Frauen angewiesen – wie auch auf kleine Privatbetriebe, die vor allem in den Anfangsjahren mithelfen sollten, den Bedarf an Nahrungsmitteln, Dienstleistungen oder technischem Gerät zu decken.
Viele Unternehmer geben auf
Erst mit fortschreitender Vergesellschaftung der Produktionsmittel gaben viele Unternehmer auf. Dass hier und da Frauen die Geschäfte übernahmen, hatte weniger mit der DDR-Wirtschaftspolitik zu tun als mit dem Weltkrieg: Weil Fuhrmanns Ehemann und Vogels Bruder an die Front mussten, übernahmen sie Verantwortung.
Das Leitbild des eigenverantwortlichen Unternehmers wurde dann in der DDR auch durch die Ausschaltung des Kräftespiels zwischen Angebot und Nachfrage außer Kraft gesetzt: „Es war wie verkehrte Welt“, wird die 1921 geborene Irmgard Fuhrmann im Buch zitiert. „Du brauchtest die Ware nicht an den Mann bringen, das ging von alleine. Du musstest nur sehen, dass Ware herkam.“ Das Angebot gab vor, was nachgefragt werden konnte. Zunehmend sollten dabei „volkseigene“ Betriebe Aufträge der privaten übernehmen. Wo es zu Konflikten mit Behörden kam, zogen oft letztere den Kürzeren: So erhielt Vogels Druckerei nach einem Streit zwischen einer Kirchgemeinde als Auftraggeber für ein Informationsblatt und dem Rat des Kreises als Genehmigungsinstanz weniger Papier zugeteilt.
Ämter legen Steine in den Weg
Auch das 1932 in Chemnitz gegründete Unternehmen Medizintechnik Kaufmann & Köckritz litt unter Benachteiligungen. 1971 übernahm Ulrike Kaufmann das seit 1968 an der heutigen Zschopauer Straße ansässige Geschäft von ihrem Vater. Der Handel mit Luftentkeimungs- und Infrarotlampen oder Kurzwellen-Therapiegeräten florierte „auf dem Gebiet der ganzen DDR“, heißt es im Buch. Erschwert wurde der Einsatz dadurch, dass die Firma von der zuständigen Stelle keinen Kleintransporter bewilligt bekam. Paradoxerweise waren es gerade amtliche Stellen wie die Nationale Volksarmee, die die Firma mit Aufträgen bedachten, weil diese schneller als von staatlichen Betrieben erledigt wurden.
Die Versorgungslage blieb indes prekär: Da die DDR beispielsweise Stethoskope aus eigener Produktion in den Westen verkaufte, wurde mit Ersatz aus Indien gehandelt. Ärzte klagten allerdings, sie seien zu schmal für ihre Köpfe und zerbrächen bereits bei der Anprobe.
So war die Unternehmerin durch den Wegfall des Wettbewerbs „zum Verteiler in einem System degeneriert, zu dem sie […] nicht gehören wollte“, resümieren die Autoren. Sie konnte ihre Firma „nicht mehr selbst lenken“. Das übernahm der Staat.
Im Buchhandel erscheint die Studie Anfang 2015:
Becker, Peter Karl/Sebastian Liebold: Kleiner Markt im großen Plan – drei Unternehmerinnen in der DDR, Sax-Verlag, Beucha/Markkleeberg 2015, 76 Seiten, 9,80 Euro.
Drei Chefinnen
Weinhandlung Fuhrmann in Querfurt (Sachsen-Anhalt): Geschäftstätigkeit von 1913 bis 1991, davon unter Inhaberin Irmgard Fuhrmann von 1970 bis 1991.
Medizintechnik Kaufmann & Köckritz in Chemnitz: Geschäftstätigkeit von 1932 bis 2004, davon in der Zeit von 1971 bis 2004 unter Inhaberin Ulrike Kaufmann.
Druckerei Ludwig in Schwarzenberg: Geschäftstätigkeit von 1891 bis 2005 (seit 1977 unter anderem Namen), davon 1960 bis 1977 unter Inhaberin Eleonore Vogel.