Was ist konservativ, was rechts? Chemnitzer Politologen im Gespräch: Teil I

Der Politikwissenschaftler Sebastian Liebold. Foto: Frank Uhlich
Der Poli­to­lo­ge Sebas­ti­an Lie­bold hat bis Dezem­ber 2017 an der TU Chem­nitz die Ideen von kon­ser­va­ti­ven Intel­lek­tu­el­len der frü­hen Bun­des­re­pu­blik erforscht. Foto: Frank Uhlich

CHEMNITZ. Kon­ser­va­ti­ve Wis­sen­schaft­ler, Publi­zis­ten, Intel­lek­tu­el­le haben in der frü­hen Bun­des­re­pu­blik den Neu­an­fang gewagt. Ein Gespräch (Teil II: hier) über Denk­tra­di­tio­nen, ideo­lo­gi­sche Brü­che und dar­über, was das mit der Neu­en Rech­ten zu tun hat – mit den Chem­nit­zer Poli­to­lo­gen Sebas­ti­an Lie­bold und Frank Scha­le, die im Nach­gang einer wis­sen­schaft­li­chen Tagung zum The­ma einen Sam­mel­band publi­ziert haben.

Was ver­bin­det kon­ser­va­ti­ve Intel­lek­tu­el­le in der Nachkriegszeit?

Frank Scha­le: Der Wunsch nach einer Bestands­auf­nah­me, die Natio­nal­so­zia­lis­mus und Wei­ma­rer Repu­blik kri­tisch reflek­tiert. Wel­che Tra­di­ti­ons­be­stän­de sind noch halt­bar? Wie soll ein neu­er Staat, die künf­ti­ge Gesell­schaft beschaf­fen sein?

Sebas­ti­an Lie­bold: Gan­ze Lebens­wel­ten, auch das Selbst­be­wusst­sein, ist bei vie­len obso­let gewor­den. Kriegs­en­de, Ver­trei­bung, deut­sche Tei­lung füh­ren zu ideo­lo­gi­schen Ver­wer­fun­gen, die eine Neu­ori­en­tie­rung erfor­dern, obwohl man sich nach Kon­ti­nui­tät sehnt.

Wie fällt der Blick in die Zukunft aus?

Scha­le: Moder­ni­täts­kri­tisch. Aus die­sem Grund taucht Max Hork­hei­mer, obwohl einer der Väter der Frank­fur­ter Schu­le, im Band auf. Auch er blickt reser­viert nach vorn. Die Welt liegt in Trüm­mern. Trotz ver­brei­te­ter Skep­sis ist der Gestal­tungs­wil­le beacht­lich, genau­so aber die Frus­tra­ti­on über die Mühen der Ebe­ne und dar­über, mit wem man nun in Deutsch­land teils zusam­men­ar­bei­ten muss.

Lie­bold: Zuver­sicht­lich ist der Staats­wis­sen­schaft­ler und Poli­to­lo­ge Arnold Berg­stra­es­ser – nach der Emi­gra­ti­on in Frei­burg tätig. Er sieht wie Hork­hei­mer den her­ge­brach­ten, an christ­li­che Ethik gekop­pel­ten Huma­ni­täts­be­griff in Gefahr. Krieg, Natio­nal­so­zia­lis­mus, die Moder­ne sind mit ihren Ent­gren­zun­gen und Brü­chen für ihn so ris­kant, dass sie die Zwi­schen­kriegs­zeit „spreng­ten“.

Berg­stra­es­ser, der 1932 noch dazu bei­trug, dass dem jüdi­schen Kol­le­gen Emil Juli­us Gum­bel in Hei­del­berg die Lehr­erlaub­nis ent­zo­gen wur­de, lässt es aber nicht dabei bewenden.

