„Der Kakao-Anbau ist keine heile Welt“

600.000 Min­der­jäh­ri­ge haben nach Anga­ben der Orga­ni­sa­ti­on Trans­fair angeb­lich 2010 auf Kakao­plan­ta­gen in West­afri­ka gear­bei­tet. Die Kin­der­or­ga­ni­sa­ti­on der Ver­ein­ten Natio­nen Unicef kommt auf ande­re Zah­len. Dem­nach gibt es rund 200.000 Kin­der auf Kakao­plan­ta­gen in Elfen­bein­küs­te, Mali, Bur­ki­na Faso und Togo. 15 Stun­den täg­lich müs­sen sie laut Trans­fair unter unmensch­li­chen Bedin­gun­gen schuf­ten. Seit Jah­ren geis­tern Zah­len wie die­se durch die Medien.

Fern­seh­do­ku­men­ta­tio­nen und Stu­di­en ent­stan­den, und im März die­ses Jah­res stimm­te das EU-Par­la­ment einem Kakao-Abkom­men zu, das sich gegen „bil­li­ge Kin­der­ar­beit“ wen­det. Die Scho­ko­la­den­bran­che konn­te die­se Zah­len nicht län­ger igno­rie­ren. Einer ihrer wich­tigs­ten Grund­stof­fe ist Kakao, aus dem Kakao­mas­se und Kakao­but­ter gewon­nen wer­den – oft aller­dings in Staa­ten, in denen es um die poli­ti­schen und sozia­len Ver­hält­nis­se nicht zum Bes­ten bestellt ist.

Geschwa­fel eini­ger Ökofreaks

Noch vor Jah­ren taten die Ver­tre­ter der Lebens­mit­tel­in­dus­trie die­ses The­ma als Geschwa­fel eini­ger Öko­freaks ab. Nun haben es deren Mar­ke­ting­stra­te­gen längst aus eige­nem Inter­es­se auf­ge­grif­fen. Sie kal­ku­lie­ren mit dem Gewis­sen ihrer Kun­den, haben aber, wie Nest­lé zum Bei­spiel, auch ande­re Zie­le im Fokus: „Nur auf einen Min­dest­preis zu ach­ten greift uns zu kurz“ sagt Achim Dre­wes, Unter­neh­mens­spre­cher von Nest­lé Deutsch­land. Begrif­fe wie „fair“ oder „nach­hal­tig“ sei­en mit Vor­sicht zu genie­ßen, da sie inhalt­lich wenig aussagten.

„Wir spre­chen lie­ber über das, was wir kon­kret tun, um die Rah­men­be­din­gun­gen zu ver­bes­sern“, sagt Dre­wes. Zer­ti­fi­zie­rung kön­ne eine Rol­le spie­len, erset­ze aber nicht eige­ne Schrit­te. Neben sozia­len Stan­dards, die zum Bei­spiel Kin­der­ar­beit aus­schlie­ßen und eine gerech­te Bezah­lung vor­se­hen, ste­he für das Schwei­zer Unter­neh­men eine mög­lichst hohe Qua­li­tät des Kakaos im Mittelpunkt.

Über moder­ne Anbau­me­tho­den aufklären

Nest­lé hat des­halb 2009 einen eige­nen Kakao-Plan auf­ge­legt, der öko­no­mi­sche, öko­lo­gi­sche und sozia­le Maß­nah­men mit­ein­an­der ver­bin­det. Kin­der­ar­beit ist in den Augen von Dre­wes dabei mehr Sym­ptom als Ursa­che für Miss­stän­de in der Kakao-Pro­duk­ti­ons­ket­te. Eine Rea­li­tät auf den Kakao­plan­ta­gen in der Elfen­bein­küs­te sei sie den­noch. Jah­re­lang hät­ten Unter­neh­men und Regie­run­gen in den Anbau­län­dern den Kakao-Anbau ver­nach­läs­sigt. Auch die Her­stel­ler hät­ten sich zu sehr auf ihre Lie­fe­ran­ten ver­las­sen, gesteht er ein. Nest­lé, das jähr­lich 400.000 Ton­nen Kakao ver­ar­bei­tet oder ver­ar­bei­ten lässt und auf das damit 10 Pro­zent der Welt­jah­res­pro­duk­ti­on ent­fal­len, will dies ändern.

