Leben am Toten Meer

Die Entwicklung des Kreuzbeinsattels für Dromedare vergrößerte den Bewegungsradius arabischer Stämme schlagartig und machte Handel und Eroberungszüge auch in der Region des Toten Meeres möglich. Foto: Michael Kunze
Der Kreuz­sat­tel – hier ein für die Chem­nit­zer Aus­stel­lung ange­fer­tig­ter Nach­bau – ver­grö­ßer­te den Bewe­gungs­ra­di­us ara­bi­scher Stäm­me für Han­del und Erobe­rungs­zü­ge auch in der Regi­on des Toten Mee­res beträcht­lich. Foto: Micha­el Kunze

Das Staat­li­che Muse­um für Archäo­lo­gie in Chem­nitz zeigt die Son­der­aus­stel­lung „Leben am Toten Meer“. Ein the­ma­tisch der­art aus­grei­fen­des Pan­ora­ma der Regi­on mit her­aus­ra­gen­den Leih­ga­ben hat es in Euro­pa noch nicht gegeben.

CHEMNITZ. Als Sabi­ne Wolf­ram vor sechs Jah­ren nach Isra­el reist, um über die Geschich­te der jüdi­schen Kauf­haus­dy­nas­tie Scho­cken zu for­schen, mach­te ihr Barack Oba­ma, gera­de auf Staats­be­such, einen Strich durch die Rech­nung. Die Sicher­heits­vor­keh­run­gen für den Ame­ri­ka­ner lie­ßen ihr kaum Bewe­gungs­frei­heit in Jeru­sa­lem. „Ich konn­te gera­de noch ‚flie­hen‘, bevor der Prä­si­dent das ‚King David‘ ver­ließ, wor­auf­hin tage­lang gan­ze Stadt­vier­tel abge­rie­gelt waren; ins Scho­cken-Archiv kam ich nicht“, sagt die Direk­to­rin des im säch­si­schen Süd­wes­ten behei­ma­te­ten Staat­li­chen Muse­ums für Archäo­lo­gie schmun­zelnd, das seit 2012 in Erich Men­delsohns legen­dä­rem, 1930 eröff­ne­ten Chem­nit­zer Mus­ter­bau des eins­ti­gen Waren­haus­kon­zerns unter­ge­bracht ist.

Spon­tan stell­te die Ur- und Früh­his­to­ri­ke­rin ihre Plä­ne um, reis­te ans Tote Meer nach Masa­da, in die En-Gedi-Oase („Quel­le des Zick­leins“), wo man damals noch baden konn­te, und nach Jeri­cho. Spä­ter wuchs der Ent­schluss, eine Aus­stel­lung über die Levan­te vor­zu­be­rei­ten, die es so in Euro­pa noch nicht gege­ben hat: „Leben am Toten Meer. Archäo­lo­gie aus dem Hei­li­gen Land“ heißt der jüngst eröff­ne­te gro­ße kul­tur­ge­schicht­li­che Wurf über das Grenz­land von Isra­el, West­jor­dan­land und Jor­da­ni­en um den 430 Meter unter dem Mee­res­spie­gel lie­gen­den, vom Jor­dan gespeis­ten Salzsee.

12.000 Jah­re Sied­lungs­ge­schich­te im Fokus

Als vor 70 Jah­ren in den Höh­len von Qum­ran Schrift­rol­len, dar­un­ter die ältes­ten bis­lang bekann­ten Bibel­hand­schrif­ten, ent­deckt wur­den, ging die Nach­richt um die Welt. Prä­sen­ta­tio­nen, die die­se auch in einen über die ört­li­che His­to­rie hin­aus­ge­hen­den Kon­text ein­bet­te­ten, gab es schon. Nur nah­men sie ent­we­der vor­ran­gig auf die Berich­te der Bibel bezug, lie­ßen die Zeit davor und danach aber weit­hin außer Acht. Oder sie blie­ben auf heu­te israe­li­sches Ter­ri­to­ri­um beschränkt und klam­mer­ten Fun­de aus dem Umland aus, die nun dank poten­ter Leih­ge­ber zur Ver­fü­gung ste­hen. „Dabei han­del­te es sich einst um eine unge­teil­te Regi­on“, sagt Wolf­ram. Hei­lig ist sie Juden, Chris­ten wie Muslimen.

„Mit dem Bron­ze­zeit-Spe­zia­lis­ten Mar­tin Pfeil­stö­cker als Kura­tor, der lan­ge in Isra­el leb­te, haben wir ein Kon­zept ent­wor­fen, das zwar nicht mit der Bibel in der Hand geschrie­ben wur­de“, ergänzt sie. Aber reli­giö­se und kul­tu­rel­le Bezü­ge spie­len eine wesent­li­che Rol­le. Her­aus­ge­kom­men ist eine in acht Berei­che geglie­der­te Schau, die den Land­strich bei aller, etwa durch das Kli­ma ver­ur­sach­ten Lebens­feind­lich­keit als einen über Jahr­tau­sen­de hin­weg anzie­hen­den beschreibt. Die gezeig­ten Stü­cke rei­chen von der Sess­haft­wer­dung vor etwa 12.000 Jah­ren bis in die byzan­ti­ni­sche Zeit. Dazu gibt es jeweils aktu­el­le Aus­bli­cke. Die the­ma­ti­sche, dar­in je chro­no­lo­gi­sche Glie­de­rung reicht von den Berei­chen „For­schen“, der auch als Geschich­te von Irr­tü­mern über Datie­run­gen, Zuschrei­bun­gen und Orts­be­stim­mun­gen gele­sen wer­den kann, „Natur und Sub­sis­tenz“ über „Well­ness“ mit den bis in die Anti­ke zurück­rei­chen­den Ther­men, „Mobi­li­tät“, „Höh­len, Dör­fer, Städ­te“ bis zu „Macht und Ohn­macht“, „Kult und Reli­gi­on“ sowie „Tex­ti­li­en“.

Korb aus Nah­ost: Kei­ne Koope­ra­ti­on mit Isra­el, auch nicht indirekt

So sind für die rund 1,3 Mil­lio­nen Euro teu­re Prä­sen­ta­ti­on, die bis März 2020 in Chem­nitz zu sehen ist, bevor sie ins Pader­bor­ner „Muse­um in der Kai­ser­pfalz“ zieht, rund 350 Objek­te zusam­men­ge­kom­men. Sie stam­men etwa von der Isra­el Anti­qui­ties Aut­ho­ri­ty, aus dem Isra­el-Muse­um in Jeru­sa­lem, dem „Ashmo­lean“ in Oxford, vom Bri­tish Muse­um wie auch dem Vor­der­asia­ti­schen Muse­um zu Ber­lin. Die Bemü­hun­gen, ara­bi­sche (und paläs­ti­nen­si­sche) Leih­ge­ber eben­falls zu über­zeu­gen, schlu­gen indes fehl. Das hät­te – wenn auch nur indi­rekt – für sie bedeu­tet, mit Isra­el zu koope­rie­ren und wur­de abge­lehnt. Kunst, Kul­tur und Geschichts­schrei­bung taug­ten immer zum Poli­ti­kum – dabei ist es geblieben.

Den­noch ist das, was gebo­ten wird, auch eine län­ge­re Anrei­se wert: Ent­lang von fünf halb­kreis­för­mi­gen Bän­dern, die sich um einen Kern­be­reich zu Geo­lo­gie und Lebens­be­din­gun­gen legen, sowie in zwei angren­zen­den Räu­men wer­den die Expo­na­te ver­ständ­lich erläu­tert – All­tags- und Kult­ge­gen­stän­de wie Äxte, Mes­ser, Pfeil­spit­zen, Scha­len, Gefä­ße, Schmuck, dazu Nah­rungs­mit­tel- und Pflan­zen­res­te, römi­sche Mün­zen – Drach­men, Dena­re, Ses­ter­zen –, Schu­he, Tex­ti­li­en, Schrift­stü­cke, Grab­bei­ga­ben und Sär­ge, die Bestat­tungs­ri­tua­le aus­deu­ten. Auch ein nach­ge­bau­ter Kreuz­sat­tel wird gezeigt, der einst die Beweg­lich­keit der Ara­ber wesent­lich erhöh­te und Erobe­rungs­zü­ge wie auch Han­del über gro­ße Stre­cken mög­lich­mach­te: mit Salz oder Was­ser, Asphalt oder Bal­sam, einer gleich­na­mi­gen Pflan­ze, aus der einst teu­ers­te Kos­me­ti­ka her­ge­stellt wurden.

Wert­volls­tes Stück ist die ältes­te bekann­te Abschrift der Natur­ge­schich­te von Pli­ni­us dem Älte­ren (23–79), der zu den bedeu­tends­ten Gelehr­ten im anti­ken Rom zähl­te. Sie ent­stand im 5. Jahr­hun­dert in einer klös­ter­li­chen Schreib­stu­be auf der Boden­see-Insel Rei­chen­au. Wie eine weit far­ben­präch­ti­ge­re, um 1470/80 in Augs­burg und Vero­na gear­bei­te­te Sam­mel­in­ku­na­bel mit einem Haupt­werk des Fla­vi­us Jose­phus wird sie sonst im Kärnt­ner Bene­dik­ti­ner­stift St. Paul ver­wahrt. Hin­zu kom­men etwa auf 70 n. Chr. datier­te, win­zig klei­ne Phy­lak­te­ri­en-Frag­men­te, von Kap­seln geschütz­te und auf Per­ga­ment geschrie­be­ne Aus­zü­ge der fünf Bücher Mose, die von jüdi­schen Män­nern, an Rie­men befes­tigt, beim Gebet am Kör­per getra­gen werden.

Groß­ar­ti­ger Kata­log, trotz pein­lich aus­ufern­der Gendersprache

Beson­ders sehens­wert ist zudem der Tex­til­be­reich und dort bei­spiels­wei­se eine wol­le­ne römi­sche Tuni­ka, dazu teils bis ins Neo­li­thi­kum zurück­rei­chen­de Expo­na­te aus Lei­nen, Baum­wol­le, Zie­gen­haar, die die Klei­dungs­her­stel­lung nach­voll­zieh­bar machen. Die Geschich­te von der Zer­stö­rung der Stadt­mau­ern des heu­te rund 22.000 Ein­woh­ner zäh­len­den Jeri­cho durch Posau­nen­klän­ge ist genau­so The­ma wie die Bedeu­tung des Sees, des­sen Salz­ge­halt von der­zeit rund 30 Pro­zent Jahr für Jahr durch die zurück­ge­hen­de Was­ser­men­ge steigt, als Gesund­heits­zen­trum von Welt­rang, wobei es sich kei­nes­wegs um ein auf die Moder­ne beschränk­tes Phä­no­men han­delt. Der opu­lent illus­trier­te, nicht nur die Aus­stel­lungs­stü­cke, son­dern eine Viel­zahl ver­tie­fen­der Essays von inter­na­tio­na­len Fach­leu­ten ent­hal­ten­de Begleit­band, bei dem nur die exzes­siv ver­wen­de­te Gen­der­spra­che stört, setzt Maß­stä­be und kann gleich­wohl als lan­des­kund­li­che Ein­füh­rung zur Rei­se­vor­be­rei­tung gele­sen werden.

Um reli­gi­ös inter­es­sier­ten Besu­chern zusätz­li­che Infor­ma­tio­nen zu bie­ten, wur­de unter dem Titel „Spu­ren des Glau­bens am Toten Meer“ eine für Grup­pen buch­ba­re, ein­stün­di­ge Son­der­füh­rung erar­bei­tet. Sie gewährt Ein­bli­cke in die Geschich­te ers­ter, schon für die Kup­fer­zeit nach­ge­wie­se­ner Tem­pel, eben­so wie zu rie­si­gen früh­bron­ze­zeit­li­chen Grab­fun­den im heu­te jor­da­ni­schen Bab edh-Dhra, wo 500.000 Bestat­tun­gen in mehr als 20.000 Schacht­grä­bern ver­mu­tet wer­den, und reicht bis in die Geschich­te des Juden- und des Chris­ten­tums sowie des Islams.

Auf die Resul­ta­te jah­re­lan­ger Scho­cken-Recher­che muss übri­gens nie­mand ver­zich­ten, der nach Chem­nitz fährt. In drei Erkern des Hau­ses geben sie Auf­schluss über des­sen Geschich­te, die von Sal­man Scho­cken als auch von Erich Men­delsohn (1887–1953) als Archi­tek­ten und Pio­nier des Neu­en Bauens.

Die Aus­stel­lung „Leben am Toten Meer“ im Staat­li­chen Muse­um für Archäo­lo­gie, Ste­phan-Heym-Platz 1, 09111 Chem­nitz, wird bis 29. März 2020 gezeigt, geöff­net Diens­tag bis Sonn­tag: 10 bis 18, don­ners­tags bis 20 Uhr. Geschlos­sen am 24., 25., 31. Dezem­ber und 1. Janu­ar. Füh­run­gen buch­bar unter Tele­fon 0371 911999–0.

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