„Der Wind aus China weht eiskalt“

Ein Schwe­de hat unweit von Chem­nitz Sach­sens größ­tes Fami­li­en­un­ter­neh­men auf­ge­baut – als Handygroßhändler.

HARTMANNSDORF. Kurz nach dem Mau­er­fall, aber noch vor der Wie­der­ver­ei­ni­gung geht ein Schwe­de auf Rei­sen. Sein Ziel liegt jen­seits des Eiser­nen Vor­hangs – auch wenn der längst im Fal­len begrif­fen ist. Nach Hart­manns­dorf fährt er, im Janu­ar 1990. Die 4500-See­len-Gemein­de liegt nörd­lich von Chem­nitz, das damals noch Karl-Marx-Stadt heißt. Dort nimmt der 51-Jäh­ri­ge den Bau­ern­hof in Augen­schein, den ihm der Vater hin­ter­las­sen hat. Sech­zig Jah­re zuvor hat­te der Seni­or den umge­kehr­ten Weg gewählt und Deutsch­land in Rich­tung Skan­di­na­vi­en ver­las­sen, wo sein Sohn gebo­ren wurde.

Gun­nar Gros­se, Jahr­gang 1939, wird Unter­neh­mens­be­ra­ter und über­nimmt schnell Füh­rungs­funk­tio­nen, grün­det eine Pro­duk­ti­ons- und Ver­triebs­ge­sell­schaft für Ang­ler- und Jagd­be­darf und ver­kauft sie spä­ter wie­der. Gros­se wech­selt anschlie­ßend das Metier, steigt in den Vor­stand der Folk­s­am-Ver­si­che­rung auf.

Und wäh­rend ande­re schon auf den Ruhe­stand schie­len, sucht er noch ein­mal die Her­aus­for­de­rung, will sich selbst ver­wirk­li­chen. Auf dem Bau­ern­hof der Eltern grün­det der Schwe­de mit säch­si­schen Wur­zeln 1992 das Unter­neh­men Kom­mu­ni­ka­ti­on Sach­sen, kurz Kom­sa. Es ist der ers­te Betrieb eines Aus­län­ders, der nach der Wen­de ins säch­si­sche Han­dels­re­gis­ter ein­ge­tra­gen wird. Die Geschäfts­idee ist sim­pel: „Kaum jemand hat­te Tele­fon, geschwei­ge denn ein Han­dy. Alle rann­ten zur Tele­fon­zel­le und ärger­ten sich, wenn ich tele­fo­nier­te. Oft war das mehr als ein Gespräch – und das dau­er­te“, erin­nert sich Grosse.

Das will der Neu-Sach­se ändern. Kom­sa steigt ins Geschäft mit Han­dys und Mobil­funk­ver­trä­gen ein, wird Groß- und Ein­zel­händ­ler. Nach und nach bekommt Gros­se alle gro­ßen Netz­be­trei­ber und Mar­ken ins Port­fo­lio: zunächst die D‑Netze von Tele­kom und Man­nes­mann, spä­ter T‑Mobile, Voda­fone, O2 und E‑Plus auf der einen, (Sony-)Ericsson, Nokia, irgend­wann LG, Sam­sung und Apple auf der ande­ren Sei­te. Der Anfang ist schwer, heu­te aber umfasst das Netz der Wie­der­ver­käu­fer unter dem Dach von Kom­sa um die 10 000 Groß­märk­te, Fach­ge­schäf­te, Ver­sand- und Online- oder Sys­tem­häu­ser. Auch Auto­händ­ler gehö­ren dazu. Kom­sa wird Nokia-Dis­tri­bu­teur Num­mer 1 in Deutsch­land und muss den Nie­der­gang der Mar­ke ver­kraf­ten, die zeit­wei­se über 40 Pro­zent Markt­an­teil ver­fügt. „Unser Nokia-Umsatz ging run­ter, aber rich­tig. Wir haben das kom­pen­siert – mit Sam­sung zum Bei­spiel und mit Dienst­leis­tun­gen“, erzählt Grosse.

Als beson­ders erfolg­reich stellt sich das Repa­ra­tur­ge­schäft für Han­dys her­aus, für Lap­tops, Smart­pho­nes, Tablets und Net­books. Um die 100 000 Gerä­te set­zen die Kom­sa-Leu­te mitt­ler­wei­le jeden Monat instand, 20 Stück je Mit­ar­bei­ter und Tag. Die Schlag­zahl ist hoch, die Mar­gen sind nied­rig. Doch Kom­sa spielt im War­tungs­ge­schäft in der ers­ten Liga: Nur die Ber­tels­mann­toch­ter Arva­to repa­riert hier­zu­lan­de noch mehr ITK-Tech­nik, obwohl Bran­chen­mo­tor Apple im Instand­set­zungs­ge­schäft bis­lang bei Kom­sa nicht ein­mal unter Ver­trag steht. „Apple allein ent­schei­det, wer mit den Pro­duk­ten Geld ver­dient – und wie viel“, sagt Grosse.

