In Aue aufgewachsen, gehört Sven Spielvogel zur CDU-Generation Ministerpräsident Michael Kretschmers. Doch politisch aktiv ist er nicht mehr. Stattdessen hat der Immobilienunternehmer im Herbst die Werft der ins Straucheln geratenen Raddampferflotte in Dresden gekauft. Dabei soll es nicht bleiben.
AUE/DRESDEN. Wäre Sven Spielvogel den Weg gleichaltriger Parteikollegen gegangen, säße er nun womöglich auch im Land- oder im Bundestag – so wie einige aus seiner Generation, die in den Biedenkopf-Jahren der sächsischen CDU beitraten und vorangekommen sind: Ministerpräsident Michael Kretschmer, Kultusminister Christian Piwarz, der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, oder die vogtländische Bundestagsabgeordnete Yvonne Magwas, um nur einige der bekanntesten zu nennen.
Spielvogel indes, aufgewachsen in Schneeberg und Aue, schon in den frühen 90er-Jahren in der Jungen Union aktiv, deren Bundesvorstand er 2002 bis 2008 angehörte, 1999 bis 2014 Stadtrat in Aue, bis 2009 Kreisrat und noch 2019 Aufsichtsrat der Auer Wohnungsbaugesellschaft, steht nun nicht im Landtag oder in einem Dresdner Ministerium und dennoch am Elbufer. Dass es einige Kilometer weiter südöstlich sind, auf dem weitläufigen, ab 1895 errichteten, denkmalgeschützten Werftgelände, auf dem die ins Straucheln geratene älteste Raddampferflotte der Welt ihre historischen Schiffe wartet, stört ihn nicht.
Sonnenschein, blauer Himmel, Dresden-Laubegast – erst wenige Tage her ist das. Die Dampfer „Krippen“ und „Pirna“ liegen an Land, „Kurort Rathen“ vertäut im Elbwasser. Sven Spielvogel strahlt. Für Politik, sagt der verheiratete Vater dreier Kinder, hat er keine Zeit mehr. Doch dem Aue-Bad Schlemaer CDU-Ortsverband gehört er weiter an. Nun wartet der Immobilienunternehmer nicht als Tourist auf eine technikhistorische Führung, sondern ist einer der Eigentümer des 3,3‑Hektar-Werftareals und erklärt selbst, wie es damit weitergehen soll. Erst im November 2019 hat er es mit einem Compagnon gekauft.
„Bis 2013 wurden hier Schiffe gebaut, Fähren für die Dresdner Verkehrsbetriebe, einst auch Raddampfer. Nun wird nur noch instand gesetzt“, sagt der 45-Jährige. Das Gros der Dampfer, deren Betreiber im Juni bei weiterlaufenden Fahrten Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung gestellt hat, geht alle zwei Jahre an Land, wird überholt, sagt Spielvogel.
„Ohne Werft in Laubegast keine Weiße Flotte“, ist sich der Unternehmer sicher, für den die schmucken, in Weiß und Grün getünchten alten Damen zu Dresden gehören „wie Eierschecke zum Repertoire sächsischer Backkunst“. Dabei wirkt die Werft auf den ersten Blick wie ein Relikt aus Urgroßvaters Zeiten: Hallen mit mattem Oberlicht, vernietete Stahlpfeiler, urtümliche neben modernen Maschinen, eine Schmiede mit offener Feuerstelle, auch wenn die längst kalt ist. Noch handschriftlich geführte, 110 Jahre alte Bücher über Pensionszahlungen längst vergessener Schiffsbesatzungen lagern in einer Vitrine, als seien sie Anschauungsobjekte zum Jahr der Industriekultur.
