Schätze aus alten Kirchenbüchern

Kei­ner kennt sie mehr – doch nun ruft Klaus Röberts Arbeit Hun­der­te mei­ner Vor­fah­ren bis in die 16. Genera­ti­on in Erin­ne­rung. Dank des eins­ti­gen Lan­gen­hes­se­ner Pfar­rers lie­gen 500 Jah­re Fami­li­en­ge­schich­te aus der Regi­on Werdau/Zwickau vor – zusam­men­ge­tra­gen aus Tauf‑, Trau- und Ster­be­re­gis­tern. Ein Streif­zug durch Zei­ten und Sitten.

LANGENHESSEN/SCHÖNFELS. Schrift­stel­ler, Adel, „ver­dien­te Ärz­te des Vol­kes“ – Fehl­an­zei­ge. Seit im Jahr 2004 ers­te Abschrif­ten aus Kir­chen­bü­chern der Regi­on bei mir ein­tru­del­ten und Ende Janu­ar die bis­lang letz­ten, ist den­noch ein beein­dru­cken­des Bild ent­stan­den, das poli­ti­sche, Sitten‑, Kirchen‑, Fami­li­en­ge­schich­te aus fünf Jahr­hun­der­ten mit­ein­an­der ver­bin­det. Mög­lich gemacht hat das der Schön­fel­ser Klaus Röbert, bis 2002 evan­ge­li­scher Pfar­rer in Lan­gen­hes­sen (Land­kreis Zwi­ckau) – seit­her ken­nen wir uns. Der 77-Jäh­ri­ge hat über Jah­re auf mei­ne Bit­te hin Kir­chen­bü­cher zahl­rei­cher Pfarr­äm­ter nach mei­nen Vor­fah­ren durch­fors­tet, Namen und Daten abge­schrie­ben – eine Her­aus­for­de­rung, auch weil sich die Schrift­ar­ten wie­der­holt ändern.

Das Fazit: Wer etwas über sei­ne Vor­fah­ren her­aus­be­kom­men möch­te, kann an die­sen Büchern nicht vor­bei, jeden­falls für die Jah­re bis 1875. Im Fol­ge­jahr wur­den in Sach­sen Stan­des­äm­ter ein­ge­rich­tet, die – wie vor­her nur die Kir­chen – Gebur­ten, Hoch­zei­ten, Todes­fäl­le regis­trie­ren. „Daher sind die Regis­ter wich­ti­ge Quel­len zur Fami­li­en­ge­schich­te – ob jemand heu­te kon­fes­sio­nell gebun­den ist oder nicht“, sagt Klaus Röbert. Auch wenn nur noch ein Vier­tel der Sach­sen einer Kir­che ange­hört – 1945 waren es etwa 90 Prozent.

Geführt wer­den die Tauf‑, Trau- und Ster­be­re­gis­ter vom Orts­pfar­rer oder Beauf­trag­ten. Der Impuls zur Erfas­sung sei im Zusam­men­hang von Refor­ma­ti­on und Renais­sance zu sehen, sagt Röbert. Der ein­zel­ne Mensch – von Gott geschaf­fen, geliebt, in Chris­tus erlöst – rück­te in den Mit­tel­punkt. Die ältes­ten ihm bekann­ten Kir­chen­bü­cher setz­ten um 1550 ein. „Aller­dings“, schränkt er ein, „sind etwa durch den Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg, den Zwei­ten Welt­krieg und Brän­de Auf­zeich­nun­gen ver­lo­ren gegan­gen.“ In Wer­dau gel­te das für den Stadt­brand von 1756, dazu Pfarr­haus­brän­de wie in Blan­ken­hain 1665 oder Trün­zig um 1760. Ande­re Quel­len sei­en Steu­er­lis­ten, Grund­bü­cher, Katas­ter. In Staats­ar­chi­ven wer­den Ver­trä­ge aus vor­re­for­ma­to­ri­scher Zeit auf­be­wahrt. „Aber das ist nicht mein Gebiet“, sagt er – anders als die Kirchenbücher.

Eine Aus­wahl des­sen, was er über mei­ne (pro­tes­tan­ti­schen) Vor­fah­ren zusam­men­ge­tra­gen hat:

Einer der frü­hes­ten Ein­trä­ge han­delt von Georg Schmidt, „gebo­ren um 1516“, Ster­be­buch Königs­wal­de, Janu­ar 1612: „sei­nes Alters 96 Jhar, hatt 71 Jhar in Ehe­stan­de gelebt, 13 Kin­der gezeugt, davon 12 frö­lig zur Welt geborn 11töchter und 1 Sohn, Hatt 119 Kin­der und Kin­des Kin­der gese­hen. Ist den 10. frey­tags her­nach Christl. zur Erden bestaht worden“.

