„Ich habe nie das Gefühl gehabt, der Arbeit müde geworden zu sein“. Die Ursula-Peter-Schülerin Ute Loos ist in den Ruhestand getreten

Im Thüringischen und ganz bei sich: Ute Loos mit Instrument im Oktober 2013. Foto: privat.
Im Thü­rin­gi­schen und ganz bei sich: Ute Loos mit Instru­ment im Okto­ber 2013. Foto: privat.

CHEMNITZ. Sie hat die jün­ge­re Chem­nit­zer Musik­ge­schich­te wesent­lich mit­ge­prägt. Und auch wenn Ute Loos das Urteil über sich gern ande­ren über­lässt, spre­chen die Fak­ten eine kla­re Spra­che: Die gebür­ti­ge Hohen­stein-Ernst­tha­le­rin ver­brach­te 44 von 47 Jah­ren ihres Berufs­le­bens als Leh­re­rin für Klas­si­sche Gitar­re in Chem­nitz, auch als es Karl-Marx-Stadt hieß. Hun­der­te Schü­ler bil­de­te sie an der Städ­ti­schen Musik­schu­le aus, die genaue Zahl weiß sie selbst nicht. Was für sie 1969 am frü­he­ren Stand­ort des Hau­ses an der Dres­de­ner Stra­ße in einem dunk­len Hin­ter­hof begann, fand seit Mit­te der acht­zi­ger Jah­re, nach der Geburt ihres Soh­nes, sei­ne Fort­set­zung am heu­ti­gen Stand­ort auf dem Kaßberg.

Ihr Weg zu einem Leben mit der Musik war dabei kei­nes­wegs vor­ge­zeich­net, wenn auch ihre Fami­lie gute Vor­aus­set­zun­gen bot: Ihr Groß­va­ter lei­te­te den Posau­nen­chor der evan­ge­li­schen St.-Christophori-Kirchgemeinde in Ernst­thal und ihre Mut­ter hat­te Vio­li­ne und Kla­vier gelernt. Seit frü­hes­ter Kind­heit erhielt Loos des­halb Block­flö­ten­un­ter­richt. „Volks­in­stru­men­te wie die­ses – auch Man­do­li­ne, Gitar­re oder Akkor­de­on – wur­den in der DDR anfangs gegen­über Kla­vier oder Strei­chern beson­ders geför­dert“, erin­nert sich die 1943 gebo­re­ne, zier­li­che Frau.

Im Alter von neun Jah­ren kam sie dann als eine der ers­ten auf die neu­ge­grün­de­te Volks­mu­sik­schu­le Hohen­stein-Ernst­thal, und zum Flö­ten­spiel gesell­te sich die Klas­si­sche Gitar­re. Höhe­re Wei­hen wink­ten, als sie im ach­ten Schul­jahr zur Musik­hoch­schu­le in Wei­mar zuge­las­sen wur­de. „Mich trieb damals der kind­li­che Wunsch, in einem Schloss woh­nen zu kön­nen“, bekennt sie, da die Unter­stu­fe im Wei­ma­rer „Bel­ve­de­re“ unter­ge­bracht war.

Einer­seits folg­ten nun bun­te Jugend­er­leb­nis­se, ande­rer­seits har­te Arbeit im dop­pel­ten Sin­ne: Die Schü­ler muss­ten win­ters die Öfen ihrer Klas­sen­zim­mer selbst befeu­ern und dafür das Holz im Schloss­gar­ten sam­meln, und wur­den im Som­mer zur Ern­te auf den umlie­gen­den Fel­dern her­an­ge­zo­gen. Sonst stand stren­ges Ler­nen auf dem Pro­gramm. Zu ihren Leh­rern zähl­te dabei die über die DDR hin­aus bekann­te spä­te­re Pro­fes­so­rin Ursu­la Peter (1924–1989), die zahl­rei­che Musik­lehr­bü­cher ver­fass­te, die noch immer gut ver­kauft werden.

Ihre ers­te eige­ne Gitar­re erhielt Loos als Geschenk ihrer Groß­mutter. 300 DDR-Mark kos­te­te sie; das war kein Pap­pen­stiel, nichts aber im Ver­gleich zu ihrer bald dar­auf ange­schaff­ten ers­ten Weiß­ger­ber-Gitar­re. „Der Klang die­ses Namens hat­te sei­nen Preis“, sagt Loos. „Die 1500 Mark bedeu­te­ten für mei­ne Mut­ter mehr als drei Monatslöhne.“

Nach der Unter­stu­fe wech­sel­te Loos 1962 auf die eigent­li­che Hoch­schu­le, wo sie 1966 ihr Examen ableg­te. Die ers­te Leh­rer­stel­le bot sich an der Musik­schu­le Bit­ter­feld, wo Frank Bei­er­lein, heu­te in Erfurt Lei­ter der größ­ten Musik­schu­le Thü­rin­gens, zu ihren ers­ten Schü­lern gehör­te. Bei­er­lein steht dabei stell­ver­tre­tend für die unge­wöhn­lich hohe Zahl von mehr als 25 Schü­lern, die heu­te allein mit ihrem oder durch ihr Instru­ment den Lebens­un­ter­halt ver­die­nen: als Gitar­re­leh­rer oder Solo­künst­ler, in Füh­rungs­funk­tio­nen bedeu­ten­der Musik­schu­len oder, wie einer ihrer letz­ten Schü­ler, als Musikinstrumentenbauer.

