Eine Freundin aus Studienzeiten hatte mich auf ihn aufmerksam gemacht. Nun ist er da, Alain Badiou, in Fleisch und Blut: der Althusser-Schüler und frühere Maoist, der Philosoph und Romancier, zu Vortrag und Diskussion im Deutschen Hygienemuseum. Und ich, ich sitze im Publikum. Badious Interesse, hatte mir die Freundin noch vorab geschrieben, gelte „neben formallogischen Arbeiten“ dem „politischen Subjekt nach dem Scheitern des Marxismus“. Aha, dachte ich. Das könnte spannend werden. Nach „dem neuen Politischen/der neuen Politik/der neuen Philosophie“ suche er – und befasse sich „nebenbei […] mit der Krise des Marxismus im Anschluss an den Totalitarismus, da Staat und Politik miteinander identifiziert scheinen“. Soweit die Worte besagter Freundin, die sich – anders als ich – mit Badiou schon intensiver auseinandergesetzt hat. Dann schwebt er herein, Badiou, der 76-Jährige. Mit schlohweißem Haar, in Hemd und Pullover. Leger nimmt auf dem Podium Platz. Der alte Mann, 1937 im marokkanischen Rabat geboren, will über „Poesie und Gemeinsinn“ referieren. Wer sich an Großes wagt, darf die großen Linien nicht aus den Augen verlieren. Badiou liebt sie – sagt zum Einstieg Sätze wie: „Im 20. Jahrhundert sind viele Poeten Kommunisten gewesen.“ Ein Trauerflor scheint sie zu umgeben, seine Erinnerung an Brecht zum Beispiel. Diesem und anderen habe man ihre politische Einstellung als Folge ideologischer Verführung ausgelegt, als Irrglaube gar. Das sei zu unrecht geschehen, meint Badiou, der zwischen Poesie und Kommunismus „eine innere Verbindung“ ausmacht. Denn: Ist es nicht der Poet, der sich darin versucht, das Unaussprechliche zur Sprache zu bringen? Natürlich nicht, um es für sich zu behalten, sondern: um seine Empfindungen zu teilen. Abstrakter: Zur Poesie gehörten immer die Utopie und das Gemeinsame. Poesie, sagt Badiou, sei somit gelebter Kommunismus. Darum hält er es auch nicht für verwunderlich, dass sich so viele Poeten im Spanischen Bürgerkrieg als Kommunisten begriffen. Ihre Erfahrung als Poeten hätten sie dann auf die Politik angewandt. Schließlich kommt Badiou zu sich selbst, schlussfolgert, was er seit Jahren schlussfolgert: Jeder Mensch, sagt er, sei grundsätzlich für Poesie empfänglich. Deshalb sei auch der Kommunismus – immer – möglich. Dem wiederum entgegen aber stehe die erlebte Wirklichkeit, das wirkliche Scheitern des realexistierenden Kommunismus in der Sowjetunion, auf Kuba, in China, wo auch immer. Als reale Möglichkeit sei er daher ad absurdum geführt. Et voilà: Da ist sie, die badiousche Paradoxie. Mit der er seine Leser und Zuhörer gern zurücklässt. Oder? Nicht ganz: Im Anschluss an seinen Vortrag schwang Badiou dann – er ist wirklich ein Schlitzohr – den Zeigefinger empor. Warnte und mahnte: dass der, der jene Paradoxie ignoriere, sich leicht zum Parteigänger eines Staatsabsolutismus mache – nicht also eines Kommunismus, wie er ihn verstehe. Behutsame sozialpolitische Verbesserungen hier, eine karitative Wohltat dort – das scheint er ihm heute zu sein: der Kommunismus.
Zu diesem jedoch, wendet ein kritischer Geist nach der Veranstaltung mir gegenüber ein, „zum Kommunismus gehört ja nicht nur ein Appell ans Gemeinsame“, denn – streng genommen – appelliere doch jede Ideologie mehr oder minder an alle. Zum Kommunisten, sagt dieser, wird man doch nicht Kraft eigenen Willens. Die Revolution werde doch vielmehr durch bestimmte Strukuren erzeugt. Da hat einer, dachte ich, seinen Marx noch gelesen. Er schob nach: Was Dichter dächten, spiele keine Rolle. Badiou jedenfalls, soviel sei sicher, ist kein Kommunist. Was bleibe, von diesem Abend, sei Gerede – schönes zwar, aber eben doch nur: Gerede. Besorgt sein, gab er sich eher belustigt als resigniert, müsse nach diesem Vortrag niemand. Von hier, von heute, von Badiou gehe gewiss nicht die Weltrevolution aus. Das Bürgertum könne ruhig schlafen. Und ich? Ich ging ruhig schlafen.