Sie konnten nicht zusammenkommen

Am Abklingen: Noch bilden sich Trauben von Neugierigen mit Gesprächsbedarf entlang der Bühne bei den Schriftstellern Uwe Tellkamp, der aber schnell verschwindet, und Durs Grünbein, die am 8. März 2018 im Dresdener Kulturpalast zeitweise hitzig über Meinungsfreiheit diskutiert haben. Foto: Michael Kunze
Auch nach dem Streit­ge­spräch über Mei­nungs­frei­heit bil­den sich am 8. März im Dres­de­ner Kul­tur­pa­last Trau­ben von Neu­gie­ri­gen mit Gesprächs­be­darf vor der Büh­ne bei den Schrift­stel­lern Uwe Tell­kamp und Durs Grün­bein. Zeit­wei­se hit­zig haben bei­de zuvor auch über die Migra­ti­ons­po­li­tik dis­ku­tiert. Foto: Micha­el Kunze

Die in Dres­den gebo­re­nen Schrift­stel­ler Durs Grün­bein und Uwe Tell­kamp haben im Kul­tur­pa­last der Stadt über Mei­nungs­frei­heit dis­ku­tiert. Die Atmo­sphä­re war hit­zig, das Inter­es­se gewal­tig. Was bleibt?

DRESDEN. Die Orga­ni­sa­to­ren haben nichts dem Zufall über­las­sen wol­len. Sogar Hand­zet­tel mit Ver­hal­tens­re­geln, erstellt vom Kul­tur­haupt­stadt­bü­ro der Stadt­ver­wal­tung als Ver­an­stal­ter, wer­den vor der Dis­kus­si­on aus­ge­reicht, die sich dem The­ma „Streit­bar! Wie frei sind wir mit unse­ren Mei­nun­gen?“ wid­met. Dann erst – und nicht vor erwar­te­ten 350 Zuhö­rern im Foy­er, son­dern mit um die 850 im Kon­zert­saal – bestei­gen zwei schrift­stel­le­ri­sche Schwer­ge­wich­te die Büh­ne: Durs Grün­bein („Die Jah­re im Zoo“) und Uwe Tell­kamp („Der Turm“). Die Sehn­sucht nach Aus­ein­an­der­set­zung, nach Ver­hand­lung der Pro­ble­me, die das Land bewe­gen – jen­seits von Talk­show-For­ma­ten und Twit­ter-Bla­sen – ist groß. Die Schrift­stel­ler ste­hen für Lager, die, nur nach Links und Rechts unter­schie­den, unzu­rei­chend beschrie­ben wären.

Tell­kamp ist einer der Erst­un­ter­zeich­ner der nach der Frank­fur­ter Buch­mes­se im Herbst von der Dres­de­ner Buch­händ­le­rin Susan­ne Dagen initi­ier­ten „Char­ta 2017“ – die schon dem Namen nach an die „Char­ta 77“ von tsche­chi­schen Intel­lek­tu­el­len ange­lehnt ist. Die­se pro­tes­tier­ten sei­ner­zeit gegen Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen – dass die Situa­ti­on damals dort mit der heu­ti­gen hier­zu­lan­de wenig gemein hat, liegt auf der Hand. Der 49 Jah­re alte Tell­kamp unter­stützt den 2017er Auf­ruf, in dem eine Mei­nungs­frei­heit kri­ti­siert wird, die auf einen in der ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung legi­ti­mier­ten „Gesin­nungs­kor­ri­dor“ ver­engt wer­de. Wenn ein Ver­an­stal­ter, wie der der Buch­mes­se im ver­gan­ge­nen Jahr, zu „akti­ver Aus­ein­an­der­set­zung“ mit rech­ten Ver­la­gen auf­ru­fe – es kam dann zu Gewalt gegen eini­ge Stän­de –, sei man nicht weit ent­fernt von einer „Gesin­nungs­dik­ta­tur“, heißt es dar­in. Wo indes blei­be eine ver­gleich­ba­re Aus­ein­an­der­set­zung mit der radi­ka­len Lin­ken, fragt er im Kulturpalast.

Suhr­kamp distan­ziert sich von Tellkamp

Vie­les, was ein­an­der vor­ge­hal­ten wird, ist längst gesagt. Von ande­ren. Ander­sorts. Aber damit offen­sicht­lich nicht erle­digt. Buh- und Zwi­schen­ru­fe rei­ßen wie Applaus zu Bekun­dun­gen bei­der Prot­ago­nis­ten den Abend über nicht ab. Tell­kamp spricht emo­tio­nal, beklagt einen ein­sei­ti­gen Umgang mit gesell­schaft­li­chen Reiz­the­men, der sich auch an domi­nie­ren­den Begrif­fen able­sen las­se: Wenn undif­fe­ren­ziert von „Flücht­lin­gen“ (auch: „Schutz­su­chen­den“) die Rede sei mit Blick auf mehr als eine Mil­li­on Migran­ten, die seit 2015 ins Land kamen, sagt er, sei dies ange­sichts der Rechts­la­ge, der zufol­ge nur ein klei­ner Pro­zent­satz Schutz­sta­tus erhält, ein spre­chen­des Bei­spiel von vie­len. Zudem woll­ten die meis­ten Migran­ten – „95 Pro­zent“ – nur in die Sozi­al­sys­te­me ein­wan­dern (sein Ver­lag Suhr­kamp, in dem auch Grün­beins Wer­ke erschei­nen, distan­ziert sich auf Twit­ter am Tag nach der Ver­an­stal­tung von Tell­kamps Äuße­run­gen). Wer das öffent­lich kri­ti­siert, gel­te als rechts, rechts­po­pu­lis­tisch, rechts­ex­trem. Dass da Wut auf­kom­me, bil­li­ge Tell­kamp nicht. „Aber man muss sich nicht wun­dern“, sagt er.

