Katholische Grenzfragen

Petrus Leg­ge, Bischof von Mei­ßen, bei einer Fir­mung in Sei­ten­dorf mit Pfar­rer Edmund Groh­mann (1869–1969). Die Auf­nah­me ist vor 1945 ent­stan­den. Sei­ten­dorf war eines der weni­gen Dör­fer im „Zit­tau­er Zip­fel“ mit katho­li­scher Bevöl­ke­rungs­mehr­heit. Foto: Zen­trum für Kultur//Geschichte (Nie­der­jahna)

Auch Sach­sen muss­te nach dem Zwei­ten Welt­krieg Gebiet abtre­ten. Das ist heu­te kaum mehr bekannt – eben­so wenig, dass davon die Kir­chen­struk­tu­ren betrof­fen waren. Eine neue Stu­die ruft die Umstän­de in Erinnerung.

ZITTAU/DRESDEN. Tief hat sich der 22. Juni 1945 ins Gedächt­nis der Bewoh­ner des öst­lich der Lau­sit­zer Nei­ße gele­ge­nen „Zit­tau­er Zip­fels“ einst ein­ge­gra­ben. Ein pol­ni­scher Räu­mungs­be­fehl ließ ihnen sei­ner­zeit kei­ne ande­re Wahl, als Haus und Hof gen Wes­ten zu ver­las­sen. Nur weni­ge durf­ten (zunächst) blei­ben. Denn was kaum noch bekannt ist: Nicht nur Schle­si­er, Pom­mern, Ost­bran­den­bur­ger und ‑preu­ßen muss­ten ihre Hei­mat nach dem Welt­krieg auf­ge­ben. Auch Sach­sen trat im Zuge der von Sta­lin for­cier­ten „West­ver­schie­bung“ Polens Ter­ri­to­ri­um ab.

Um 22 durch Tex­til­in­dus­trie und bis heu­te von Braun­koh­len­ab­bau gepräg­te, teils die­sem mitt­ler­wei­le zum Opfer gefal­le­ne Dör­fer geht es, auf 144 Qua­drat­ki­lo­me­tern mit rund 24.000 Ein­woh­nern (Stand: 1939). Sie hat­ten zum Kreis Zit­tau gehört. „Meist wird das Gebiet … unter Schle­si­en sub­sum­miert, was his­to­risch falsch ist“, schrei­ben die His­to­ri­ker Lars-Arne Dan­nen­berg und Mat­thi­as Donath in ihrer Stu­die „‚Do hoan uns die Polen naus­ge­triebm‘. Ver­trei­bung, Ankunft und Neu­an­fang im Kreis Zit­tau 1945–1950“. Zustan­de gekom­men ist die­se mit Mit­teln der Bun­des­be­auf­trag­ten für Kul­tur und Medien.

Die Autoren, die den Titel einem die Erleb­nis­se ver­ar­bei­ten­den Mund­art-Gedicht ent­lehn­ten, wer­te­ten pri­va­te und amt­li­che Kor­re­spon­denz, Doku­men­te, Erin­ne­rungs­be­rich­te aus und inter­view­ten Zeit­zeu­gen, die vor allem beim Ein­marsch der Roten Armee, aber auch dar­über zeit­lich hin­aus­ge­hend von Plün­de­rung, Sui­zid oder Ver­ge­wal­ti­gung berich­ten. Bis um das Jahr 1960, kal­ku­lie­ren sie anhand einer soge­nann­ten Hei­mat­orts­kar­tei, sei rund ein Drit­tel jener Ver­trie­be­nen in die (spä­te­re) Bun­des­re­pu­blik aus­ge­wan­dert, die meis­ten in die SBZ/DDR, eini­ge ins Ausland.

An jenem 22. Juni muss­te die Mehr­zahl der Bür­ger des „Zip­fels“, der sich an den heu­ti­gen Süd­os­ten des Frei­staats Sach­sen anschließt, auf und davon. Unter ihnen waren Tau­sen­de Katho­li­ken, die rund 20 Pro­zent der Ein­woh­ner­schaft aus­mach­ten – betreut von vier Pries­tern in vier Pfar­rei­en: 1. Sei­ten­dorf mit Hirsch­fel­de, Rosen­thal, Dit­tels­dorf, 2. Gru­nau mit Reut­nitz, Schön­feld, Tratt­lau, Wan­scha, 3. Königs­hain und 4. Rei­chen­au mit Lich­ten­berg, Mar­kers­dorf, Rei­bers­dorf, Bad Oppel­s­dorf, Sommerau.

Bis­lang wur­de die „katho­li­sche Fra­ge“ für das Gebiet kaum gestellt. Dan­nen­berg und Donath schlie­ßen mit einem aus­führ­li­chen Buch­ka­pi­tel eine For­schungs­lü­cke – denn gera­de die Geschich­te einst ansäs­si­ger Katho­li­ken bie­tet Zünd­stoff. Der Spren­gel gehör­te nicht zum Erz­bis­tum Bres­lau. Zustän­dig war der Bischof von Mei­ßen, Petrus Leg­ge (1882 bis 1951), der in Baut­zen resi­dier­te. Der auch von der katho­li­schen Kir­che Polens – vor­an Pri­mas August Kar­di­nal Hlond (1881 bis 1948) – früh und mas­siv betrie­be­nen Polo­ni­sie­rung der eins­ti­gen deut­schen Gebie­te fehl­ten so für die katho­li­schen Struk­tu­ren die kir­chen­recht­li­chen Mit­tel. Luthe­ri­sche und unier­te Lie­gen­schaf­ten und Glie­de­run­gen gin­gen an die Evan­ge­lisch-Augs­bur­gi­sche Kir­che inPo­len über.