20 Pro­zent des Kakaos, der in Pro­duk­ten des Kon­zerns in Deutsch­land ver­kauft wird, ist heu­te von der unab­hän­gi­gen Stif­tung UTZ Cer­ti­fied als nach­hal­tig zer­ti­fi­ziert. Das Sie­gel ori­en­tiert sich an euro­päi­schen Stan­dards und ermög­licht es, die Her­kunft von Pro­duk­ten zurück­zu­ver­fol­gen. Bis 2015 sol­len 100 Pro­zent des Nest­lé-Kakaos der­art gekenn­zeich­net sein. Das ehr­gei­zi­ge Ziel ist nur mit dras­ti­schen Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­run­gen erreich­bar, die Nest­lé durch Schu­lun­gen von Bau­ern in den Anbau­län­dern erzie­len will. Allein im ver­gan­ge­nen Jahr wur­den laut Nest­lé rund 20.000 Land­wir­te wei­ter­ge­bil­det, um sie über moder­ne Anbau­me­tho­den auf­zu­klä­ren. Nest­lé zahlt dazu als Anreiz an Bau­ern Prä­mi­en aus, die in ihren ört­li­chen Koope­ra­ti­ven je nach den erziel­ten Men­gen und Qua­li­tä­ten 10 Pro­zent des Markt­prei­ses aus­ma­chen können.

Unter­su­chung mit ernüch­tern­dem Ergebnis

Um die Arbeits­be­din­gun­gen in den vor­nehm­lich afri­ka­ni­schen Län­dern zu über­wa­chen – Elfen­bein­küs­te und Gha­na sind die bei­den größ­ten Kakao­pro­du­zen­ten -, hol­te der Kon­zern die Fair Labour Asso­cia­ti­on (FLA) ins Boot, einen Zusam­men­schluss von Uni­ver­si­tä­ten, Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen und Unter­neh­men, der nach eige­nen Anga­ben das Ziel ver­folgt, Arbeits­recht und Arbeits­be­din­gun­gen zu ver­bes­sern. Eine von Nest­lé in Auf­trag gege­be­ne Unter­su­chung der Ver­ei­ni­gung ergab ein ernüch­tern­des Ergeb­nis: „Der Kakao-Anbau ist nach wie vor kei­ne hei­le Welt, wenn sich auch in Gha­na und Elfen­bein­küs­te eini­ges getan hat“, sagt Nest­lé-Spre­cher Dre­wes. Aber auch heu­te sei erst ein Bruch­teil des Anbaus „zer­ti­fi­zie­rungs­fä­hig“ für nach­hal­ti­gen Kakao­an­bau, und die Struk­tu­ren in den Anbau­län­dern erschwer­ten eine Überprüfung.

Ein untrüg­li­ches Zei­chen dafür, dass nach­hal­ti­ge Pro­duk­ti­ons­ver­fah­ren und Lie­fer­ket­ten nicht mehr nur für gro­ße Lebens­mit­tel­kon­zer­ne auf die Agen­da drän­gen, ist die jüngs­te Initia­ti­ve des Bun­des­ver­bands der Deut­schen Süß­wa­ren­in­dus­trie (BDSI). Gemein­sam mit Bun­des­re­gie­rung und Lebens­mit­tel­han­del hat der Ver­band das „Forum Nach­hal­ti­ger Kakao“ ins Leben geru­fen, des­sen Sekre­ta­ri­at bei der Deut­schen Gesell­schaft für Inter­na­tio­na­le Zusam­men­ar­beit und Ent­wick­lung (GIZ) liegt.

Zwie­spalt zwi­schen NGOs und Süßwarenherstellern

Sie soll nach eige­nen Anga­ben die „Akti­vi­tä­ten des Forums koor­di­nie­ren und rele­van­te Akteu­re aus Deutsch­land mit denen aus den Pro­duk­ti­ons­län­dern sowie inter­na­tio­na­len Initia­ti­ven“ zusam­men­brin­gen. Den Bau­ern wol­le man ver­mit­teln, „wie sie Kakao pro­duk­ti­ver, sozia­ler und zugleich umwelt­ver­träg­lich anbau­en, Markt­an­for­de­run­gen erfül­len und somit ein sta­bi­les Ein­kom­men sichern kön­nen“, sagt Ele­na Rue­da, die Lei­te­rin des Sekretariats.

