Längst ist der Künstler Ernst Graner an der Pleiße vergessen, dabei wurde er 1865 hier geboren. An der Donau, wo vor allem seine Aquarelle noch rege gehandelt werden, trägt gar eine Gasse seinen Namen.
WIEN/WERDAU. Nichts ahnend flaniert der Reisende im frühlingshaften Wien durch die Gassen. Gestärkt durch ein Häferl Kaffee und ein Stück Topfenstrudel im ehrwürdigen Café „Bräunerhof“, in dem schon der Schriftsteller Thomas Bernhard (1931 bis 1989) zu Gast war, mustert er die Auslagen dieses Antiquariats und jener Kunstgalerie – an der Dorotheergasse um die Ecke. Gleich den Perlen einer Kette reiht sich hier ein Geschäft an das andere für die so kunstsinnige wie solvente Kundschaft in der österreichischen Metropole.
Plötzlich aber bleiben die Blicke haften – zuerst an einer Ansicht des Stephansdoms, einem in kräftige Farben gefassten Aquarell, dann an dem Kärtchen darunter, das Ernst Graner als denjenigen ausweist, der das Bild gemalt hat und dessen Geburtsort mit „Werdau/Sachsen“ angibt. 49 mal 37 Zentimeter misst es, ist vom Künstler signiert und für 8900 Euro zu haben. Im Fenster nebenan steht Graners Ansicht vom Wiener Stadttheater, in einem weiteren eine von der Hofburg. Beide sind günstiger und im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts entstanden.
Ein Werk im Bestand der Kunstsammlungen Zwickau
Während indes im 23. Wiener Bezirk seit 1961 eine nach dem über Jahrzehnte an der Donau aktiven Maler benannte Gasse existiert, sieht es in seiner Geburtsstadt anders aus: „In Werdau erinnert meines Wissens nichts an den Maler“, sagt Birgit Bauer vom Stadtarchiv auf Anfrage. „Auch in einem alten Meldebuch, welches zirka 1875 beginnt, gibt es den Namen Graner nicht“, ergänzt sie. Das könnte daran liegen, dass er nie oder nur kurz in Werdau gelebt hat.
Eines von Graners Werken führen jedoch die Kunstsammlungen Zwickau in ihrem Bestand, teilt das Kulturamt der Stadt auf Nachfrage mit. Dabei handele es sich um ein Herrenporträt in „Öl auf Leinwand, signiert, datiert und beschriftet“. Es stamme von 1898 und befinde sich laut Inventarverzeichnis seit 1965 im Hause – seit dem 100. Jahr nach Graners Geburt in der Nachbarstadt Werdau also. Wie und warum es dahin kam, ist unklar. Da Graner – so viel gibt die Fachliteratur preis über den in Werdau auch für Museumschef Hans-Jürgen Beier Unbekannten – schon 1890 mit Ausstellungen im Wiener Künstlerhaus am Karlsplatz vertreten war, sei anzunehmen, „dass er seine Geburtsstadt früh verlassen hat, um an der Wiener Akademie zu studieren“, heißt es vom Zwickauer Kulturamt.
Dennoch könnte er in Werdau oder Zwickau vermutlich Unterricht genommen haben bei dem Maler und Zeichenlehrer Ernst Eichler (1850 bis 1895) – dessen Nachlass liegt im Werdauer Museum. Denn bei dem in Zwickau beheimateten Gemälde dürfte es sich aufgrund einer Anmerkung in den Unterlagen um die Kopie eines Werkes von Eichler handeln. Dieser war nach Auskunft von Werdaus Museumschef Beier in den 1880er-Jahren von einem längeren Italien-Aufenthalt nach Sachsen zurückgekehrt – nicht aber in seine frühere Heimatstadt Werdau, sondern nach Zwickau. Dort wiederum könnte er den jungen Graner unter seine Fittiche genommen haben, bevor dieser nach Österreich auswanderte. An der Donau schuf Graner eine Vielzahl von Landschaftsbildern und Stadtansichten – von der Karls- wie der Votivkirche, dem Stephansdom und dessen Riesentor oder der Hofburg. Graner war bald in der örtlichen Szene integriert und seit 1910 Mitglied in der stilistisch konservativen, nach dem Wiener Künstlerhaus benannten Gruppe. Nach Auskunft von Ursula Storch, Vizedirektorin der Museen der Stadt Wien, arbeitete er überdies schon 1895/96 für die seit 1889 erscheinende und nach ihrem Herausgeber benannte Münchner Satirezeitschrift „Meggendorfer-Blätter“.
„Qualitätvollerer Vedutenmaler“
Graner, der 1943 78-jährig in Wien starb, zählt nach Storchs Angaben „zweifellos zu den qualitätvolleren Vedutenmalern“. Dennoch dürften die Preise für die Aquarelle im Schaufenster der Galerie an der Dorotheergasse zu hoch angesetzt sein, schätzen die Zwickauer Fachleute.
Für Uwe Feustel, Kunstlehrer am Werdauer Humboldtgymnasium, liegt dies auch daran, dass einige Werke in die Zeit des Jugendstils und das Umfeld der Gruppe „Wiener Secession“ zu rücken seien, woraus sich bereits ein Sammlerinteresse ergebe. Die Künstlergruppe nämlich war jene berühmte Abspaltung von der Vereinigung „Wiener Künstlerhaus“, der später Graner angehörte. Von der Bedeutung Graners für Wien zeugt überdies, dass allein Ursula Storchs Haus mehr als 50 Arbeiten des gebürtigen Werdauers beherbergt. Sie sind „noch immer im Kunsthandel sehr beliebt“, sagt sie.