Nach wie vor rege ist der Aus­tausch vie­ler Schü­ler mit der frü­he­ren Leh­re­rin. In Scha­ren pil­gern sie nach Oberg­neus, ein klei­nes Dörf­chen im Thü­rin­gi­schen, wo Loos seit Jahr­zehn­ten einen alten Bau­ern­hof bewohnt. Gern berich­tet sie dann, umge­ben von 94 Kame­li­en, aus alten Zei­ten: zum Bei­spiel davon, was die DDR-Losung, Arbei­ter­kin­der gegen­über bür­ger­li­chen Spröss­lin­gen zu bevor­zu­gen, im Musik­schul­all­tag bedeu­te­te. „Die Bewer­bungs­un­ter­la­gen von Arbei­ter­kin­dern waren mit einer roten Ecke mar­kiert. Es war nun inter­es­sant“, bekennt sie schmun­zelnd, trotz der im Ein­zel­fall damit ver­bun­de­nen Unge­rech­tig­keit, „wer auf ein­mal Arbei­ter­kind war.“ Ärz­te hät­ten sich als Werk­zeug­ma­cher, Inge­nieu­re als Mau­rer aus­ge­ge­ben. In Erin­ne­rung blieb ihr auch der Fall eines Kin­des, des­sen Unter­rich­tung sie man­gels Eig­nung ableh­nen muss­te. Die Aus­wahl war streng; jeder Anwär­ter muss­te, anders als heu­te, eine Prü­fung able­gen. Obwohl als Arbeits­ort des Vaters „Minis­te­ri­um des Innern“ in den Unter­la­gen ver­merkt war, dach­te  sich die heu­te 70-Jäh­ri­ge zunächst nichts dabei. „Viel­leicht sitzt der in der Ver­wal­tung, nahm ich an, und es ging ja um die Sache“, sagt sie. Wenig spä­ter wur­de sie zur SED-Bezirks­par­tei­lei­tung vor­ge­la­den, wo sich der Vater über Loos beschwert hat­te. Recht­fer­ti­gen muss­te sie sich zwar, die befürch­te­ten Kon­se­quen­zen blie­ben aber aus.

Die Jah­re seit 1989/90 brach­ten dann vie­le Neue­run­gen: Wie in Loos‘ Kind­heit war nun wie­der Grup­pen­un­ter­richt mög­lich, aber auch nötig, um bei schwie­ri­ger finan­zi­el­ler Aus­stat­tung der Musik­schu­le der Bewer­ber­schar Herr zu wer­den. Ein­zel­un­ter­richt fin­det seit­her wahl­wei­se 45, oder nur noch 30 Minu­ten lang statt, doch dies sei auch eine Fra­ge des Geld­beu­tels. Die Kos­ten für eine Drei­vier­tel­stun­de Unter­richt wöchent­lich stie­gen je Schul­jahr von 60 DDR-Mark auf aktu­ell 582 Euro.

Ihren Beruf habe sie den­noch vom ers­ten bis zum letz­ten Arbeits­tag in die­sem Som­mer außer­or­dent­lich gern aus­ge­übt – und nir­gends kommt dies bes­ser zum Aus­druck, als im Urteil ihrer Schü­ler: „Ich hof­fe, Sie wer­den, auch wenn Sie in Ren­te gehen, nie­mals auf­hö­ren, Gitar­re zu spie­len. Sie sind für mich die bes­te Leh­re­rin, die man sich vor­stel­len kann“, schrieb ihr zum Abschied die 12-jäh­ri­ge Jas­min Glä­ser aus Chem­nitz, die Loos sechs Jah­re unter­rich­te­te. Nicht nur des­halb glaubt man ihr gern, wenn sie sagt: „Ich habe nie das Gefühl gehabt, der Arbeit müde gewor­den zu sein.“

Nach­trag: Von Febru­ar 2014 an war Ute Loos für eini­ge Mona­te aber­mals in Chem­nitz in Dienst. Sie ver­trat in der Musik­schu­le – nach eige­ner Aus­kunft „für län­ge­re Zeit“ – wöchent­lich für zwei Tage einen Kollegen.

„Ich habe nie das Gefühl gehabt, der Arbeit müde gewor­den zu sein“. Die Ursu­la-Peter-Schü­le­rin Ute Loos ist in den Ruhe­stand getre­ten: 1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars
4,89 von 5 Punk­ten, basie­rend auf 9 abge­ge­be­nen Stimmen. 
Loading…
Share this: 
Share this page via Email Share this page via Facebook Share this page via Twitter

4 Gedanken zu „„Ich habe nie das Gefühl gehabt, der Arbeit müde geworden zu sein“. Die Ursula-Peter-Schülerin Ute Loos ist in den Ruhestand getreten

  1. Als ich jung war (13–14 Jah­re alt), habe ich Ute LOOS aus Hohen­stein-Erns­thal als Brief­freun­din gehabt. Ich war Schü­ler im Gym­na­si­um in NIMES (Süd-Frank­reich) und sie war Schü­le­rin in der Musik­hoch­schu­le in Wei­mar. Ich habe Sie nie­mals getrof­fen und nach eini­gen Jah­ren haben wir kei­ne Brie­fe mehr geschrie­ben. Ich habe das immer scha­de gefun­den. Nun bin ich in Pen­si­on und woh­ne in Süd-Frank­reich in Mon­té­li­mar. Es wür­de mich freu­en, mehr von Ute zu lesen. Claude

    1. Vie­len Dank für Ihre Nach­richt! Ich habe sie an Ute Loos mit Ihrer E‑Mail-Adres­se wei­ter­ge­lei­tet. Ich bin sicher, dass sie reagie­ren wird.

  2. Vie­len Dank für alles. Wir sind mit Ute wie­der in Ver­bin­dung. Ich fin­de das wirk­lich nett von Ihnen. Claude

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert