Klartext, bitte!

Jour­na­lis­ten sol­len prä­zi­se und ver­ständ­lich schrei­ben. Oft gelingt ihnen das nicht (mehr). Weil die Zeit fehlt, eige­ne Tex­te zu über­ar­bei­ten, oder es an Fer­tig­kei­ten man­gelt. Aber auch, weil sie mit der Spra­che von Drit­ten umge­hen müs­sen, die sie gern um Unkla­ren lassen.

„Stän­dig“ ste­hen sie „unter dem Ein­fluss der Spra­che ande­rer“, schreibt der Medi­en­ana­ly­ti­ker Jürg Häu­ser­mann. Denn mit Tex­ten, mit Wor­ten Drit­ter umzu­ge­hen – von Poli­ti­kern wie Unter­neh­mern, Wis­sen­schaft­lern, Haus­män­nern und Tief­see­tau­che­rin­nen, Mode­schöp­fern oder Ter­ro­ris­ten, von Jun­gen und Alten, Mut­ter­sprach­lern und Zuwan­de­rern –, das ist die Auf­ga­be von Jour­na­lis­ten. Wer da was sagt oder schreibt, vor wel­chem Hin­ter­grund, in wel­cher Absicht – das zu ergrün­den, dar­auf kommt es an.

Leicht ist das nicht, ohne Sorg­falt ein hoff­nungs­lo­ses Unter­fan­gen. Sorg­falt gegen­über dem Inhalt frem­der Tex­te und ihrem Ver­ständ­nis, auch jedoch dem, was dar­aus „gemacht wird“. Denn davon hängt die jour­na­lis­ti­sche Glaub­wür­dig­keit ab. Die Fra­ge nach dem Was kommt aber nicht aus ohne die nach dem Wie – nach jour­na­lis­ti­scher Form, Stil, Ortho­gra­fie und Grammatik.

Dass hier längst Defi­zi­te bestehen, mag auch an der im Inter­net­zeit­al­ter wei­ter sin­ken­den, indes seit jeher gerin­gen Halb­werts­zeit jour­na­lis­ti­scher Tex­te lie­gen: Was heu­te auf­ge­schrie­ben wird, ist oft­mals mor­gen schon Schnee von ges­tern. Wel­chen Auf­wand wert ist da der Kampf gegen fal­sche inhalt­li­che Bezü­ge, gram­ma­ti­ka­li­sche Kon­struk­tio­nen, die nicht auf­ge­hen, oder ver­wir­ren­de Formatierungen?

Wenn es immer wich­ti­ger wird, ein Ereig­nis schnell zu mel­den als – zunächst – Hin­ter­grün­de zu prü­fen oder eine zwei­te und drit­te Quel­le ein­zu­ho­len, steht es auch um den Wert von Ortho­gra­fie, Gram­ma­tik, Stil zuneh­mend schlech­ter. Sprach­li­che und sti­lis­ti­sche Sorg­falt aber brau­chen Zeit, auch wenn Erfah­rung und gesun­de Rou­ti­ne helfen.

Prin­zip „Mas­se statt Klas­se“ setzt ver­häng­nis­vol­le Dyna­mik in Gang

Wer liest sei­ne Tex­te noch ein, zwei, drei Mal selbst, bevor er sie der Schluss­re­dak­ti­on für die Print­aus­ga­be oder direkt den Online-Kol­le­gen über­gibt? Vor allem der schnel­le Schrei­ber gewinnt den Respekt der Kol­le­gen – mag es auch Unter­schie­de geben: je nach Anlass, Medi­um, Redak­ti­on und Text­gen­re. In der Ten­denz jedoch zeich­net sich ab: Wer sich Zeit nimmt für sein Stück, am und mit dem Text arbei­tet, gilt schon Wohl­mei­nen­den als Pedant, dar­über hin­aus aber als lahm oder gar jemand, der auf Kos­ten der Arbeits­pfer­de, die die „Zei­tung fül­len“, nach Anse­hen stre­be. Auch den Vor­wurf der Faul­heit müs­sen sich man­che gefal­len las­sen, auf die er nicht zutrifft.