Der Zwie­spalt zwi­schen Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen (NGO) wie Fairtra­de Deutsch­land, die unter fai­rer Wirt­schaft zuerst stra­te­gi­sche Armuts­be­kämp­fung ver­ste­hen, und dem, was Süß­wa­ren­her­stel­ler als nach­hal­ti­ge Wirt­schaft bezeich­nen, ist nicht über­wun­den. Fairtra­de, das Stan­dards für gerech­tes Pro­du­zie­ren und gerech­ten Han­del ent­wi­ckelt, betreut auch die ört­li­chen Pro­du­zen­ten­grup­pen. Der NGO geht es in ers­ter Linie um Han­dels­be­zie­hun­gen, die die Situa­ti­on benach­tei­lig­ter Pro­du­zen­ten­fa­mi­li­en in Afri­ka, Asi­en und Süd­ame­ri­ka ver­bes­sern, die Bin­nen­wirt­schaft stär­ken und lang­fris­tig unge­rech­te Welt­wirt­schafts­struk­tu­ren abbau­en sol­len. Vor allem die klei­ne­ren und mit­tel­stän­di­schen Betrie­be der kakao­ver­ar­bei­ten­den Indus­trie, an die sich die BDSI-Initia­ti­ven beson­ders rich­ten, müs­sen in ers­ter Linie die Kos­ten im Blick behal­ten, die nach Anga­ben von Dre­wes für nach­hal­tig zer­ti­fi­zier­ten Kakao zu etwa 10 Pro­zent über denen von kon­ven­tio­nel­lem liegen.

Mit­tel­stand zieht nach

Auch wenn die Prei­se für kon­ven­tio­nell erzeug­ten Kakao laut der Com­merz­bank-Ana­lys­tin Mela­nie Kuhl Mit­te Juli um 4,5 Pro­zent gefal­len sind, wird mit­tel­fris­tig wie­der mit einem Preis­an­stieg gerech­net. Der dürf­te auch nach­hal­tig zer­ti­fi­zier­ten Kakao tref­fen. Die Fach­leu­te der Com­merz­bank machen für den aktu­el­len Preis­ver­fall eine sin­ken­de Nach­fra­ge in Euro­pa ver­ant­wort­lich, die im Kon­text der Schul­den- und Wirt­schafts­kri­se zu sehen sei. Wie aus Bran­chen­krei­sen ver­lau­tet, dürf­te es sich um eine vor­über­ge­hen­de Ent­wick­lung han­deln, da wegen des Wet­ter­phä­no­mens El Niño mit Ern­te­aus­fäl­len in Afri­ka zu rech­nen sei, von wo 70 Pro­zent der Welt­ka­kao-Pro­duk­ti­on stam­men. Allein im dritt­größ­ten Anbau­land Nige­ria wird durch feuch­tig­keits­be­ding­ten Pilz­be­fall für die Ern­te in die­sem Jahr ein Pro­duk­ti­ons­rück­gang von 30 Pro­zent gegen­über 2011 erwartet.

Da Kon­zer­ne wie Nest­lé seit Jah­ren mit nach­hal­ti­gen Her­stel­lungs­ver­fah­ren offen­siv wer­ben – das Unter­neh­men hat dazu unter dem Namen „Nest­lé Markt­platz“ eine eige­ne Inter­net­sei­te ein­ge­rich­tet -, zieht mitt­ler­wei­le der Mit­tel­stand nach. Der Her­stel­ler Gries­son-de Beu­kela­er (“Prin­zen­rol­le“) in Polch bei Koblenz zum Bei­spiel hat kürz­lich bekannt­ge­ge­ben, sein Süß­wa­ren­sor­ti­ment voll­stän­dig auf Kakao umzu­stel­len, den wie bei Nest­lé die Stif­tung UTZ zer­ti­fi­ziert. Das kön­nen nicht alle.

Das Vor­ha­ben wäre in die­sem Umfang für den Groß­kon­zern Nest­lé nicht umsetz­bar, da die Pro­duk­ti­ons­men­gen am Markt gegen­wär­tig nicht gedeckt wer­den könn­ten, gibt Dre­wes zu beden­ken. Auch klei­ne­re Her­stel­ler wie die ältes­te Scho­ko­la­den­fa­brik Deutsch­lands, der im sach­sen-anhal­ti­schen Hal­le behei­ma­te­te Her­stel­ler Hal­lo­ren, beschäf­ti­gen sich nach eige­nen Anga­ben mit dem The­ma Nach­hal­tig­keit. „Gesprä­che mit unse­ren Scho­ko­la­den- und Kakao­lie­fe­ran­ten lau­fen auf Hoch­tou­ren“, teil­te Spre­cher Tino Mül­ler auf Anfra­ge mit, ohne Ein­zel­hei­ten zu nennen.

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