2001 expan­diert der pas­sio­nier­te Anti­qui­tä­ten- und Groß­kä­fer­samm­ler nach Polen. Wie­der ist der Weg stei­nig, doch der mitt­ler­wei­le 73 Jah­re alte Unter­neh­mer macht eine ein­fa­che Rech­nung auf: „Deutsch­land hat 80 Mil­lio­nen Ein­woh­ner, Polen 40 Mil­lio­nen. Das sind zusam­men mehr als ein Vier­tel der EU-Bevöl­ke­rung – genug für Kom­sa.“ Das tech­nisch anspruchs­vol­le Geschäft ist dabei drin­gend auf qua­li­fi­zier­te Mit­ar­bei­ter ange­wie­sen, dies- wie jen­seits der Oder. Vor allem Elek­tronik­fach­leu­te ste­hen hoch im Kurs. „Rund um Chem­nitz ist alles abge­grast, hier gibt es kei­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­elek­tro­ni­ker mehr. Des­halb ler­nen wir sogar Kon­di­to­ren an. Die Fein­mo­to­rik muss stim­men – und die Ein­stel­lung“, sagt eine Unter­neh­mens­spre­che­rin. Vor­aus­set­zung für eine Anstel­lung bei Kom­sa sei es, dass sich die Mit­ar­bei­ter ent­wi­ckeln könn­ten und woll­ten. Gros­se hat Schu­len ins Boot geholt, bie­tet Füh­run­gen durch das Unter­neh­men an, koope­riert mit der TU Chem­nitz, sitzt dort
selbst im Hochschulrat.

In der süd­west­säch­si­schen Pro­vinz, jen­seits der gro­ßen Zen­tren, ist auch der fir­men­ei­ge­ne Kin­der­gar­ten ein wich­ti­ger Stand­ort­fak­tor. Gros­se lässt, als der Bau­ern­hof für die Fir­ma zu klein wird, die­sen zum Kin­der­gar­ten umbau­en. „Bei Kom­sa steht der Mensch im Mit­tel­punkt, egal ob Mit­ar­bei­ter oder Kun­de“, betont er. Wie Ikea-Chef Ing­var Kam­p­rad umarmt Gros­se sei­ne Mit­ar­bei­ter, sucht Nähe, zeigt Emo­tio­nen. „Typisch schwe­disch“ sei das, davon könn­ten die Deut­schen ler­nen. Die Qua­li­tä­ten des Mana­gers hat längst auch die Poli­tik erkannt, in Dres­den wird er hofiert und die dama­li­ge Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Ursu­la von der Ley­en (CDU) ernann­te ihn zum säch­si­schen Bot­schaf­ter für die Ver­ein­bar­keit von Fami­lie und Beruf. Gros­se will ein Unter­neh­men mit Wer­ten, kei­ne see­len­lo­se Geld­ma­schi­ne. „Unser Kom­pass ist ein mora­li­scher. An sich hat eine Fir­ma kein Gewis­sen, das kommt erst durch die Mit­ar­bei­ter.“ Und die müss­ten beson­ders geschult wer­den, müss­ten ler­nen, dass es auf sie ankommt, auf ihre Bereit­schaft, Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Dafür räumt Gros­se ein: „Zum Ler­nen gehö­ren Feh­ler, um dar­an zu wach­sen. Das war anfangs ver­rückt. Ich konn­te kaum zuse­hen, so viel lief schief. Nötig war es trotz­dem.“ Sein Enga­ge­ment in Sach­sen hat er nicht bereut.

Mit sie­ben Mit­ar­bei­tern begann alles, mehr als 1300 sind es heu­te – Alters­schnitt 34 Jah­re, 40 Pro­zent der Füh­rungs­po­si­tio­nen beset­zen Frau­en. Im Geschäfts­jahr 2011/12 kamen die Hart­manns­dor­fer auf 735 Mil­lio­nen Euro Umsatz (Vor­jahr: 728), davon erwirt­schaf­te­te Kom­sa 621 Mil­lio­nen Euro in Deutsch­land. Gros­se führt nach eige­nen Anga­ben das „größ­te Fami­li­en­un­ter­neh­men in Sach­sen; nach Rot­käpp­chen das zweit­größ­te in Mit­tel­deutsch­land“. Deutsch­land­weit ran­gie­re man auf Platz 195 (nach Umsatz).

Die Finanz- und Wirt­schafts­kri­se hat Kom­sa gut über­stan­den. Eine Pau­se gönnt sich Gros­se, der in den nächs­ten drei Jah­ren an einen Nach­fol­ger über­ge­ben möch­te, den­noch nicht – auch nicht der Poli­tik, die er in der Pflicht sieht, Deutsch­land inter­na­tio­nal wett­be­werbs­fä­hi­ger auf­zu­stel­len. Gros­se will über die gro­ßen Lini­en reden. Das liegt ihm. Für das ope­ra­ti­ve Geschäft hat er Jür­gen Unger in den Vor­stand geholt. „Ich habe nicht das Rad erfun­den“, bekennt er spitz­bü­bisch, „aber ich weiß, wie Räder funk­tio­nie­ren und wie man sie auf­ein­an­der abstimmt.“

Sorg­sam ver­folgt er die Ent­wick­lung in Fern­ost. „Der Wind aus Chi­na weht eis­kalt.“ Ame­ri­ka wer­de sich bald erho­len, ist Gros­se über­zeugt. Deutsch­land aber sieht er wie vie­le west­li­che Län­der „im Über­le­bens­kampf“. Dass die Chi­ne­sen das deut­sche Modell mit Argus­au­gen ver­folg­ten, sei „kein Zufall“. Der deut­sche Herz­schlag sei zwar lang­sa­mer, Puls und Qua­li­tät hin­ge­gen „unge­mein stark“. Vie­le Betrie­be hät­ten aber noch nicht ver­stan­den, dass die wirk­li­chen Umwäl­zun­gen in der Infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gie erst noch bevor­stün­den: „Wie eine Tsu­na­mi­wel­le rol­len sie auf uns zu.“

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