Vor 150 Jahren konvertierte der protestantische Carl von Schönburg-Glauchau. Ein langer, hart geführter Kulturkampf folgte, der über Sachsen hinaus beträchtliches Aufsehen erregte.
WECHSELBURG. „Graf unter Polizeischutz“, Kontroversen in der sächsischen Presse, von der römischen „ungebührlich aufgebauscht“, „erhebliche Unruhe in konservativen protestantischen Adelskreisen“, Untertanen verweigern Kirchengebet – so lauten zeitgenössische und spätere Einlassungen über die Lage in den Schönburger Herrschaften, heute Sachsen, nachdem sich am 19. März 1869 in Rom für die einen Unerhörtes, für andere Segensreiches ereignet hatte. Der protestantische Graf Carl von Schönburg-Glauchau (1832–1898) und seine Gattin reformierten Bekenntnisses, Adelheid (1845–1873), eine aus Franken stammende Gräfin von Rechteren-Limpurg-Speckfeld, hatten am Tiber in der Redemptoristen-Basilika des Erlösers und des Heiligen Alfons das katholische Glaubensbekenntnis abgelegt.
Auch wenn sich der abgestellte Polizeischutz als überflüssig erwies – dem Grafen wurde nach der Rückkehr kein Haar gekrümmt –, war die Konversion des Sprosses einer bedeutenden sächsischen Familie, Landtagsmitglieds, Ehrenritters des Johanniterordens und Inhabers von Konsistorial‑, Patronats- und Episkopalrechten ein Skandal ersten Ranges. Dies lag auch daran, dass Carl, wieder in der Wechselburger Residenz nordwestlich von Chemnitz, zwar aus dem Orden austrat und auf Rechte zugunsten von weiter protestantischen Mitgliedern des Gesamthauses Schönburg verzichtete, wie es Historiker Michael Wetzel in der „Sächsischen Biografie“ nachgezeichnet hat.
„Unter der Hand eine öffentliche katholische Kultusstätte“
Doch Carl brachte einen Hauskaplan für die bis dato evangelische Schlosskirche mit. Gegen katholische „Privatandachten“ sei zwar nie Einspruch erhoben worden, berichtet Franz Blanckmeister 1906 in seiner Kirchengeschichte. Anstoß nahm die protestantische Seite indes daran, dass „die Hauskapläne aus der Schloßkirche unter der Hand eine öffentliche katholische Kultusstätte zu machen und das Recht der evangelischen Kirche an ihr stillschweigend zu beseitigen suchten“. Das aber bestehe unabhängig davon fort, dass die im 12. Jahrhundert errichtete Basilika seit 1843 auf Geheiß von Carls protestantischem Vater Alban regelmäßig katholischem Kultus offenstand und in Familienbesitz war, zudem die evangelische Pfarrkirche St. Otto einen Steinwurf entfernt liegt.
Seit etwa 1690 nutzten die Schönburger die Basilika nach der Säkularisierung 1539 gelegentlich als Kapelle; sonst blieb sie Werkstatt, Lager. Öffentliche katholische Messen, etwa für Zuwanderer, waren tabu. „Das wurde“, so der evangelische Kirchenhistoriker Klaus Fitschen auf Anfrage, „erst nach jahrzehntelangen Verhandlungen und heftigen Debatten im Landtag genehmigt.“ Ein „Rekatholisierungsversuch“, als der jede Ausdehnung des Kultus galt, wurde von protestantischer Seite seit der Konversion Augusts des Starken schon bei Verdacht scharf bekämpft. Es gab – trotz nun katholischer Monarchen – „keine Religionsfreiheit für Katholiken“, ergänzt der Theologe und Historiker. Für die katholische Seite wiederum sei jeder Übertritt ein propagandistischer Gewinn gewesen und hatte Symbolcharakter in einer Zeit, in der sich die antikatholische Stimmung deutschlandweit verschärfte.
Noch ab etwa 1895, so der katholische Historiker Heinrich Meier 1988, spitzte sich die Lage in Wechselburg weiter zu. Um die Jahrhundertwende erreichten Maßnahmen des Dresdener Kultusministeriums gegen die rege Missionsarbeit der Schönburger den Höhepunkt. Etwa seit 1879 hatte es im gräflichen Schlosspark Fronleichnamsprozessionen gegeben, die zunächst kaum Widerspruch auslösten, schreibt Meier. Da es wohl aber die einzigen unter freiem Himmel auf dem Gebiet des Apostolischen Vikariats waren – das Bistum Meißen wurde erst 1921 wiedererrichtet -, stieg der Zustrom der Gläubigen. Diese kamen – meist auf Arbeitssuche – aus Süddeutschland und dem Ausland, etwa Italien und Polen, nach Sachsen.
