„Ein Hoch auf das Mittelmaß!“, hat mir heute ein Freund in einer E‑Mail zugerufen. Postwendend regt sich Widerspruch in mir, noch bevor ich gelesen habe, was er als Begründung anführt. „Das kann er doch nicht …“, denke ich, und „das meint er nicht so“. Aber ja doch, schiebt er nach. Und verweist – auf das Schicksal Nietzsches. Schon mit Mitte 20 berufen, habe der bald unter chronischen Kopfschmerzen gelitten, war am Ende „völlig plemplem“. Trotz erster Professur ohne Dissertation, für Klassische Philologie. Damals, anno 1869, damals ging so was. Auch der Freund ist wie Nietzsche Geisteswissenschaftler, gehört wie dieser – hoffentlich verübelt mir keiner der beiden den Vergleich – nicht zum Mittelmaß, ganz im Gegenteil. Und doch: Nun rühmt er es. Aus Resignation. Ja, leider. Ich weiß es. Aus Einsicht auch, wegen Nietzsches Beispiel. Unter anderen. Es ist nicht leicht, heute als junger Geisteswissenschaftler voranzukommen, von einem befristeten Vertrag zum nächsten hechelnd, bei hohen Lehrdeputaten, mit, jedenfalls im Mittelbau, im Vergleich zur Wirtschaft unterirdischer Bezahlung. „Nur wer schreibt, bleibt.“ Lautet eine der Weisheiten, mit denen die Jungen der Zunft bei bittersüßem Lächeln von manchem Chef bei der Stange gehalten werden. Dazu unter den Studenten immer weniger Leistungsbereitschaft, Lesewille, Neugier. Stattdessen Aufmüpfigkeit, vielfach dummdreistes Fingerhakeln, kurz: Schwanzvergleich mit anderen Mitteln. Wie hohe Studentenzahlen gelten längst eingeworbene Drittmittel mehr denn humanistische Bildung, Charakter, pädagogisches Ethos. Publikationslisten rangieren vorn, wenn die Zahl verzeichneter Titel groß, nicht notwendigerweise deren Gehalt bei geringerer Schlagzahl hoch eingestuft wird. „Wir sollten nicht nur über Plagiate reden, denn dagegen vorzugehen, versteht sich von selbst“, merkt er noch an, beinahe trotzig mit Blick auf sein Hohelied auf das Mittelmaß. „Sondern über Qualität.“