Runter vom Gas!

Sag mir, wo Du stehst - als Konservativer! Keine ganz einfache Aufgabe, wenn man es mit einem Begriff zu tun hat, der nicht auf eine unverfügbare Substanz bezogen ist, sondern in den Zeitläuften je verschieden in Relation zu den Umständen definiert wird. Cover: Verlag
Sag mir, wo Du stehst – als Kon­ser­va­ti­ver! Kei­ne ein­fa­che Auf­ga­be, wenn man es mit einem Begriff zu tun hat, der nicht auf eine unver­füg­ba­re Sub­stanz bezo­gen ist, son­dern sich über die Zei­ten wan­delt. Cover: Verlag

Kon­ser­va­ti­ve wol­len sich dem gesell­schaft­li­chen Wan­del nicht ver­wei­gern, ihn aber ver­lang­sa­men, steu­ern. Ein neu­er Sam­mel­band, her­aus­ge­ge­ben vom Dres­de­ner Reprä­sen­tan­ten der CDU-nahen Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung, Joa­chim Klo­se, und dem eins­ti­gen Bun­des­tags­prä­si­den­ten Nor­bert Lam­mert, gibt Auf­schluss dar­über, wie.

DRESDEN. Was ist kon­ser­va­tiv, wer, wozu? Wor­an lässt sich kon­ser­va­ti­ve Poli­tik able­sen? Seit selbst der einst dem Mao­is­mus nahe­ste­hen­de baden-würt­tem­ber­gi­sche Grü­nen-Minis­ter­prä­si­dent Win­fried Kret­sch­mann für „eine neue Idee des Kon­ser­va­ti­ven“ wirbt, ist Ver­wir­rung über die­se und ande­re Fra­gen nahe­lie­gend, wird das Dilem­ma der Kon­ser­va­ti­ven deut­lich, die, par­tei­po­li­tisch jahr­zehn­te­lang vor­ran­gig an die Uni­on gebun­den, zwi­schen AfD, Grü­nen und – wie Thü­rin­gen zeigt – manch­mal auch der Links­par­tei zer­rie­ben zu wer­den drohen.

Ein neu­er Sam­mel­band, her­aus­ge­ge­ben vom säch­si­schen Lan­des­be­auf­trag­ten der Ade­nau­er­stif­tung, Joa­chim Klo­se, sowie von Ex-Bun­des­tags­prä­si­dent Nor­bert Lam­mert, nimmt nun Anlauf, ver­lo­re­nes Ter­rain zurück­zu­er­obern. Klo­se und Lam­mert suchen nach einem moder­nen, gar pro­gres­si­ven Kon­ser­va­tis­mus. Das wirkt zunächst arg glatt, ver­deut­licht aber die Her­aus­for­de­rung, vor der Kon­ser­va­ti­ve ste­hen: dass das, wofür sie ein­tre­ten, ohne des­sen Ver­hält­nis zu Inno­va­ti­on nicht zu den­ken ist und sich bei­des in Abhän­gig­keit von­ein­an­der fort­wäh­rend verändert.

So ver­stan­den, sagt das Kon­ser­va­ti­ve eher etwas aus über die sich wei­ter­ent­wi­ckeln­de Ein­stel­lung zu gesell­schaft­li­chen, poli­ti­schen, öko­no­mi­schen, tech­ni­schen, kul­tu­rel­len Ver­än­de­run­gen – weni­ger über die eige­ne Posi­ti­on auf dem jewei­li­gen Feld. Das Kon­ser­va­ti­ve ist selbst Objekt von Ver­än­de­rung, will aber auch Sub­jekt sein, rea­lis­ti­scher­wei­se ein schwa­ches. Ziel ist es, Ver­än­de­run­gen „für alle“ erträg­lich zu machen, sie also vor allem zu ver­lang­sa­men – im Wis­sen dar­um, dass sich Wan­del nicht per se unter­bin­den lässt. Dar­in sieht Lam­mert einen Unter­schied zu Tra­di­tio­na­lis­ten und Reaktionären.

Kon­ser­va­tis­mus, schreibt er, sei dar­um „immer auch modern“ – andern­falls belang­los. Kri­ti­kern, die dar­in zu viel Zeit­geist-Oppor­tu­nis­mus aus­ma­chen, wird schwer wider­spre­chen kön­nen, wer eine so weit­ge­fass­te Deu­tung für das Tor zu Pro­fil­lo­sig­keit hält, deren Kon­se­quenz Belang­lo­sig­keit sein kann. Längst ist?

Wenn die Her­aus­ge­ber den Band also mit „Balan­ce­akt für die Zukunft“ beti­teln, zielt das auf den Kern der Pro­ble­me, mit denen sich Kon­ser­va­ti­ve aus­ein­an­der­zu­set­zen haben, wol­len sie rele­vant blei­ben und sich nicht vor­ran­gig von Wett­be­wer­bern zuschrei­ben las­sen, wer sie sind.

Hier bie­tet das Buch reich­lich Stoff, wenn auch für jene, die sich mit den Her­aus­for­de­run­gen schon län­ger befas­sen, man­ches bekannt ist. Das liegt auch an eini­gen in der Debat­te dau­er­prä­sen­ten Autoren: Wer­ner Pat­z­elt etwa, Micha­el Stür­mer, Jörg Babe­row­si. Hin­zu kom­men weni­ger bekann­te wie der Chem­nit­zer Sebas­ti­an Lie­bold, Hen­ry Krau­se aus Dres­den oder die Orban-nahen Zol­tán Balog und Zol­tán Sza­lai. Was aber ist mit den Frau­en? Gera­de zwei der mehr als zwei Dut­zend Tex­te stammt von weib­li­cher Hand. Haben sie nichts bei­zu­tra­gen, wur­den nicht gefragt?

Dabei ist die inhalt­li­che und poli­ti­sche Band­brei­te, ja Distanz nicht nur zwi­schen den Ungarn und Lam­mert gewal­tig, was das Buch lesens­wert und vor dem Hin­ter­grund der Angst vor einer „auto­ri­tä­ren Wen­de“ rele­vant macht, erst recht nach „Thü­rin­gen“.

Soll sich, wer unzu­frie­den ist, nun erst recht (par­tei-) poli­tisch enga­gie­ren oder „ins Pri­va­te“ zurück­zie­hen? Wer hier Klar­heit für sich schaf­fen will, fin­det Ant­wor­ten, etwa in Eck­hard Jes­ses Text über die Fra­ge „Braucht Deutsch­land eine bun­des­weit wähl­ba­re, kon­ser­va­ti­ve CSU?“. Denn gesell­schaft­li­che oder poli­ti­sche Ver­än­de­run­gen schei­nen sich zu beschleu­ni­gen. Der Band arbei­tet her­aus: Das ist nichts Neu­es und könn­te in der dau­er­ge­reiz­ten Grund­stim­mung hier­zu­lan­de zur Beru­hi­gung tau­gen. Statt­des­sen schei­nen Unsi­cher­heit, Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit und – durch­aus plau­si­bel begründ­bar – der Wunsch nach Gren­zen in vie­ler­lei Hin­sicht zuzu­neh­men. Mit dem Fest­hal­ten des Sta­tus quo ist es nicht getan, schreibt Hen­ry Krau­se. Das näm­lich woll­te auch Erich Honecker.

Joa­chim Klose/Norbert Lam­mert (Hrsg.): Balan­ce­akt für die Zukunft. Kon­ser­va­tis­mus als Hal­tung, Ver­lag Van­den­hoeck & Ruprecht, Göt­tin­gen 2019, 373 Sei­ten, 37,99 Euro.

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