Lie­bold: Er fin­det zu einem bemer­kens­wer­ten Prag­ma­tis­mus und macht sich für Bil­dung, auch poli­ti­sche Bil­dung stark – sein unkon­ven­tio­nel­les, ziem­lich antie­li­tä­res Plä­doy­er: Brei­ten­wir­kung ist wich­ti­ger als „Spit­zen­er­geb­nis­se“ bei weni­gen. Es geht um Basis­ar­beit bei der vom Krieg ent­wur­zel­ten jun­gen Genera­ti­on. Man knüpft nicht von unge­fähr an die Wei­ma­rer Arbei­ter­volks­bil­dung an, die brei­ter auf­ge­stellt wird, da das Bür­ger­tum alles ande­re als immun war gegen den Nationalsozialismus.

Dar­in zeigt sich eine Abkehr vom auf den Eli­te­ge­dan­ken fixier­ten Neu­en Natio­na­lis­mus, wie er in den 1920er‑, 30er Jah­ren von Speng­ler, Moel­ler van den Bruck oder den Jün­ger-Brü­dern ver­tre­ten wurde.

Scha­le: So ist es viel­fach auch. Das Kämp­fe­ri­sche, Radi­ka­le, Eli­tä­re wird hin­ter­fragt, was nichts an der Über­zeu­gung ändert, dass nai­ver Fort­schritts­op­ti­mis­mus zwar als ver­füh­re­risch, aber wei­ter­hin gefähr­lich gilt.

Lie­bold: Die Wen­dung zum Kon­struk­ti­ven ist unüber­seh­bar. Die Ent­ste­hung der kon­fes­si­ons­über­grei­fen­den Uni­ons­par­tei­en legt dafür im Poli­tik­be­trieb Zeug­nis ab. Das Mot­to für Poli­tik und Gesell­schaft lau­tet Inte­gra­ti­on statt Zersplitterung.

Die­je­ni­gen, die die aus­ein­an­der­stre­ben­den gesell­schaft­li­chen Kräf­te zusam­men­hal­ten wol­len, haben sich dabei von denen abge­grenzt, die schon in Wei­mar auf eine „Klä­rung der Ver­hält­nis­se“ auch mit­hil­fe der Natio­nal­so­zia­lis­ten gesetzt hatten.

Scha­le: Trotz bestimm­ter Netz­wer­ke und beacht­li­cher Kar­rie­ren von Intel­lek­tu­el­len, die mehr als Mit­läu­fer waren, bleibt ihr Ein­fluss auf den poli­ti­schen Raum im Ver­gleich zu Wei­mar beschränkt. Das hat auch viel mit dem Par­tei­en­sys­tem der Bun­des­re­pu­blik zu tun. Wer bis 1945 eher „klei­ne­re Kom­pro­mis­se“ gemacht hat­te, leis­te­te danach mit­un­ter eine Art stra­te­gi­scher Buße, um aber­mals anschluss­fä­hig zu wer­den. Nicht jeder kommt mit die­ser Selbst-Ent­ideo­lo­gi­sie­rung an …

Lie­bold: … und nicht jeder hat sie nötig. Hans-Joa­chim von Mer­katz, Mon­ar­chist und spä­ter Bun­des­mi­nis­ter, und Hans Müh­len­feld, zwei in die Rol­le von Intel­lek­tu­el­len geschlüpf­te Poli­ti­ker der rechts der Uni­on ste­hen­den, am bri­ti­schen Kon­ser­va­tis­mus ori­en­tier­ten Deut­schen Par­tei tre­ten aber auch dafür ein, ideo­lo­gi­sche Vor­kriegs­kor­set­te abzu­schüt­teln. Die zwei­te deut­sche Demo­kra­tie will nicht an Wei­mar anschlie­ßen, auch mit Blick auf die poli­ti­sche Kul­tur. Bei­de erken­nen das.

Was spricht noch für einen Kurswechsel?

Lie­bold: Das Ein­tre­ten vie­ler für Men­schen­rech­te, Aus­bau des Sozi­al­staats, Begren­zung von Kar­tel­len oder Zurück­drän­gung der Poli­tik aus dem Alltag.

