Magdeburg, 6. Dezember 2013

Eigent­lich auf dem Weg nach Ham­burg, zwingt mich der – wie es in den Nach­rich­ten hieß: „orkan­ar­ti­ge“ – Sturm zu einem Zwi­schen­halt im eins­ti­gen Zen­trum der Otto­nen an der Elbe. Nach unru­hi­ger Nacht mache ich mich auf den Weg ins Stadtin­ne­re, das von zwei Bau­ten beson­ders domi­niert wird: natür­lich vom ers­ten goti­schen Dom auf deut­schem Boden, der Grab­le­ge des ers­ten deut­schen Kai­sers, eben­so aber von dem ehe­ma­li­gen Kol­le­gi­at­stift „Unser Lie­ben Frau­en“. Bald ein­tau­send Jah­re ist es her, dass es der dama­li­ge Mag­de­bur­ger Erz­bi­schof Gero nörd­lich des Domes gegrün­det hat, wenn auch der heu­ti­ge Bau erst von einem sei­ner Nach­fol­ger begon­nen wur­de. Der Mut­ter­got­tes geweiht, wur­de es reich aus­ge­stat­tet mit Besit­zun­gen. Für den Bau­stil gilt, der Epo­che der Roma­nik ent­spre­chend, das Gegen­teil: Das Stift ist, trotz der früh­go­ti­schen Decken­ein­wöl­bung im Lang­haus, äußerst schlicht gehal­ten. Aus eher klei­nen Bruch­stei­nen hat man es errich­tet, denen die bei­den mas­si­gen West­tür­me vor­an­ste­hen. Nicht von unge­fähr spre­chen Fach­leu­te hier von einem „Rie­gel“, so wuch­tig kommt der Ver­bin­dungs­bau zwi­schen ihnen daher. „Unser Lie­ben Frau­en“ gilt noch immer als „Lehr­bei­spiel für den Sakral­bau um 1100“ (Laabs/Hornemann). Die Bedeu­tung der schon in der DDR pro­fa­nier­ten Kir­che (seit 1977 „Kon­zert­hal­le Georg Phil­ipp Tele­mann“) wie der gesam­ten Anla­ge reich­te und reicht dabei weit über Fra­gen von Archi­tek­tur oder Bau­stil­kun­de hin­aus. Denn ver­bun­den ist sie auch mit einem bedeu­ten­den Mann der mit­tel­al­ter­li­chen Kir­chen­ge­schich­te: mit Nor­bert von Xan­ten, dem Grün­der des Prä­mons­tra­ten­ser­or­dens. Er war es, der das Stift im Jahr 1129 eben­die­sem, sei­nem Orden in der Eigen­schaft als Erz­bi­schof von Mag­de­burg über­trug. Nor­bert ist sei­ner­zeit, nach dem Hl. Bru­no von Köln („Kart­häu­ser“), erst der zwei­te deut­sche Grün­der eines geist­li­chen Ordens gewe­sen. Statt, wie üblich, das Stift dem Mut­ter­haus im fran­zö­si­schen Pré­mon­tré (daher der Ordens­na­me) zu unter­stel­len, nahm er es unter sei­ne eige­nen Fit­ti­che. Schnell gewann es Anse­hen, erhiel­ten Nor­berts dor­ti­ge Schü­ler Bischofs­stüh­le in Havel­berg, Bran­den­burg und Rat­ze­burg. Zeit­wei­se bis zu sech­zehn Kon­ven­te umfass­te die säch­si­sche Prä­mons­tra­ten­ser­or­dens­pro­vinz. Als Nor­bert 1134 starb, erhielt er sei­ne Ruhe­stät­te vor dem dama­li­gen Kreuz­al­tar in der Stifts­kir­che, wur­de spä­ter aber unter den Hoch­chor umge­bet­tet. Noch heu­te, obwohl seit Jahr­hun­der­ten ver­waist, befin­det sich das Grab­mal dort. Obwohl Nor­bert 1582 im Zuge der Gegen­re­for­ma­ti­on hei­lig­ge­spro­chen wor­den war, fand den­noch neun Jah­re spä­ter der ers­te evan­ge­li­sche Got­tes­dienst in der über Jahr­zehn­te umkämpf­ten Kir­che statt. 1601 ver­ließ der letz­te katho­li­sche Kon­ven­tua­le das Stift. Ein Vier­tel­jahr­hun­dert spä­ter folg­te ihm der Leich­nam des Hl. Nor­bert mit kai­ser­li­cher Unter­stüt­zung. Er ruht seit­her im Pra­ger Klos­ter Stra­hov. Heu­te jedoch gilt das frü­he­re Stift, das 1945 beträcht­li­che Schä­den erlitt, als ältes­tes Gebäu­de Mag­de­burgs und „wich­tigs­ter Aus­stel­lungs­ort für Gegen­warts­kunst im Bun­des­land Sach­sen-Anhalt“ (Laabs/Hornemann). Dafür wie­der­um waren die Vor­aus­set­zun­gen vor 1990 gelegt wor­den, als Mag­de­burg zum Stand­ort der „Natio­na­len Samm­lung Plas­tik der DDR“ auf­stieg – mit einem Schwer­punkt auf Wer­ken des 20. Jahr­hun­derts. Der Kel­ler­raum unter der mitt­le­ren Gewöl­be­ton­ne birgt jedoch eine klei­ne Aus­stel­lung reli­giö­ser Skulp­tu­ren, deren Bedeu­tung mit einem so bemer­kens­wer­ten wie – mit Blick auf die reli­giö­se Situa­ti­on Ost­deutsch­lands – zutref­fen­den Satz der Kura­to­ren klar­ge­stellt wird: „Die hier aus­ge­stell­ten Skulp­tu­ren […] [haben] heu­te alle ihre ursprüng­li­che Funk­ti­on im Rah­men der Fröm­mig­keits­ge­schich­te ver­lo­ren.“ Inter­es­sant zu wis­sen wäre, ob es sich bei die­ser For­mu­lie­rung um eine Beschrei­bung oder um eine Art Dekla­ra­ti­on der Aus­stel­lungs­ma­cher han­delt; letz­te­re jeden­falls stün­de nicht außer­halb der jün­ge­ren Tra­di­ti­on des Landstrichs.

Share this: 
Share this page via Email Share this page via Facebook Share this page via Twitter

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert