„Ossis neuen Typs“ hat sie eine Sprecherin der Bundesstiftung Aufarbeitung kürzlich genannt. Gemeint hat die Dame die sogenannte 3te Generation Ost, eine Gruppierung von Ostdeutschen, die von Mitte der siebziger bis Mitte der achtziger Jahre geboren wurde – junge Leute also, die die DDR nurmehr im Kindheits- oder frühen Jugendalter erlebt haben. Und sie womöglich gerade deswegen heute beinahe mehr vermissen als altgediente frühere SED-Kader. Diese Mittdreißiger treten auf (selbst organisierten) Kongressen, Tagungen oder Seminaren immer öffentlichkeitswirksamer gemeinsam auf, um sich ihrer Erlebnisse von einst zu versichern. Stolz wird davon berichtet, wie das Pionierhalstuch getragen und der Kindergarten besucht wurde. Ist das mehr als ein recht peinlicher, doch in dem naiven Gestus fast wieder beängstigend daherkommender Blick zurück? Vielleicht. Abhängig zu machen wäre es davon, für wen genau und wie viele die Zonenkinder nicht nur vorgeben zu sprechen, sondern es auch tun. „Sie schauen zurück und gleichzeitig nach vorn“, sagte Roland Jahn einmal, der Leiter der Stasiunterlagenbehörde. Das stimmt, nur bleibt die Frage, wie sie dies tun. Michael Pilz schrieb neulich in der „Welt“: „Dass diese Rückschau dabei weniger pragmatisch ausfällt als bei älteren Ostdeutschen und umso sehnsüchtiger, liegt in der Natur dieser Generation.“ Sie habe auf ihrem „Eilmarsch durch die westlichen Institutionen“ nicht bloß gelernt, Netzwerke zu knüpfen, sondern sich auch ein eigenes Selbstverständnis zurechtgezimmert. „Die DDR“ – man mag noch einmal daran erinnern: die sie inmitten ihres Zerfallsprozesses nur als Kinder kennengelernt haben – „wird mit den Jahren immer schicker und geheimnisvoller“, meinte Pilz treffend. Obwohl – oder: gerade weil? – die Vertreter der „3ten Generation Ost“ nach der Wiedervereinigung meist ihre Karrieren im Westen oder im Ausland begonnen haben, bevor sie nach Berlin, Dresden, Leipzig oder Erfurt zurückkehrten, schauen sie auf das Land ihrer Eltern und Großeltern, als sei es ihr eigenes gewesen. Durch eine Brille, die all die Grau- und Schwarztöne in ein buntes Farbspiel taucht. Nicht zufällig tragen sie darum heute vielfach Trainingsjacken mit FDJ-Schriftzug, schwören auf „Ostrock“, loben ihre eigene Anpassungsfähigkeit nach dem Systemwechsel von 1989/90, der ihnen gegenüber Gleichaltrigen im Westen einen Erfahrungsvorsprung verschafft habe, oder faseln bei einer Begegnung zwischen zwei Fußballmannschaften aus den neuen Ländern vom „Ostderby“. „Daran“, schrieb Pilz, „ist nicht nur das Gedächtnis schuld mit seinen Tücken. Nach fast 25 Jahren seltsam quellenunkritischer Aufarbeitung sieht die DDR aus wie das Abbild ihrer Aktenlage.“