Längst hat die Logik „Mas­se statt Klas­se“, die gleich­wohl wört­lich kaum wer offen ver­tre­ten wird, eine ver­häng­nis­vol­le Dyna­mik in Gang gesetzt – teils als Fol­ge betriebs­wirt­schaft­li­chen Ratio­na­li­sie­rungs­drucks, unter dem beson­ders die Print­me­di­en seit Jah­ren äch­zen. Para­do­xer­wei­se tritt damit auch eine neue Form der Bequem­lich­keit – die, nicht mehr nach­ar­bei­ten, am Text fei­len zu müs­sen – an den Tag. Und mit die­ser sind das Unge­fäh­re und Vage auf dem Vor­marsch, nicht das Bestimm­te, die Präzision.

„Mit­ar­bei­ter der Wahrheit“

Gewiss, Jour­na­lis­ten müs­sen mit dem klar­kom­men, was ande­re gespro­chen und geschrie­ben haben – sie sind auf Pres­se­mit­tei­lun­gen ange­wie­sen, Exper­ti­sen, die sich mit­un­ter wider­spre­chen, auf Geschön­tes, Ver­zerr­tes, Ein­sei­tig­kei­ten, Teil­wahr­hei­ten, ver­un­glück­te Begriffs­prä­gun­gen, die aus gesell­schaft­li­chen und tech­ni­schen Ent­wick­lun­gen her­rüh­ren. Wer Bei­spie­le für letz­te­re sucht, dem sei das jewei­li­ge „Unwort“ der ver­gan­ge­nen Jah­re in Erin­ne­rung geru­fen (von „Herd­prä­mie“ über „Not­lei­den­de Ban­ken“ bis hin zu „Döner-Mor­de“). Auch Medi­en­leu­te sind nicht schuld­los an Ent­ste­hung und Ver­brei­tung inhalt­lich frag­wür­di­ger Konstruktionen.

Trotz all des Nebels und Wirr­warrs, der sie begüns­tigt: „Enten“ oder fal­schen Behaup­tun­gen dür­fen Jour­na­lis­ten nicht auf­sit­zen. Als ganz welt­li­che Coope­ra­to­res veri­ta­tis („Mit­ar­bei­ter der Wahr­heit“) ist es ihre Auf­ga­be, die­se zu erken­nen und – unab­hän­gig davon – mit den Inter­es­sen­la­gen derer umzu­ge­hen, die etwas zu Papier brin­gen, in Mikro­fo­ne oder hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand sagen.

Die Viel­falt der Töne und Zei­chen, Wor­te, Ges­ten und Gebär­den – sie kann ver­wir­ren, über­for­dern, zu Falsch­deu­tun­gen füh­ren; sie kann die Wahr­heit im Unkla­ren und Ver­bor­ge­nen hal­ten, die auf­zu­spü­ren und ans Licht zu brin­gen eine der Ver­pflich­tun­gen jour­na­lis­ti­scher Tätig­keit ist. Denn Jour­na­lis­ten arbei­ten nicht für sich, sie ste­hen auch nicht – allen Ver­schwö­rungs­theo­rien zum Trotz – im Diens­te fins­te­rer Mäch­te, von Kon­zer­nen, Regie­run­gen oder Geheim­ge­sell­schaf­ten (was nicht bedeu­tet, dass es nicht die Gefahr der Ver­füh­rung gäbe), son­dern sie die­nen einem brei­ten Publi­kum von Lesern, Hörern, Zuschauern.

Jour­na­lis­ten sind Auf­klä­rer, fas­sen dazu Bil­der in Wor­te und Wor­te in Bil­der. Dabei muss die Spra­che, die sie wäh­len, klar sein und wohl­über­legt. Dort, wo inhalt­li­che Klar­heit (vor­erst) unmög­lich ist, da Fak­ten und Zusam­men­hän­ge (noch) unbe­kannt sind, darf der Rezi­pi­ent dar­über nicht getäuscht wer­den. Auf­klä­rer sind also auch jene, die das Unkla­re so benen­nen, wäh­rend sie dar­an arbei­ten, Licht ins Dun­kel eines Sach­ver­halts zu bringen.

Der Weg dort­hin ist mit­un­ter stei­nig, oft führt er durch eine ver­ba­le Geröll­wüs­te. Er setzt Kom­pe­ten­zen vor­aus, die auf Kennt­nis­sen und Erfah­run­gen beru­hen. Wesent­li­cher Bestand­teil ist dabei die Arbeit mit Tex­ten, zunächst jenen von Drit­ten, schließ­lich an den eige­nen. Gefahr geht von jenen aus, die Pres­se­mit­tei­lun­gen oder Ver­laut­ba­run­gen von Orga­ni­sa­tio­nen, Poli­ti­kern oder Unter­neh­men nicht mehr auf deren Wahr­heits­ge­halt prü­fen, sie nicht mehr ein­ge­denk der Absich­ten des Ver­fas­sers interpretieren.

Wider die „Spra­chent­lee­rung“!

Die­se Gefahr hat Aus­wir­kun­gen für zwei Grup­pen – nicht nur für Medi­en­kon­su­men­ten, die womög­lich über einen Sach­ver­halt im Unkla­ren gelas­sen wer­den, son­dern auch für die Jour­na­lis­ten, auf die dies per­sön­lich und auf die Zunft ins­ge­samt zurück­fällt. Die Angst, sich zu bla­mie­ren – vor Kol­le­gen oder Infor­ma­ti­ons­trä­gern, wenn Nach­fra­gen erfor­der­lich sind, um Inhal­te und Hin­ter­grün­de zu ver­ste­hen –, sie bestün­de unbe­grün­det. Denn dies sind sie, die Nach­fra­gen, gera­de nicht: eine Schan­de. Son­dern Pflicht. Für Jour­na­lis­ten gibt es kei­ne inhalt­lich pein­li­che Rück­fra­ge. Wo sie aber aus­bleibt, obwohl erfor­der­lich, wird in der Kon­se­quenz aus Auf­klä­rung mit­un­ter (unbe­ab­sich­tigt) Verdunkelung.

„Merk­wür­di­ger­wei­se“ leis­te die­ser Gefahr gera­de die Spra­che der moder­nen, der „ver­wal­te­ten Welt“ Vor­schub, die „nicht etwa ein­deu­ti­ger, genau­er und ratio­na­ler gewor­den“ sei, schrieb der Jour­na­list Karl Korn bereits Ende der 1950er-Jah­re. Zei­chen der Zeit sei­en viel­mehr deren „Auf­schwel­lung und zugleich eine Ent­lee­rung“ – in der Spra­che der For­mu­la­re und Beschei­de, der Büro­kra­tie und ange­sichts tech­ni­scher Ent­wick­lun­gen. Korn führ­te sei­ner­zeit schon unzäh­li­ge Bei­spie­le an, die als Abs­trak­ta, obwohl sie „einen kon­kre­ten Sach­ver­halt bezeich­nen“, doch jede Anschau­lich­keit ver­mis­sen lie­ßen: von „Bedarfs­trä­ger“ über „Bau­leit­plan“ oder „Sozi­al­pro­dukt“ bis hin zu „Stör­grö­ße“, „arbeits­mä­ßig“ oder „Jah­res-Best­zeit“. Das Inter­net hat die­se Wel­le von Wör­tern in eine Flut verwandelt.

Mit die­ser „Ent­lee­rung“ der Spra­che muss der Jour­na­list umzu­ge­hen ler­nen, er darf ihr nicht selbst zum Opfer fal­len, sie gar beför­dern. Die­se Her­aus­for­de­rung will jeden Tag aufs Neue gemeis­tert wer­den, nicht nur für die Repor­ta­ge über das Lieb­lings­the­ma. Sie gilt auch für die klei­ne Nach­richt über den unbe­deu­ten­den Blech­scha­den oder den Bericht über die an Kon­tro­ver­sen arme Gemeinderatssitzung.

Spra­che ist die Arbeits­grund­la­ge des Jour­na­lis­ten wie des Unter­neh­mens­spre­chers, Poli­ti­kers, Lob­by­is­ten, Reli­gi­ons­füh­rers. Ihre öffent­lich­keits­wirk­sa­me Ver­wen­dung setzt hohes Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein vor­aus, ihr Miss­brauch kann gefähr­li­cher sein als Tau­sen­de Säbel oder Gewehre.

Durch ihre im Wort­sin­ne ver­mit­teln­de Rol­le tra­gen Medi­en­leu­te eine beson­de­re Ver­ant­wor­tung: Sie dür­fen Inhal­te nicht ent­stel­len, son­dern müs­sen sie frei­le­gen. Das setzt Acht­sam­keit vor­aus – dafür, ver­ständ­lich zu schrei­ben, schie­fe Sprach­bil­der, ent­stel­len­de Rede­wen­dun­gen oder Meta­phern zu mei­den. Flot­te Schrei­be jeden­falls, haben die Jour­na­lis­tin­nen Jut­ta Hin­kel und Alex­an­dra Rehn geschrie­ben, ist nicht auto­ma­tisch Zei­chen guten Stils – inhalt­li­che wie for­ma­le Sorg­falt aller­dings Merk­mal eines guten Journalisten.

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