Der von Hlond für Bres­lau ein­ge­setz­te Admi­nis­tra­tor Karol Milik (1892 bis 1976) – Erz­bi­schof Adolf Kar­di­nal Bert­ram war im Juli 1945 gestor­ben – konn­te aber für die katho­li­schen Glie­de­run­gen „kei­ne Juris­dik­ti­ons­rech­te aus­üben. Nach … Kir­chen­recht war es allein Ange­le­gen­heit des Bischofs von Mei­ßen …, … Pries­ter abzu­be­ru­fen oder ein­zu­set­zen“, so Dan­nen­berg und Donath. Kar­di­nal Hlond erwirk­te unter Beru­fung auf ver­meint­li­che Son­der­voll­mach­ten des Paps­tes – dass die­se für deut­sche Diö­ze­sen nicht gal­ten, stell­te sich für die Deut­schen erst spä­ter her­aus –, dass die Bischö­fe von Erm­land (dama­li­ger Sitz: Frau­en­burg) und Dan­zig ihre Bis­tü­mer ver­lie­ßen bzw. ihre Amts­ge­walt auf von Polen bean­spruch­tem Gebiet nicht mehr aus­üb­ten. Neue Admi­nis­tra­to­ren konn­ten nun kir­chen­rechts­kon­form deut­sche Pfar­rer durch pol­ni­sche ersetzen.

Kon­flik­te waren an der Tages­ord­nung, auch im „Zip­fel“, auf den die pol­ni­schen Kir­chen­stel­len noch kei­nen Zugriff hat­ten: Denn obwohl die meis­ten Deut­schen früh ver­trie­ben wor­den waren, auch vor­über­ge­hend zwei katho­li­sche Pfar­rer, blieb die Struk­tur weit­hin unan­ge­tas­tet. Doch kei­ner der deut­schen Pries­ter sprach Pol­nisch, um die Neu­an­kömm­lin­ge zu betreu­en, die meist aus den vor­ma­li­gen pol­ni­schen Ost­ge­bie­ten kamen. Die­se wehr­ten sich viel­fach gegen deut­sche Pries­ter, die schi­ka­niert wur­den. Das Bis­tum Mei­ßen ent­sand­te dar­um den Mut­ter­sprach­ler und Jesui­ten­pa­ter Paul Bana­schik 1946 nach Gru­nau. „[D]urch die seel­sorg­li­che Beein­flus­sung [leg­te sich] der Hass“, hielt dar­auf­hin Ordi­na­ri­ats­rat Johann Höt­zel in Baut­zen fest. Als aber in Rei­chen­au der pol­ni­sche Jesu­it Pio­tr Mrów­ka ein­traf – vom Jesui­ten-Pro­vin­zi­al in Kra­kau ent­sandt, um Reli­gi­ons­un­ter­richt zu ertei­len – nah­men die Span­nun­gen zu. Mrów­ka, der meh­re­re Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger über­lebt hat­te, „demü­tig­te … sei­nen Amts­bru­der [Franz Schwarz­bach], rief … die Poli­zei, weil Schwarz­bach angeb­lich staats­feind­li­che Hand­lun­gen bege­he“, so die Autoren. Der Pfar­rer wur­de ausgewiesen.

Als Pater Bana­schik 1948 nach Kra­kau abreis­te und die Jesui­ten kei­nen Ersatz schick­ten, war die Ver­sor­gung der pol­ni­schen Katho­li­ken gefähr­det. Im Novem­ber traf statt­des­sen ein Schrei­ben aus der Bres­lau­er Admi­nis­tra­tur in Baut­zen ein, in dem vor­ge­schla­gen wur­de, die Gebie­te unter pol­ni­sche Kir­chen­ver­wal­tung zu stel­len. „Die­ser Druck, dazu die Ver­pflich­tung, die Seel­sor­ge für die pol­ni­schen Katho­li­ken sicher­zu­stel­len, und das Wis­sen um eine weit­ge­hen­de Aus­sied­lung der deut­schen Katho­li­ken führ­ten zu dem Ent­schluss“, so die His­to­ri­ker, im Janu­ar 1949 „die Juris­dik­ti­on … an Karol Milik abzutreten.“

Damit ende­te de fac­to die Zuge­hö­rig­keit der Pfar­rei­en zum Bis­tum Mei­ßen. Doch erst 1972, mit der Kon­sti­tu­ti­on „Epi­scopo­rum Polo­niae coe­tus“, ord­ne­te Papst Paul VI. die Bis­tums­gren­zen in Polen neu und pass­te sie den völ­ker­recht­li­chen an. Das Meiß­ni­sche Gebiet öst­lich der Nei­ße gelang­te zum Erz­bis­tum Bres­lau. In den ehe­ma­li­gen deut­schen Ost­ge­bie­ten wur­den fünf Diö­ze­sen errich­tet: Gor­zów (Lands­berg an der Wart­he), Szc­ze­cin-Kamień (Stet­tin-Cammin), Kos­za­lin-Koło­brzeg (Kös­lin-Kol­berg), Opo­le (Oppeln), War­mia (Erm­land). Aus den west­lich der Oder-Nei­ße-Linie lie­gen­den Gebie­ten des Erz­bis­tums Bres­lau um Gör­litz und Cott­bus ging eine Apos­to­li­sche Admi­nis­tra­tur her­vor, seit 1994 Bis­tum Görlitz.

Lars-Arne Dannenberg/Matthias Donath: „Do hoan uns die Polen naus­ge­triebm“. Ver­trei­bung, Ankunft und Neu­an­fang im Kreis Zit­tau 1945–1950, Via-Regia-Ver­lag, Königs­brück 2020, 268 Sei­ten, 19,90 Euro.

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