Justus Geilhufe ist 2,02 Meter groß, 28 Jahre jung und durchläuft seit Herbst in Oederan seine Ausbildung zum Pfarrer. Nur rund ein Viertel der Sachsen sind Christen. Was treibt ihn an?
OEDERAN/FREIBERG/GERINGSWALDE. Die Schuhe sind blank geputzt, dazu Hemd und Jackett, den Schal darüber lässig um den Hals geschlungen – so grüßt er herzlich mit Handschlag vor dem Tor der Oederaner Stadtkirche und bittet ins Bäckerei-Café nebenan zum Gespräch, wo bald ein Latte Macchiato vor ihm dampft. Justus Geilhufe ragt mit seinen 2,02 Meter Körpergröße auch im Sitzen heraus aus der Schar der Kunden an den Tischen ringsum. Immer wieder wird der 28-Jährige erkannt, treten meist ältere Damen oder Herren – knapp grüßend, lächelnd, nickend – an ihn heran, winken von Kuchentheke oder Ladentür.
Dabei ist der gebürtige, an der Elbe auch aufgewachsene Dresdner erst seit September in der evangelischen Kirchgemeinde der Stadt, um sein Vikariat abzuleisten – den praktischen Teil nach Philosophie- und Theologiestudien in Princeton, München, Leipzig und Göttingen auf dem Weg zum Pfarrer. „Ich sitze gern hier“, sagt er, „um in Kontakt zu kommen mit Leuten, auf die ich bei anderen Gelegenheiten eher nicht treffe.“
Eine illustre Familie
Justus Geilhufes älterer Bruder ist bayerischer Landesbeauftragter des Bundes Naturschutz, die Mutter promovierte Musikwissenschaftlerin. Der Vater, nun im Ruhestand, war schon während der DDR Pfarrer in Dresden-Seidnitz, stammt aber aus Geringswalde. Ebendort hatten dessen Vorfahren eine Möbelfabrik, die nach dem Krieg enteignet wurde. Der geistlichen Berufung zu folgen, war vom Vater reiflich überlegt, sagt der Sohn, ein Entschluss mit Vorbildcharakter auch für ihn angesichts der damals für überzeugte Christen entbehrungsreichen Zeit. Der Onkel von Geilhufes Mutter wiederum war Ludwig Engelhardt, Schöpfer des berühmten Marx-Engels-Denkmals für das gleichnamige Forum in Berlin. Eine illustre Familie, sympathisierte letzterer wohl doch eher mit dem Roten Stern als jenem von Bethlehem.
Warum aber als junger Mensch Pfarrer werden? Heute. Hier. Der väterliche Weg prägte, ja, und der seit früher Jugend gehegte Wunsch, den eigenen, nie als Gängelband empfundenen Glauben weiterzugeben, sagt Geilhufe.
Wer den so kultiviert wie reflektiert auftretenden jungen Mann beobachtet, spürt Entschiedenheit, auch so etwas wie Genugtuung darüber, mit dem eingeschlagenen Kurs nicht dem vermeintlichen oder tatsächlichen Zeitgeist zu entsprechen. Geilhufe hat kaum Berührungsängste, geht auf die Menschen zu, sagt, er schätze genau dies: „das Klare, die Direktheit“, das etwas Deftigere, das den Menschenschlag in der Region in seinen Augen ausmacht. Das gelte unabhängig davon, ob er es mit Angehörigen seiner Kirchgemeinde zu tun hat oder nicht. Geilhufe weiß um den „Auftrag der Kirche, zu den Menschen zu gehen, sie vom Glauben an Jesus zu überzeugen“. Das muss nicht teilen, wer mit ihm darüber diskutieren, auch: streiten will.
„Mit Gott auf einem beinahe weißen Blatt Papier neu malen“
Der verheiratete Familienvater, der einst das Kreuzgymnasium absolvierte, blickt dem auf die Kirchen zukommenden Strukturwandel durch die sinkende Anzahl von Christen nüchtern, beinahe gelassen entgegen – auch wenn sich dadurch vieles, sehr vieles ändern wird: Nicht an jeder Kirche wird es weiter Jugend- oder Seniorenkreise geben, dazu weniger Pfarrer, Geld. Doch Geilhufe denkt in Chancen, sagt: „Wo vieles, was man gewohnt ist, wegbricht, besteht die Möglichkeit, mit Gott gemeinsam auf einem beinahe weißen Blatt Papier neu zu malen.“
Er will aktiv sein und ist es schon, hat im der Landeskirche gehörenden „Haus der Stille“ im Wilsdruffer Ortsteil Grumbach (Kreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) mit Gleichgesinnten ein Schulungsprogramm aufgestellt. Es trägt den Namen „Hefata“ – Aramäisch für „Öffne Dich!“ – und soll angehenden Pfarrern und wissenschaftlich arbeitenden Theologen zur Vorbereitung auf den Wandel dienen. „Vieles“, sagt er, „was auf uns zukommt, lernen wir anderswo nicht.“ Dass weniger materieller Besitz – etwa kirchlicher Immobilien – auch von Sorgen freimache und neue (geistliche) Kräfte freisetzen könne, davon ist der Vikar überzeugt.
Hinter Buchdeckeln, Kirchenmauern will er sich nicht verstecken. „Ich muss raus zu den Leuten“, sagt er. Seine Ausbildung, auch bei der Predigt vor der Gemeinde, dauert in Oederan bis Sommer 2021. „Derzeit lerne ich viel bei Pfarrer Roßner“, so Geilhufe.
Wider den Tabucharakter des Todes
Was verwundern mag angesichts des Tabu-Charakters, von dem der Tod in einer auf Jugend getrimmten Gesellschaft geprägt ist: Der junge Mann, der erst in diesen Wochen Vater eines Sohnes wurde, misst gerade Trauerfeiern größte Bedeutung zu: „Das ist eine gewaltige Möglichkeit, Trost zuzusprechen, der dabei nicht von mir kommt, sondern von Gott. Ich übermittle ihn nur“, sagt Geilhufe mit freudigem Ernst. Es sei wundervoll, in derart schweren Stunden beistehen zu dürfen: Hoffnung zu stiften, wo viele keine sähen.
Obwohl in der Großstadt aufgewachsen, liebe er das Leben auf dem Lande. Seine katholische, aus dem Allgäu stammende Frau arbeitet als Ärztin am Krankenhaus Freiberg, wo sie auch wohnen. Sie sind angekommen in Mittelsachsen, auch wenn der angehende Pfarrer – entsprechend kirchlichen Vorgaben – nach Ausbildungsabschluss wohl nicht in der Umgebung wird in den Dienst einsteigen können. Doch Mittelsachsen, die ihm nahegehende Heimat des Vaters, ist groß.