Durs Grün­bein hat die Char­ta nicht unter­zeich­net, son­dern einen „Auf­ruf“ des Dresd­ner Lite­ra­tur­hau­ses „Vil­la Augus­tin“, der deren „ver­ba­le Ent­glei­sun­gen“ kri­ti­siert. Der 55-Jäh­ri­ge ruft Arti­kel 19 der Char­ta der Men­schen­rech­te in Erin­ne­rung. „Jeder hat das Recht auf Mei­n­ungs­frei­heit und freie Mei­n­ungsäußerung“, steht dar­in. Und: Die­ses „Recht schließt die Frei­heit ein, Mei­n­un­gen unge­hin­dert anzuhän­gen sowie über Medi­en jed­er Art und ohne Rück­sicht auf Gren­zen Infor­ma­tio­nen und Gedan­ken­gut zu suchen, zu emp­fan­gen und zu ver­bre­it­en.“ Das decke es selbst, Bücher wie Hit­lers „Mein Kampf“ wie­der zu dru­cken, sagt er. Die Bür­ger sei­en mün­dig genug, so etwas ein­zu­ord­nen. Nur: Es brau­che Auf­klä­rung statt Angst­pro­pa­gan­da. Man dür­fe die Ver­hält­nis­se nicht umkeh­ren, sei doch die Anzahl rechts­ex­tre­mis­ti­scher Gewalt­ta­ten höher als jene von links. Demo­kra­tie ver­steht Grün­bein, der anfangs all­zu abge­klärt auf­tritt, „als per­ma­nen­te Selbst­kri­tik ihrer Ver­tre­ter“. Er will weg vom Belei­digt­sein, befin­det zudem, dass zu prü­fen sei, inwie­fern bei der Grenz­öff­nung 2015 die Poli­tik gegen gel­ten­des Recht ver­sto­ßen habe – etwa in einem Unter­su­chungs­aus­schuss. Zen­sur sieht er in der Medi­en­land­schaft nicht. Tell­kamp hat­te zuvor ein Reprä­sen­ta­ti­ons­de­fi­zit bei abwei­chen­den Mei­nun­gen beklagt. Grün­bein moniert Pro­ble­me in der Mei­nungs­viel­falt beim Fern­se­hen, ohne das näher aus­zu­füh­ren. Man hät­te sich hier Nach­fra­gen gewünscht.

Was hat der Abend gebracht? Zusam­men­kom­men konn­ten Grün­bein und Tell­kamp nicht – wie die Königs­kin­der in der anti­ken Bal­la­de. Woll­ten sie auch nicht. Muss­ten sie nicht. Grün­beins Ein­tre­ten gegen wei­te­re Pola­ri­sie­rung fand Tell­kamp wohl­feil ange­sichts des­sen von der ver­öf­fent­lich­ten Mehr­heits­mei­nung, wie er sag­te, weit­hin getra­ge­ner Posi­ti­on. Tell­kamp indes wol­le sich nicht bloß „gedul­det“ wis­sen, son­dern „ohne Furcht“ äußern. Schließ­lich bren­nen Autos, sag­te er, und ver­wies auf das eines kon­ser­va­ti­ven Poli­to­lo­gen in Dres­den, nicht aber jenes eines Links­par­tei­po­li­ti­kers, das im benach­bar­ten Frei­tal in Flam­men auf­ge­gan­gen war.

Kubit­schek will den Riss in der Gesell­schaft – jedoch grö­ßer, tiefer

Als die mehr oder weni­ger elo­quen­te bür­ger­li­che Mit­te im Publi­kum schließ­lich Fra­gen und Ant­wor­ten mit dem Podi­um aus­tauscht, sind ent­we­der Leu­te wie der ehe­ma­li­ge säch­si­sche Grü­nen-Land­tags­ab­ge­ord­ne­te Johan­nes Lich­di schon aus dem Saal ver­schwun­den und bald bei Twit­ter aktiv – nicht ohne zuvor Schimpf­ti­ra­den vom Rang hin­ab auf Tell­kamp ent­bo­ten zu haben, wäh­rend auf dem Podi­um über die Gefah­ren debat­tiert wird, die eine Abwä­gung der Not von Ein­hei­mi­schen gegen die von Zuwan­de­rern birgt. Legi­da-Red­ner und Ver­le­ger Götz Kubit­schek (Antaios/„Sezession“) wie­der­um wünscht sich den Riss in der Gesell­schaft viel grö­ßer, als er längst ist. Dazu spricht er und spricht, als gäbe es die Hand­zet­tel­chen nicht, laut denen die Rede­zeit auf „1 Minu­te“ begrenzt sein soll. An die­ser Repu­blik scheint ihm wenig zu lie­gen. Die Mit­te im Saal schaut zu. Danach Klat­schen, Buh­ru­fe. Wie gehabt.

Nach dem Abend weiß man nicht recht, ob das ein Anfang ist: die­ses ein­an­der „aus­hal­ten“ Ler­nen, ein­an­der anzu­hö­ren. Oder ob der Punkt schon über­schrit­ten ist für eine Ver­stän­di­gung. Ob die Rän­der nicht wei­ter Fak­ten schaf­fen – in die eine oder in die ande­re Rich­tung. Beim ein­an­der Zuhö­ren wird es nicht blei­ben können.

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