
Am Pfingsttag ist Propst Günter Hanisch gestorben, der in der Zeit des Baus der Berliner Mauer prägende Jahre an der Chemnitz verbracht hat. Die spätere Arbeit des gebürtigen Leipzigers, der sich bleibende Verdienste in der Friedlichen Revolution erworben hat, erregte in den 1990er-Jahren bundesweit Aufmerksamkeit, da sie das schwierige Verhältnis Kirche-DDR verdeutlicht.
CHEMNITZ/LEIPZIG/DRESDEN. Günter Hanisch, der als junger katholischer Priester 1957 nach Karl-Marx-Stadt gekommen war und bis 1971 blieb, ist tot. Der einstige Studentenseelsorger an der Technischen Hochschule, die 1986 zur Universität erhoben wurde, starb am Sonntag im Alter von 90 Jahren. Das hat der Bischof des Bistums Dresden-Meißen, Heinrich Timmerevers, mitgeteilt.
Während seiner Karl-Marx-Städter Zeit war Hanisch Propsteikaplan und Rektor des in Leisnig gegründeten, ab 1967 in Altchemnitz angesiedelten Seminars für den kirchlich-caritativen Dienst, in dem Sozialarbeiter („Fürsorger“) ausgebildet wurden. „Der Mauerbau prägte uns sehr“, sagte Prälat Hellmut Puschmann. Wie Hanisch war er damals Kaplan, jedoch in der Pfarrei St. Joseph auf dem Sonnenberg.
Von der Lähmung, die von der Zementierung der deutschen Teilung ausging, habe sich Hanisch nicht entmutigen lassen. Dabei seien die Herausforderungen groß gewesen – etwa, als der Staat die Jugendweihe in Konkurrenz zu Konfirmation und Firmung immer mehr propagierte. Die Anzahl der Katholiken war zwar durch Vertriebene auf dem Gebiet der DDR gewachsen, blieb aber klein.
Hanisch, der in Paderborn, Luzern und Freiburg im Breisgau Theologie studiert hatte und am 25. April 1954 in der Dresdener Herz-Jesu-Kirche in Johannstadt zum Priester geweiht wurde, blieb auch nach seinem Wechsel im Jahre 1971 als Pfarrer an die dortige Hofkirche für den Raum Karl-Marx-Stadt zuständig – in herausfordernder Mission: Er wurde 1973 zum bischöflichen Beauftragten für die Kontakte zu den Räten der Bezirke Karl-Marx-Stadt und Dresden berufen. In seinen Aufgabenbereich fiel es etwa, Ausreisen kirchlicher Mitarbeiter für Verwandtenbesuche zu ermöglichen.
Im Nachgang eines solchen Falls bot das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) 1981 „weitere Gespräche in ’schwierigen Fällen‘ an“, wie der Theologe Gregor Buß in der Studie „Katholische Priester und Staatssicherheit“ (2017) über den „Fall Hanisch“ schrieb. Der Bischof stimmte weiteren Verhandlungen mit dem MfS zu, das Hanisch fortan ohne dessen Wissen als Inoffiziellen Mitarbeiter „Dom“ führte, nachdem es ihn lange schon – wie viele Priester – hatte observieren lassen (1975–1981 im Operativen Vorgang „Klerus“).
Der Fall wurde 1993 bundesweit bekannt, als die „ARD-Tagesthemen“ darüber berichteten, so Buß: unter der Überschrift „Sündenfall – Wie ein Sohn der Kirche seine Mitbrüder an die Stasi verriet“. Hanisch ging vor Gericht gegen den Autor des Beitrags, der sich auf die Stasi-Akte stützte. Der Prozess machte deutlich, dass bei deren Auswertung Vorsicht geboten ist: IM sei nicht gleich IM gewesen. Entkräften ließen sich die Vorwürfe, da etwa kirchliche Unterlagen zum Abgleich vorlagen und zahlreiche Zeitzeugen für Auskünfte zur Verfügung standen.
Dabei hatte Hanischs Handeln 1989 als Propst in Leipzig längst bewiesen, wie sehr er die Zustände in der DDR missbilligte: Mit evangelischen Superintendenten war er bei Friedensgebeten, Montagsdemonstrationen oder am Runden Tisch sehr aktiv. Für seine Verdienste hatte ihn Papst Johannes Paul II. schon 1979 zum Prälaten ernannt. Und die Bindung an Chemnitz hielt: Stets reisten Gratulanten zu seinem Alterssitz in Dresden, noch zum 90. Geburtstag im vergangenen Herbst etwa der frühere Stadtrat Michael Walter (CDU) mit seinen Eltern. „Sie haben sich“, sagte er, „bei ihm am Kaßberg verlobt und blieben ihm mit seiner Bescheidenheit und dem Einsatz für die Ökumene eng verbunden.“
Verbunden blieb er auch seiner Geburtsstadt Leipzig. „Bis zuletzt hatte er nicht nur Zeitschriften wie die ‚Herder-Korrespondenz‘ im Abo oder den evangelischen ‚Sonntag‘, sondern auch die ‚Leipziger Volkszeitung‘ “, sagte Pfarrer Laurenz Tammer aus Dresden-Striesen, in dessen Pfarrei Hanisch zuletzt gelebt hatte und (wie andernorts) bis ins hohe Alter liturgische Dienste wahrnahm. „Noch am Aschermittwoch hat er konzelebriert und das Aschekreuz ausgeteilt“, so Tammer, der in Hanischs Zeit als Propst in Leipzig als Kaplan wirkte.
Prälat Günter Hanisch, Propst i.R., wird am 9. Juni 2020, 12 Uhr, auf dem Alten Katholischen Friedhof in Dresden-Friedrichstadt beigesetzt. Zu einem Requiem wird am gleichen Tag, 10 Uhr, in die Herz-Jesu-Kirche zu Dresden-Johannstadt geladen, für das angesichts der Coronapandemie eine Anmeldung beim Dompfarramt nötig ist.