Evangelisch ist sie und Studentin der Technischen Universität – und hält sich derzeit an die Gebote des islamischen Fastenmonats. Aus mehreren Gründen ist das eine Herausforderung.
CHEMNITZ. Warum im Internet über den Islam schreiben, ausgerechnet im Fastenmonat Ramadan? Anonym. Obendrein von einer Studentin der TU Chemnitz, die nicht viel mehr von sich preisgeben will, als dass sie keine Muslimin ist, sondern evangelische Westfälin. „Gute Frage. Gegenfrage: Warum nicht?“, sagt die 23-Jährige. Seit dem 7. Juni ist ihr Blog „30 Tage Islam. Erfahrungen über den Fastenmonat Ramadan und den Islam in Deutschland“ im Netz freigeschaltet. Am Vortag hatte die Fastenzeit als neunter Monat des islamischen Mondkalenders begonnen, in dem laut Überlieferung einst der Koran zu den Menschen gesandt wurde. Der Ramadan dauert bis 5. Juli. Doch mit Rezepten, die sie auf der Seite einstellt – etwa für das marokkanische Gamilla: Rindfleisch mit getrockneten Pflaumen -, ist es für sie nicht getan. Es gehe nicht um eine Art Ernährungsumstellung aus kulinarischem Interesse – von „mitteleuropäisch“ auf „arabisch“ oder „nordafrikanisch“, so wie seit Jahren die italienisch-mediterrane Küche deutsche Speisepläne kapert.
Die Autorin fastet vielmehr selbst und berichtet im Netz, wie es ihr dabei ergeht. Tagein, tagaus isst sie nichts, solange es hell ist. Erst nach Einbruch der Dunkelheit, der im Sommer auf sich warten lässt, darf gegessen werden – bis wenige Stunden nach Mitternacht. Damit nicht genug: Wie es die Gebote vorschreiben, verzichte sie auch darauf, tagsüber zu trinken. Warum aber diese Entbehrungen – als Vorbereitung, um zum Islam zu konvertieren?
Das hätten ihre Eltern in Ostwestfalen auch gefragt. „Ich denke, ich konnte ihnen ihre Sorgen nehmen“, sagt sie schmunzelnd. Warum dann, zudem öffentlich im Internet? Ist Religion nicht zunächst etwas sehr Persönliches, Privates? Zum einen sei für sie der Umgang mit einem eigenen Blog nichts Neues. Als sie vor Jahren Bundesfreiwilligendienst in Westafrika leistete, habe sie auch darüber im Netz geschrieben. Zum anderen sei der Kenntnisstand unter Deutschen über den Islam weiterhin gering. Ein deutscher Blog von einer Nicht-Muslimin zu diesem Thema – sie kenne nichts dergleichen.
Darüber hinaus interessiere sie sich grundsätzlich – auch durch ihr Studium, in dem sie über den Ramadan eine Seminararbeit geschrieben habe – für andere Kulturen, habe viele muslimische Freunde. Im Patenprogramm der TU unterstützte die 23-Jährige nicht nur einen Italiener, damit der sich in der Stadt zurechtfindet, sondern auch einen Marokkaner. Im Austausch mit ihm habe sie Zugang erhalten zur muslimischen Gemeinschaft in Chemnitz.
Dabei ist der Studentin, die einst in Nordrhein-Westfalen in einer kirchlichen Jugendgruppe engagiert war, auch die christliche Fastenzeit vor Ostern vertraut, in der sie etwa schon auf Süßigkeiten verzichtet habe. „Vermutlich sind die hiesigen Bräuche mir aber zu ’normal‘.“ Sie sei einfach neugierig, sieht die aktuelle Erfahrung außerdem als Beitrag dazu, Vertrautes in der Auseinandersetzung mit Neuem besser reflektieren zu können. Was akademisch daherkommt, tut sie auch aus persönlichen Motiven: Sie wolle selbst den Islam besser verstehen, dessen Bräuche auch angesichts der Migration aus Afrika und Nahost nach Europa besser kennenlernen. Die Lektüre von Fachbüchern und des Korans mit praktischen Erfahrungen in der muslimischen Gemeinschaft zu verbinden, hält sie für einen naheliegenden Zugang. Darüber möchte sie sich mit Muslimen wie Nichtmuslimen im Internet austauschen.
Den Entschluss, dies in der Öffentlichkeit anonym zu tun, habe ein Erlebnis im April begünstigt – wie auch eine Art „Jetzt erst recht“-Reaktion ausgelöst. Seinerzeit war sie mit drei marokkanischen Studenten auf der Leipziger Straße in Chemnitz beschimpft und angegriffen worden. „Ihr Kanaken – verpisst Euch!“, habe ein Angreifer gerufen, sagt sie. Nach Polizeiangaben hatte am Konkordiapark ein Mann eine Rangelei angezettelt, bei der ein Student leicht verletzt wurde.
Was die Frau sich wünscht angesichts derartiger Erfahrungen, sei Austausch – gern kritisch, aber ohne verbale oder körperliche Gewalt.