Scha­le: Kon­ser­va­ti­ve haben auch des­halb gute Chan­cen, die Gesell­schaft zu gestal­ten, da das, was sie als das radi­kal Moder­ne begrei­fen, der Natio­nal­so­zia­lis­mus, radi­kal geschei­tert ist. Inso­fern erweist sich selbst ein Mann wie Hork­hei­mer in spä­ten Jah­ren als „kon­ser­va­tiv“ – wenn auch nicht im (par­tei-) poli­ti­schen Sin­ne. Er macht die Fami­lie stark und Tra­di­tio­nen in einem durch­aus bür­ger­li­chen Sin­ne, was lin­ke Kri­ti­ker früh monie­ren. Sein wach­sen­des Unver­ständ­nis für die Stu­den­ten­pro­tes­te ist kein Zufall.

Wie lässt sich die Kurs­be­stim­mung cha­rak­te­ri­sie­ren: eher als Streit oder durch Geschlossenheit?

Scha­le: Trotz beacht­li­cher Sog­wir­kung der Uni­ons­par­tei­en wird spä­tes­tens Anfang der 60er deut­li­cher, dass sie eine bestimm­te Moder­ni­sie­rung der Gesell­schaft vor­an­trei­ben, an der sich nicht weni­ge Kon­ser­va­ti­ve sto­ßen. Wo es bis dahin eine gewis­se Geschlos­sen­heit gibt, ero­diert sie nun, auch wenn nicht jeder so weit geht wie Armin Moh­ler mit sei­nem Dik­tum vom „Gärt­ner­kon­ser­va­tis­mus“.

Lie­bold: In vie­len Berei­chen gibt es anfangs – Stich­wort Ordi­na­ri­en-Uni­ver­si­tät – noch Rück­zugs­räu­me. Zudem ste­hen oft zunächst exis­ten­zi­el­le Pro­ble­me im Vor­der­grund. Spä­ter aber sind Vor­stel­lun­gen von einem libe­ra­len, links­li­be­ra­len Staat und gesell­schaft­li­chen Ver­än­de­run­gen – auch im Aus­land – so weit gedie­hen, dass Kon­ser­va­ti­ve über Lager­gren­zen hin­weg unter Druck kom­men und Abgren­zung nottut.

Wel­che The­men wer­den verhandelt?

Scha­le: Zum Bei­spiel die West­bin­dung. Wider­spruch wie vom ehe­ma­li­gen Reichs­land­wirt­schafts­mi­nis­ter Andre­as Her­mes, der die CDU in Ber­lin mit­grün­det, ist gegen das Ade­nau­er-Lager nicht mehr­heits­fä­hig, das die West­bin­dung zur Vor­aus­set­zung für die Wie­der­ver­ei­ni­gung macht, wäh­rend Her­mes sie als Hin­der­nis sieht. So para­dox es anmu­tet: Die pro­non­ciert natio­na­le Posi­ti­on ist in den 50ern in der SPD stär­ker als in der Uni­on. Für Dis­kus­si­on sorgt zudem der Umgang mit dem Par­la­men­ta­ris­mus. Vor dem Krieg schlägt dem unter Kon­ser­va­ti­ven brei­te Ableh­nung ent­ge­gen. Die nach ’45 den Ton ange­ben­den Prag­ma­ti­ker sehen das nun anders.

Seit den 1960ern gera­ten kon­ser­va­ti­ve Posi­tio­nen dann nach und nach ins Hintertreffen …

Scha­le: …, da die Lage im Jah­re 1962 eine ande­re ist als noch 1955. Das zeigt sich auch beim poli­ti­schen Per­so­nal: Wäh­rend Kon­rad Ade­nau­er ein Greis gewor­den ist, tritt der gera­de­zu jugend­lich wir­ken­de Ame­ri­ka­ner John F. Ken­ne­dy für Ent­span­nung gegen­über dem Ost­block ein.

