DRESDEN. Das Schlagwort vom „Populisten“ ist in aller Munde. Was den einen als selbstbewusster Ausweis von Volksnähe dient, verwenden andere gegen sie. Ein Gespräch mit dem Politologen Steven Schäller von der Technischen Universität Dresden über Freund-Feind-Denken auf beiden Seiten, das nur selten eine vorurteilsfreie Diskussion möglich macht.
Wer die öffentliche Debatte verfolgt, muss zu dem Schluss kommen: Populismus ist gefährlich. Warum?
Das liegt im Auge des Betrachters. Fakt ist, dass die umgangssprachliche Verwendung dieses Begriffs, gern mit dem Präfix „Rechts“, meist darauf aus ist, zu diffamieren. Natürlich sind Wissenschaftler auch nur Menschen, die sich bei ihrer Arbeit, ähnlich wie Journalisten, oft schwertun, die eigene Einstellung außen vor zu lassen. Das ist das eine. Das andere: Den Populismus gibt es nicht, also gibt es auch nicht die eine Definition.
Aber doch sicher Merkmale, die das Phänomen auf einen Nenner bringen?
Populisten unterscheiden in der Regel sehr polemisch zwischen dem „Volk“ oder der „Gemeinschaft“, die sie verkörpern wollen – und davon als entfremdet dargestellten „alten Eliten“. Im Zentrum stehen holzschnittartige Gegensätze wie „gutes Volk/korrupte Politiker“, „tugendhaftes Land/verdorbene Stadt“, „gesunder Menschenverstand/realitätsfernes Expertenwissen“. Der Vorwurf, Eliten seien abgehoben und führten ein Eigenleben zulasten Minderprivilegierter, ist dabei alt und wird ja auch von Wissenschaftlern vertreten. Schon Sigmund Neumann, ein Gründungsvater der deutschen Politikwissenschaft, hat ihn 1931/32 den Weimarer Parteien gemacht: Er kritisierte „Verbonzung“ und „Unjugendlichkeit“. Als wesentliches Merkmal von Populisten hat Jan-Werner Müller aber jüngst den Antipluralismus herausgestellt: nach außen gewandt als „Überfremdungsangst“ und nach innen gegenüber politischen Wettbewerbern. Die Gefahr dabei: Populisten nehmen für sich in Anspruch, ganz allein Wille und Moral des Volkes zu kennen.
Sind Populisten also schlechte Demokraten?
Das hängt vom Einzelfall ab. Die einen sagen, Demokraten müssten auch Populisten sein, schließlich gehe es um die Herrschaft des Volkes, lateinisch „populus“, die aber auch in konstruktive Politik überführt werden muss. Deshalb runzeln die andern die Stirn, wenn viele Populisten sich mit konkreten, realistischen Lösungsansätzen bedeckt halten. Wer sich aber Demokrat nennt, muss zudem Farbe bekennen für die Gewaltenteilung, für von der Regierung unabhängige Gerichte, er muss friedliche Machtwechsel akzeptieren, wenn das Wahlergebnis dies gebietet. Es geht darum, Kritik an Form und Inhalt der eigenen Arbeit auch öffentlich zu akzeptieren, nicht nur durch die Opposition, sondern auch durch eine von politischer Einflussnahme unabhängige Medienlandschaft.
Ist der türkische Präsident Erdogan folglich auf dem Weg, ein Diktator zu werden?
Das ist offen, auch wenn die Anzeichen keinen Anlass für Zuversicht geben: Erdogan sieht politischen Wettbewerb nicht als legitim an. Noch haben wir es nicht mit einer Diktatur zu tun, wohl aber bereits mit einem System, das auf den Populisten Erdogan Schritt für Schritt zugeschnitten wird und ihm in vielen Bereichen bereits jetzt personell wie strukturell ergeben ist.
Erdogan in der Türkei, Orbán in Ungarn oder Trump in den USA, dazu die in Polen regierende PiS-Partei verleiten zu dem Eindruck, Populismus sei ein rechtes Phänomen? Stimmt er?
Nein! Populismus wird von Vertretern unterschiedlicher Couleur adaptiert – von Hugo Chavez in Venezuela genauso wie in Deutschland von der Linkspartei, wenn wir etwa an die Kritik der Agenda 2010 denken. „Mindestlohn statt Managermillion“, „Hartz IV – das ist Armut per Gesetz“ – die Slogans von rechts- bis linksaußen klingen da oft gleich. Die 2001 verstorbene SPD-Politikerin Regine Hildebrandt brachte zudem ostdeutsche Demütigungserfahrungen durch Westdeutsche zum Ausdruck – etwa, als sie einen Witz zum Sinn des in der DDR unbekannten 13. Abiturschuljahrs machte, das sie als Schauspielunterricht abqualifizierte. Auch da das Ziel, das sich bei ihr wie bei zahlreichen Populisten belegen lässt: Die eigene positive, „moralisch reine“ Identität wird von dem „Anderen“ abgegrenzt. Ob das „der Migrant“, „der Wessi“ oder „die Politiker“ sind, hängt von der jeweiligen politischen Richtung ab.
Was taugt aber ein Populismus-Begriff, der so verschiedene Personen und politische Strömungen versammelt?
Er zeigt, dass der Umgang mit dem Anderen, dem, was man für kritikwürdig hält, nicht bedeuten muss, den Boden der Demokratie zu verlassen, auch wenn man mit deren Schwachstellen spielt. Auch ein Populist könnte ein guter Demokrat sein – viele tun sich damit aber schwer. Denn Demokraten zeichnet aus, dass sie den Willen der Mehrheit, wie er etwa in Wahlen zum Ausdruck kommt, akzeptieren, dass sie außerdem Minderheiten schützen, Grundrechte und Gewaltenteilung respektieren und die Medien ihre Arbeit machen lassen, auch wenn diese sich Kritik gefallen lassen müssen. Handelt ein Populist dementsprechend, ist sein Hang zu Übertreibung und Zuspitzung zu akzeptieren.
Ist Populismus demnach die Waffe der Sprach- oder Einflusslosen?
Nein. Vordergründig mag es so scheinen, dass Populisten denen eine Stimme geben, die sich vom politisch-sozialen Leben ausgeschlossen fühlen. Insofern kann die „Waffe Populismus“ angestauten Frust abbauen helfen, indem „man denen da oben“ sagt, was tatsächlich oder vermeintlich nicht gesagt werden darf. Aber die „Einflusslosen“ werden durch Populisten nicht mächtiger in dem Sinne, dass sie selbst gestalten und am Gemeinwohl mitwirken. Donald Trump weiß das sehr genau, auch wenn er in seiner Vereidigungsrede anderes behauptet hat. Letztlich sitzen in seinem Kabinett ja im Wesentlichen Personen, die viele seiner Wähler als die „abgehobenen oberen Zehntausend“ bezeichnen würden.
Bleibt bei all der Kritik noch Positives?
Populisten heben oft Themen auf die Agenda, die mit Tabus belegt sind und zwingen so Politik und Medien eventuell zu einer Auseinandersetzung. Denn eine nur an Sachzwängen orientierte Politik gerät in die Gefahr zu vergessen, dass Emotionen alles andere als irrelevant sind für die gesellschaftliche Praxis.