CHEMNITZ. Sie hat die jüngere Chemnitzer Musikgeschichte wesentlich mitgeprägt. Und auch wenn Ute Loos das Urteil über sich gern anderen überlässt, sprechen die Fakten eine klare Sprache: Die gebürtige Hohenstein-Ernstthalerin verbrachte 44 von 47 Jahren ihres Berufslebens als Lehrerin für Klassische Gitarre in Chemnitz, auch als es Karl-Marx-Stadt hieß. Hunderte Schüler bildete sie an der Städtischen Musikschule aus, die genaue Zahl weiß sie selbst nicht. Was für sie 1969 am früheren Standort des Hauses an der Dresdener Straße in einem dunklen Hinterhof begann, fand seit Mitte der achtziger Jahre, nach der Geburt ihres Sohnes, seine Fortsetzung am heutigen Standort auf dem Kaßberg.
Ihr Weg zu einem Leben mit der Musik war dabei keineswegs vorgezeichnet, wenn auch ihre Familie gute Voraussetzungen bot: Ihr Großvater leitete den Posaunenchor der evangelischen St.-Christophori-Kirchgemeinde in Ernstthal und ihre Mutter hatte Violine und Klavier gelernt. Seit frühester Kindheit erhielt Loos deshalb Blockflötenunterricht. „Volksinstrumente wie dieses – auch Mandoline, Gitarre oder Akkordeon – wurden in der DDR anfangs gegenüber Klavier oder Streichern besonders gefördert“, erinnert sich die 1943 geborene, zierliche Frau.
Im Alter von neun Jahren kam sie dann als eine der ersten auf die neugegründete Volksmusikschule Hohenstein-Ernstthal, und zum Flötenspiel gesellte sich die Klassische Gitarre. Höhere Weihen winkten, als sie im achten Schuljahr zur Musikhochschule in Weimar zugelassen wurde. „Mich trieb damals der kindliche Wunsch, in einem Schloss wohnen zu können“, bekennt sie, da die Unterstufe im Weimarer „Belvedere“ untergebracht war.
Einerseits folgten nun bunte Jugenderlebnisse, andererseits harte Arbeit im doppelten Sinne: Die Schüler mussten winters die Öfen ihrer Klassenzimmer selbst befeuern und dafür das Holz im Schlossgarten sammeln, und wurden im Sommer zur Ernte auf den umliegenden Feldern herangezogen. Sonst stand strenges Lernen auf dem Programm. Zu ihren Lehrern zählte dabei die über die DDR hinaus bekannte spätere Professorin Ursula Peter (1924–1989), die zahlreiche Musiklehrbücher verfasste, die noch immer gut verkauft werden.
Ihre erste eigene Gitarre erhielt Loos als Geschenk ihrer Großmutter. 300 DDR-Mark kostete sie; das war kein Pappenstiel, nichts aber im Vergleich zu ihrer bald darauf angeschafften ersten Weißgerber-Gitarre. „Der Klang dieses Namens hatte seinen Preis“, sagt Loos. „Die 1500 Mark bedeuteten für meine Mutter mehr als drei Monatslöhne.“
Nach der Unterstufe wechselte Loos 1962 auf die eigentliche Hochschule, wo sie 1966 ihr Examen ablegte. Die erste Lehrerstelle bot sich an der Musikschule Bitterfeld, wo Frank Beierlein, heute in Erfurt Leiter der größten Musikschule Thüringens, zu ihren ersten Schülern gehörte. Beierlein steht dabei stellvertretend für die ungewöhnlich hohe Zahl von mehr als 25 Schülern, die heute allein mit ihrem oder durch ihr Instrument den Lebensunterhalt verdienen: als Gitarrelehrer oder Solokünstler, in Führungsfunktionen bedeutender Musikschulen oder, wie einer ihrer letzten Schüler, als Musikinstrumentenbauer.
