Die Auswirkungen durch Coronavirus und Schutzmaßnahmen sind für Gläubige gravierend: keine Gottesdienste, Andachten, Kreise, Ausfahrten. Für Katholiken ist gar die Sonntagspflicht ausgesetzt. Geistliche Impulse kommen nun per E‑Mail, Whatsapp, Telefon.
FREIBERG/FLÖHA/PENIG. Die Pest hat Oberammergau einst nicht verschont. So gelobten die Bürger, regelmäßig dem Leiden und Sterben Jesu darstellerisch zu gedenken, sollte niemand mehr an der Seuche sterben. „Das Dorf wurde erhört“, heißt es auf der Internetseite der Passionsspiele. Seit 1634 finden sie statt. Nun aber wurde die diesjährige Auflage auf 2022 verschoben.
Bußsakrament und Krankenkommunion nur noch bei größter Umsicht
Wegen einer anderen Seuche, Corona, wenngleich 2020 die Umstände andere sind als im 17. Jahrhundert. „Die Lage ist in der Kirchengeschichte beispiellos“, sagt Roman Neumüll, einer von drei römisch-katholischen Priestern, die die beiden Pfarreien Freiberg und Flöha betreuen, zuständig auch etwa für Brand-Erbisdorf, Lichtenberg, Oederan, Eppendorf, Hainichen. Die jüngsten Anweisungen vom Bischof von Dresden-Meißen, auf die Neumüll verweist, sind gravierend. Alle Messen, Andachten, Kreise, Ausfahrten sind abgesagt, mit wenigen Ausnahmen. Das bedeutet die Aussetzung der „Sonntagspflicht“, die Katholiken nach wie vor sonn- wie feiertags auffordert, an einer Heiligen Messe teilzunehmen, wenn sie nicht krank sind oder etwa Kranke pflegen.
Selbst Bußsakrament und Krankenkommunion dürfen nur noch bei größter Umsicht für Schwerstkranke und Sterbende gespendet werden. Mit Blick auf die Vorbereitung auf Ostern, das Hauptfest des Christentums, fehle jede Parallele. Trotzdem hat er für die Vorgaben Verständnis, sagt Neumüll, wiewohl selbst Taufen und Trauungen zu verschieben seien und Beisetzungen nur im engsten Familienkreis möglich sind. Vom Friedhof in Freiberg wiederum – das gilt für jedermann – komme die Vorgabe, die Teilnehmerzahl auf 15 Personen zu begrenzen. Bischof Heinrich Timmerevers spricht von einem „bis vor wenigen Tagen unvorstellbaren Verzicht“. Vorerst bis 20. April gelten die Bestimmungen.
Ist das die Stunde der Hauskirche?
Was bleibt, um Kontakt zu Gläubigen und Neugierigen zu halten, seien Telefon, Internetseite, E‑Mail, Kirchenblatt. Die aus dem alten Judentum überlieferte Hauskirche, das Gebet im kleinen Kreis, erhalte neue, größere Bedeutung, hofft er. „Man betet und bangt, dass die Rechnung aufgeht“, so der mit seinen Mitbrüdern für 3000 Katholiken zuständige Pfarrer. Der Freiberger Ökumenische Arbeitskreis tage mittels Telefonkonferenz.
1500 evangelisch-lutherische Christen wiederum betreut Christian Bilz in der Kirchgemeinde Penig-Wolkenburg-Kaufungen. „Die neue Lage“, sagt der Bruder des neuen Landesbischofs, „trifft das Herz der kirchlichen Arbeit.“ Am 15. März habe man noch eine Andacht in der Peniger Kirche halten können. Entsprechendes und vieles weitere sei nun untersagt. Das Kirchenblatt für Ostern sei fertig gewesen und müsse neu erstellt werden. Die Bibelwoche fällt aus. Der Pfarrer verweist auf Aushänge, TV- und Radiogottesdienste, Angebote im Internet – im Wissen, dass das keinen adäquaten Ersatz leiste. Jenen – meist sind es junge Leute -, die sich auf die Konfirmation vorbereiten, leitet er geistliche Impulse via Whatsapp zu.
Wer betrübt sei oder überfordert, dem rät er anzurufen. „Die Kirchenglocken läuten aber weiter, sie geben dem Tag Struktur – und beten kann jeder zu Hause. Das Gesangbuch hat einen großen entsprechenden Abschnitt“, sagt der 56-Jährige. Ab der Sommerzeit soll es wieder die offene Kirche geben. Bilz sieht in der unvermittelt eingetretenen Situation durchaus Chancen, auch innezuhalten, Alltagsroutinen infrage zu stellen: „Wie wichtig ist das alles, was mich in Beschlag nimmt, im Hamsterrad hält. Was bleibt, wenn das wegfällt?“, fragt er. Wer oder was trage das eigene Leben?
Digitale Spaltung der Gesellschaft zeichnet auch Glaubensgemeinschaften
„Die Kirchen sind doch ein Ort der Zuflucht“, habe ihm jüngst jemand am Telefon zugerufen, den der mit dem Coronavirus verbundene Umbruch auch im religiösen Leben aufwühlt, berichtet Marcel Tappert. Der Pastor der evangelisch-methodistischen Kirche ist für Flöha, Augustusburg, Freiberg, Chemnitz-Hilbersdorf zuständig und kann den Einwand gut verstehen. „Noch am vorletzten Sonntag hatten wir in Flöha einen Gottesdienst“, sagt er. Nun hat der Superintendent der Freikirche angewiesen: bis auf weiteres keine Hauskreise, Gottesdienste usw.
Den für 210 Gläubige zuständigen Tappert treibt indes die digitale Spaltung der Gesellschaft um, die nicht nur das Miteinander in den Glaubensgemeinschaften betrifft. Bestimmte Leute erreiche er mit E‑Mail, Internetseite, auf der er seine Predigten hochladen will, oder sozialen Medien nicht. Und keiner wisse, wie lange die Dinge bleiben, wie sie sind, und welche Konsequenzen das mittelfristig hat. „Vielleicht kaufe ich Briefmarken, schreibe Karten, lade zu Spaziergängen ein“, sagt er. Alle Eindrücke seien noch frisch. Die neue Zeit braucht Zeit.