Zur Rol­le der Frau/Familie: Frau­en wer­den in frü­hen Ein­trä­gen teils nicht mit Namen genannt, son­dern in ihrem Ver­hält­nis zu Män­nern: 1637 etwa als „Frau des Paul Neser“, 1622 die „Wit­we des Mat­thes Trö­ger“. Spä­ter ändert sich das. Fami­li­en­na­men wird außer­dem lan­ge ein „in“ ange­fügt, was TV-Zuschau­er von der „Roß­haupt­ne­rin“, jener hemds­är­me­li­gen Haus­häl­te­rin von Pfar­rer Braun, gespielt von Ott­fried Fischer, ken­nen. Auch aus sla­wi­schen Spra­chen ist eine weib­li­che Form des Fami­li­en­na­mens bekannt. Im Lan­gen­hes­se­ner Tauf­buch des Jah­res 1832 ist, statt vie­ler, von der „Lip­pol­din“ die Rede. Das heu­te noch pro­mi­nen­tes­te Bei­spiel dürf­te die im vogt­län­di­schen Rei­chen­bach gebo­re­ne Mit­be­grün­de­rin des regel­mä­ßi­gen deut­schen Schau­spiels, Caro­li­ne Neu­be­rin (1697 bis 1760), sein. Wich­tig bleibt, je nach Kon­text, zudem der Hin­weis auf Jung­fräu­lich­keit, etwa bei Ehe­schlie­ßun­gen. Mit­un­ter kommt es anders: 1753 wur­de in Rudels­wal­de der Lan­gen­reins­dor­fer Chris­toph Schie­fer mit Eva Maria Jacob „copu­li­ret“ (ver­hei­ra­tet), nach­dem bekannt­ge­wor­den war, dass er sie „in Unzucht geschwän­gert“ hat­te. Die Trau­ung fand „abends in der Stil­le“ statt. Wie wich­tig es war, dass Mann und Frau – nach der Hoch­zeit – Geschlechts­ver­kehr haben, da sie die Ehe erst dadurch „voll­zo­gen“ (ein kir­chen­recht­li­cher Begriff), zeigt, dass auch dies teils doku­men­tiert wur­de. Denn davon hing (hängt!) die Gül­tig­keit ab – zum ers­ten Sex kam es mit­un­ter gar vor Zeu­gen. Oder es muss­ten Bewei­se vor­ge­legt wer­den. 1598 ist in einem Lan­gen­hes­se­ner Buch über Peter Franz und Sabi­na Fried­rich zu lesen: Franz „hat sei­ne Hoch­zeit und ehlich Bey­la­ger mitt ihr gehabt in sei­nes Schwe­hers (Schwie­ger­va­ters oder Schwa­gers) Ilgen Fried­richs behau­sung den 25. octob. anno 98“. Augen­fäl­lig ist der häu­fi­ge Hin­weis dar­auf, dass Nach­kom­men „ehe­leib­lich“ gebo­ren sind, nicht „nur“ leib­lich oder ehe­lich. Auf die Ver­bin­dung kommt es den Chro­nis­ten an. Leib­li­che, nicht­ehe­li­che gel­ten lan­ge mehr noch als nicht­leib­li­che, ehe­li­che Kin­der als unsitt­lich – nicht von unge­fähr, wenn es etwa um die Erb­ver­tei­lung geht.

