Ein alter Herr – sicher jenseits der Achtzig – sitzt neben einer Dame in der Straßenbahn, während diese die Kriegsruine der evangelischen Trinitatiskirche in Dresden-Johannstadt passiert. Sie, die seine Tochter sein könnte, raunt ihm zu: „St. Trinitatis“. Und er übersetzt: „Dreiheiligkeit, Drei-heilig-keit.“ Die Bahn kommt zum Stillstand, denn der Verkehr ist dicht. Die Gleise sind in der Straße verlegt. Gebannt blicken die beiden auf die vernarbte Fassade des Kirchenschiffes, das seit dem Krieg – mahnend – ohne Dach auskommen muss. „Dreiheiligkeit“, sagt der alte Mann noch einmal und immer wieder. Ich drehe mich um zu ihnen und flüstere: „Dreifaltigkeit“. „Wie?“, fragt er ungläubig. Und entgegnet mir mit sicherer Stimme: „Dreiheiligkeit.“ Abermals ich: „Dreieinigkeit oder Dreifaltigkeit, Gott in drei Personen: Vater, Sohn und Heiliger Geist.“ Er runzelt die Stirn – und raunt nach einer Weile, sichtlich glücklich: „Stimmt, Sie haben recht.“ Während die Dame ihm zuflüstert: „Man lernt nie aus.“ Dann schweigen beide minutenlang, bis die Bahn stadtauswärts ein Denkmal links liegen lässt, das einen Stier zeigt, auf dem eine Frau sitzt. „Europa, auf dem Rücken von Zeus, der sie in Gestalt eines Stieres entführt“, weiß die Frau nun sicher in den Schlauch der Straßenbahn hinein zu berichten. Etwas lauter, damit es zu hören ist, wiederholt sie sich. Dann kehrt wieder Stille ein zwischen den beiden.