Nach wie vor rege ist der Austausch vieler Schüler mit der früheren Lehrerin. In Scharen pilgern sie nach Obergneus, ein kleines Dörfchen im Thüringischen, wo Loos seit Jahrzehnten einen alten Bauernhof bewohnt. Gern berichtet sie dann, umgeben von 94 Kamelien, aus alten Zeiten: zum Beispiel davon, was die DDR-Losung, Arbeiterkinder gegenüber bürgerlichen Sprösslingen zu bevorzugen, im Musikschulalltag bedeutete. „Die Bewerbungsunterlagen von Arbeiterkindern waren mit einer roten Ecke markiert. Es war nun interessant“, bekennt sie schmunzelnd, trotz der im Einzelfall damit verbundenen Ungerechtigkeit, „wer auf einmal Arbeiterkind war.“ Ärzte hätten sich als Werkzeugmacher, Ingenieure als Maurer ausgegeben. In Erinnerung blieb ihr auch der Fall eines Kindes, dessen Unterrichtung sie mangels Eignung ablehnen musste. Die Auswahl war streng; jeder Anwärter musste, anders als heute, eine Prüfung ablegen. Obwohl als Arbeitsort des Vaters „Ministerium des Innern“ in den Unterlagen vermerkt war, dachte sich die heute 70-Jährige zunächst nichts dabei. „Vielleicht sitzt der in der Verwaltung, nahm ich an, und es ging ja um die Sache“, sagt sie. Wenig später wurde sie zur SED-Bezirksparteileitung vorgeladen, wo sich der Vater über Loos beschwert hatte. Rechtfertigen musste sie sich zwar, die befürchteten Konsequenzen blieben aber aus.
Die Jahre seit 1989/90 brachten dann viele Neuerungen: Wie in Loos‘ Kindheit war nun wieder Gruppenunterricht möglich, aber auch nötig, um bei schwieriger finanzieller Ausstattung der Musikschule der Bewerberschar Herr zu werden. Einzelunterricht findet seither wahlweise 45, oder nur noch 30 Minuten lang statt, doch dies sei auch eine Frage des Geldbeutels. Die Kosten für eine Dreiviertelstunde Unterricht wöchentlich stiegen je Schuljahr von 60 DDR-Mark auf aktuell 582 Euro.
Ihren Beruf habe sie dennoch vom ersten bis zum letzten Arbeitstag in diesem Sommer außerordentlich gern ausgeübt – und nirgends kommt dies besser zum Ausdruck, als im Urteil ihrer Schüler: „Ich hoffe, Sie werden, auch wenn Sie in Rente gehen, niemals aufhören, Gitarre zu spielen. Sie sind für mich die beste Lehrerin, die man sich vorstellen kann“, schrieb ihr zum Abschied die 12-jährige Jasmin Gläser aus Chemnitz, die Loos sechs Jahre unterrichtete. Nicht nur deshalb glaubt man ihr gern, wenn sie sagt: „Ich habe nie das Gefühl gehabt, der Arbeit müde geworden zu sein.“
Nachtrag: Von Februar 2014 an war Ute Loos für einige Monate abermals in Chemnitz in Dienst. Sie vertrat in der Musikschule – nach eigener Auskunft „für längere Zeit“ – wöchentlich für zwei Tage einen Kollegen.
Als ich jung war (13–14 Jahre alt), habe ich Ute LOOS aus Hohenstein-Ernsthal als Brieffreundin gehabt. Ich war Schüler im Gymnasium in NIMES (Süd-Frankreich) und sie war Schülerin in der Musikhochschule in Weimar. Ich habe Sie niemals getroffen und nach einigen Jahren haben wir keine Briefe mehr geschrieben. Ich habe das immer schade gefunden. Nun bin ich in Pension und wohne in Süd-Frankreich in Montélimar. Es würde mich freuen, mehr von Ute zu lesen. Claude
Vielen Dank für Ihre Nachricht! Ich habe sie an Ute Loos mit Ihrer E‑Mail-Adresse weitergeleitet. Ich bin sicher, dass sie reagieren wird.
Vielen Dank für alles. Wir sind mit Ute wieder in Verbindung. Ich finde das wirklich nett von Ihnen. Claude
Das ist nicht der Rede wert! Ich freue mich für sie beide nach all den Jahren.