Lie­bold: Man­che Kon­ser­va­ti­ve gehen mit Ken­ne­dy, ande­re nicht. Berg­stra­es­ser hält auf dem Frei­bur­ger Müns­ter­platz nach des­sen Bun­des­re­pu­blik-Besuch eine Rede und wür­digt ihn als gro­ßen Staatsmann.

Scha­le: Berg­stra­es­sers Stu­di­en­freund Carl Joa­chim Fried­rich wie­der­um sieht im US-Prä­si­den­ten den, der welt­weit ein links­li­be­ra­les Leit­bild eta­bliert und klu­ges staat­li­ches Han­deln ver­hin­dert, da er zu viel unter neu­ar­ti­ge Vor­be­hal­te stellt, etwa die Menschenrechte.

Wel­che Rol­le spielt für die im Buch behan­del­ten Prot­ago­nis­ten das Christentum?

Lie­bold: Es ist kon­fes­si­ons­über­grei­fend für die meis­ten eine so selbst­ver­ständ­li­che Basis, dass sie nicht her­vor­ge­ho­ben wird; nicht weni­ge enga­gie­ren sich in der Abend­land-Bewe­gung. Der Pro­tes­tant von Mer­katz und der Katho­lik Her­mes sind zwei von weni­gen, die ihr reli­giö­ses Bekennt­nis herausstellen.

Scha­le: Dass die bei­den damit eher in der Min­der­heit sind, ist wohl kein Zufall. Man­ches im Unkla­ren zu las­sen, hilft Streit und Zer­split­te­rung zu ver­mei­den – und gilt als zeitgemäß.

Wie steht es mit dem Bekennt­nis zum Staat?

Scha­le: Mat­thi­as Wal­dens Selbst­be­zeich­nung als „staats­loy­al“ ist bekannt. Ein der­art dezi­dier­tes Auf­tre­ten wie das des aus Dres­den stam­men­den „Welt“-Journalisten geht dann in die Brü­che, wenn die domi­nie­ren­de Poli­tik als nicht mehr tra­di­ti­ons­wah­rend und ein­heits­stif­tend ange­se­hen wird. Das ist, unab­hän­gig vom Buch, ein aktu­el­les Phä­no­men. Es geht um die Fra­ge: Bin ich für „das“ – wie auch immer zu bestim­men­de – Kon­ser­va­ti­ve, oder bin ich für die­sen Staat? Moh­ler, an dem sich die intel­lek­tu­el­le Rech­te nach wie vor ori­en­tiert, nennt sich „Faschist“. Was sagt das über Moh­lers heu­ti­ge Adep­ten aus? Der Par­la­men­ta­ris­mus gilt damals wie heu­te in die­sen Krei­sen wenig; statt­des­sen hält man es mit kal­tem Zynis­mus Geh­len­scher Manier – nach den Erfah­run­gen von Welt­krieg und Shoa. In den 1950ern wäre das unter Kon­ser­va­ti­ven nicht mehr­heits­fä­hig gewesen.

Die Poli­to­lo­gen Sebas­ti­an Lie­bold und Frank Scha­le, Dres. phil., haben bis 2017 an der TU Chem­nitz in einem vom Säch­si­schen Staats­mi­nis­te­ri­um für Wis­sen­schaft und Kunst geför­der­ten Pro­jekt die Ideen­ge­schich­te der frü­hen Bun­des­re­pu­blik unter­sucht. Dabei ent­stand der Sam­mel­band: „Neu­grün­dung auf alten Wer­ten? Kon­ser­va­ti­ve Intel­lek­tu­el­le und Poli­tik in der Bun­des­re­pu­blik“. Nomos-Ver­lag, 256 Sei­ten, 49 Euro.

Was ist kon­ser­va­tiv, was rechts? Chem­nit­zer Poli­to­lo­gen im Gespräch: Teil I: 1 Star2 Stars3 Stars4 Stars5 Stars
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