Umgang mit Sui­zid: Men­schen, die sich das Leben neh­men, wird auch dann, wenn das Urteil hart aus­fällt, nicht leicht­fer­tig begeg­net: Über Andre­as Lorenz aus Klein­berns­dorf steht 1716 zu lesen, „ohn­ge­acht man an Ihm vor­hin nichts gemer­ket, daß er … trist sin­nig gewe­ßen“: „Ist des­sel­ben tages noch von dem Scharf­rich­ter Knecht zu Zwi­ckau abge­schnit­ten und auf Befehl eines Wohl­löbl. Con­sis­to­rii in Leip­zig durch Ihm d. 4. Sep­tem­ber wo er sich erhen­ket, ein­ge­schar­ret wor­den.“ Man hat Lorenz ein christ­li­ches Begräb­nis auf dem Fried­hof ver­wehrt, eine schwe­re Stra­fe – dies aber nicht vor Ort ent­schie­den, son­dern in Leip­zig. Aus Zwi­ckau muss­te der Scharf­rich­ter­knecht kom­men. Nicht nur, aber auch ange­sichts der ein­ge­schränk­ten Mobi­li­tät ist das ein gewal­ti­ger Auf­wand. Der Pfar­rer schließt: „Gott weh­re u. steu­re doch dem Satan, daß Er nicht Sein List u. Tücke an uns Men­schen aus­übe …!“ Anders der Fall von Regi­na Hed­rich von 1707, Tauf­buch Neu­mark, die tot in einem Teich gefun­den wird: „Weil sie … ein recht Christl. stil­les Leben gefüh­ret, davon ihr jeder­mann … Zeug­niß giebt“, seit Wochen schwer krank war und sich wohl nur Abküh­lung ver­schaf­fen woll­te, kön­ne man „nicht ver­mu­then, daß sie sich vor­sorgl. u. boß­haff­ti­ger Wei­se sol­te … ersäuf­fet haben.“ Der Pfar­rer notiert: „Ich schrei­be, Vater, seuff­zend ein: Ach! laß sie nicht ver­lo­ren seyn!“ Der Super­in­ten­dent wur­de zura­te gezo­gen – man setz­te sie auf dem Fried­hof bei.

„Pries­ter Het­zer“, „Pre­di­ger Feind“: Wenn­gleich für die meis­ten Vor­fah­ren in reli­giö­sen Fra­gen wenig Kri­tik und auch man­che Wohl­tat doku­men­tiert ist, gibt es zwei, bei denen die Sache anders liegt: Micha­el Drom­mer, gestor­ben am 27. Mai 1707 in Lan­gen­hes­sen, wird als „Erz-Zän­ker und Pries­ter Ver­fol­ger“ aus­ge­wie­sen, der, so des Pfar­rers Hoff­nung, nach, „Gott gebe, wah­rer Bekeh­rung see­lig ver­stor­ben“ sei. Nur weni­ge Wochen vor­her, am 8. Mai, starb Johann Nürn­ber­ger, „ein Gerichts Schöpff und Boß­haff­ti­ger Pre­di­ger-Feind und Ver­fol­ger“, auch er, „Gott gebe!“, nach Bekehrung.

Krieg/Auswanderung: Wie sich der Drei­ßig­jäh­ri­ge Krieg (1618–1648) aus­wirk­te, las­sen meh­re­re Ein­trä­ge erah­nen: So ist 1632 im Lan­gen­hes­se­ner Ster­be­buch­ein­trag von Eva Schmidt, die der Schlag getrof­fen habe, die Rede vom „Thür­an­nisch Welt­lauff“. Georg Karg wird 1641 „von einem Raubri­schen Sol­da­ten jäm­mer­lich in sei­nem Hoff wegen sei­nes Pferd­tes erschos­sen und umge­bracht“, heißt es in Lan­gen­berns­dorf. Im Lan­gen­hes­se­ner Ster­be­buch­ein­trag von Johann Georg Däum­ler steht am 31. Mai 1867, er hin­ter­las­se sie­ben Kin­der, von denen „4 nach Ame­ri­ka aus­ge­wan­dert sind, dar­un­ter eine ver­ehel. Peu­ckert“ – sei­ner­zeit für Sach­sen eher unüb­lich. Denn im 19. Jahr­hun­dert wan­der­ten laut Judith Matz­ke vom Säch­si­schen Staats­ar­chiv nur rund 100.000 Sach­sen nach Nord­ame­ri­ka aus. Dies sei­en in die­sem Zeit­raum ledig­lich zwei Pro­zent der deut­schen Migra­ti­on dort­hin gewesen.

Was aber waren mei­ne Vor­fah­ren, wenn kei­ne Musik­stern­chen, Phy­si­ker, Prä­si­den­ten? Fast durch­weg Bau­ern, auch Müh­len­be­sit­zer, Huf- und Waf­fen­schmie­de, Schuh­ma­cher. Vor allem die Guts­be­sit­zer übten viel­fach ange­se­he­ne Ämter aus – etwa als Hoch­ade­lig Bosi­scher, Herr­lich Esche­scher, als Friedens‑, Amts­rich­ter oder Kirchvorsteher.

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