„Wechselburger Kulturkampf“ als Höhepunkt des Konfessionsstreits
Genehmigt war die Teilnahme an Prozessionen von den Behörden nur Personen der gräflichen Familie und des Hausstands. Da die Bestimmung wiederholt unterlaufen wurde, verbot die Leipziger Kreisdirektion für das Jahr 1900 allen anderen den Zutritt zum Schlosspark. Das Ereignis ging als „Wechselburger Kulturkampf“ in die Geschichte ein, so Birgit Mitzscherlich, Leiterin des Diözesanarchivs des Bistums Dresden-Meißen. Für jede Übertretung wurden dem Grafen 100 Mark Geldstrafe angedroht.
Dass es sich um mehr als eine Posse handelte, zeigt der Aufwand, den die Kreisdirektion betrieb, um der Anordnung Geltung zu verschaffen: Historiker Meier, der akribisch Akten ausgewertet hat, nennt fünf Gendarmen, die aufgeboten wurden und auch den Zaun des Parks auf Tauglichkeit prüften. Auf der evangelischen Pfarrkirche bezogen ein Gendarm und der Hilfsgeistliche Posten. Letzerer habe sich gar das Mittagsmahl auf den Turm bringen lassen, damit ihm zu keiner Zeit etwas entgehen konnte. Später einigten sich die Schönburger und das Ministerium; öffentliche Messen durften stattfinden.
1945 wurde mit Enteignung und Flucht der Familie zwar deren Wirken in der Region unterbrochen, nicht aber das katholische Leben, das sie auch mit einer Schulgründung gefördert hatten. Die bisherige, bis 1884 aufwendig renovierte Schloss- ist seit der DDR-Zeit Pfarr- und zudem seit 1993 Klosterkirche. Joachim, der Vater des heutigen Chefs des gräflichen Glauchauer Schönburg-Zweigs, wurde 1998 darin beigesetzt. „Die Konversion spielt für uns eine große Rolle“, sagt Sohn Alexander. Wechselburg bleibe „unser geistiges Zuhause. Wir sind den Benediktinern unendlich dankbar dafür, dass sie diesen für uns so wichtigen Ort … pflegen und zu einem geistlichen Zentrum in Südsachsen gemacht haben.“ Alexanders ältester Sohn, Erbgraf Maximus, ist dort getauft worden. Für die im Januar verstorbene Schwester des Hauschefs werden Angehörige am Vorabend des Jahrestags der Konversion zu einem Requiem in der einstigen Schlosskirche zusammenkommen.
Während sich schon vor Jahren Wechselburger Laienschauspieler unverkrampft dem Ereignis von 1869 während des Marktfestes darstellerisch widmeten, singt der ökumenische Kirchenchor im Seelenamt für Maya von Schönburg am 18. März, sagt der Wechselburger Benediktiner-Prior, Pater Maurus Kraß. Beide Konfessionen sind längst im Diasporaalltag aufeinander verwiesen. „Wir wollen“, sagt Pater Maurus, „keinen Triumph der einen über die andern zelebrieren.“ Dass aber heute in Wechselburg Mönche leben und in der Kirche, die jüngst als erste Ostdeutschlands jenseits Berlins vom Papst zur Basilica minor erhoben worden ist, die Heilige Messe lesen, kann dennoch als Folge der Konversion des Grafen vor 150 Jahren gelten.
Das Gelübde von Lourdes
Zeugnis vom tiefen Glauben Carls und seiner Gattin legen Erinnerungen ab, die in Adelheids Tagebuch überliefert sind, berichtet deren 1932 im Wechselburger Schloss geborener Urenkel Rudolf von Schönburg: Angesichts jahrelanger Kinderlosigkeit fuhr sie mit ihrem Mann nach Lourdes, um im Vertrauen auf die Gottesmutter einen Sohn als Erben und Garanten ihrer Anstrengungen zu erflehen, selbst wenn es sie das Leben kosten möge. Neun Monate später kam am 20. Juli 1873 ein Junge zur Welt, obwohl die Mutter als unfruchtbar galt. Fünf Tage darauf, in vollem Bewusstsein ihres Opfers, als Dank für den Buben ihr Leben aufzugeben, habe sie sich ein letztes Mal das Kind bringen lassen und starb an Kindbettfieber, sagt Rudolf von Schönburg, der in Spanien lebende Onkel des heutigen Hauschefs, mit Verweis auf ihm vorliegende Aufzeichnungen. Erst sechs Jahre später heiratete Rudolfs Urgroßvater ein zweites Mal.