Kann man unter diesen Umständen Geld verdienen? „Mit heutigen Kostenstrukturen ist so eine alte Werft schwer zu vereinbaren“, bekennt Spielvogel und spricht von „einem Wirtschaftsbetrieb mit historischem Charakter“. Seit der Übernahme seien zwar die Einkünfte, die das Areal abwirft, um 30 Prozent gesteigert worden. Profitabel sei der Standort aber noch nicht. Vieles, was Platz beansprucht, diene einzig dazu, die Schiffe in Fahrt zu halten. Spielvogel vermietet dem kompliziert strukturierten Unternehmen mit knapp 500 Eigentümern, an dem der Freistaat über eine GmbH als haftender Gesellschafter beteiligt ist, Gebäude, Technik, Hilfsmittel. Da Investitionen nötig sind, soll die Werft mit eigener Tischlerei und Schlosserei Platz für weitere Mieter schaffen. Gespräche über Testanlagen für Forschungsinstitute der TU Dresden, die in den Mitteltrakt ziehen könnten, seien im Gange. Schon ansässig sind ein Yachtbetrieb, Tanzstudio, KfZ-Prüfstelle, Hausmeisterdienst, Kleingewerbe. Die Firmen hielten rund 45 Beschäftigte in Lohn und Brot. Privatleute können Boote und Wohnmobile abstellen.
Da geht noch was: Erst vor wenigen Tagen zitierte die Lokalpresse den Unternehmer mit der Idee, die durch jahrelanges Niedrigwasser, teure Umweltauflagen und Coronapandemie zu Kostensenkung gezwungene Dampfschifffahrt könnte mit weiteren Geschäftsbereichen nach Laubegast ziehen. Das mache über mehrere Etagen gemietete Räume unweit der Frauenkirche überflüssig, die üppig zu Buche schlagen sollen. Ob es so kommt, ist offen. Eine Entscheidung darüber hänge davon ab, wie es mit der Sächsischen Dampfschifffahrt (SDS) weitergeht, fügte Spielvogel hinzu.
Das Werftgelände mit Ausblick auf Pillnitz, Elbtal, Fernsehturm und Barockkirchlein geizt jedenfalls nicht mit Reizen. Die Slipanlage, über die Schiffe an Land gezogen und nach Reparatur wieder zu Wasser gelassen werden, beansprucht rund ein Drittel der Fläche. Hinzu kommen 5500 Quadratmeter bereits bebauten Grundes. „Jenseits des Ufers, das zum Hochwasserschutz freibleiben muss, bleibt Platz, den wir entwickeln wollen“, sagt er und will Tempo. „Wir planen einen Büroneubau; die Abstimmung mit der Genehmigungsbehörde läuft“, ergänzt der Diplom-Geograf, der nach dem Studium an der TU Dresden zunächst im Landesamt für Umwelt und Geologie arbeitete. Seit 2012 ist er einer der beiden Geschäftsführenden Gesellschafter der mittelständischen Immobilienfirma Richert & Co., die darauf spezialisiert ist, Altbauten zu revitalisieren.
„Die Unternehmensgruppe“, heißt es selbstbewusst auf der Internetseite, „befindet sich auf Expansionskurs.“ Rund 1200 Wohnungen mit Schwerpunkten in Dresden, Leipzig, Chemnitz gehörten zum Firmenbestand, ein Ärzte- und Geschäftshaus auf dem Gelände des einst über Sachsen hinaus renommierten Lahmann-Sanatoriums in Dresden-Weißer Hirsch, ein Gasthof. Nun die Werft. Wie passt die ins Portfolio? „Sehr gut“, findet Spielvogel, „sie diversifiziert es.“ Sie schnell zu verkaufen, sei nicht geplant. Seit Berlin an Bedeutung eingebüßt habe, seien die Spielräume in Dresden größer geworden. „Nach den Entscheidungen zur staatlichen Mietpreisfestsetzung“, erklärt der Unternehmer, „hat sich der Markt an der Spree selbst marginalisiert.“
Für die Weiße Flotte – neun bis 1929 gebaute Dampfer sowie zwei moderne Salonschiffe – will sich auch der sächsische Ministerpräsident starkmachen. Wie sein einstiger JU-Kollege schätzt er griffige Vergleiche: Die Flotte, sagte Michael Kretschmer kürzlich der Zeitschrift „Superillu“, sei Kulturgut „wie die Frauenkirche“. Der Freistaat habe „in den letzten Jahren mehrmals eingegriffen und das Unternehmen in Krisen unterstützt“. Auch diesmal solle geholfen werden.
Spielvogel, nach wie vor gut in der Partei vernetzt, hatte die Werft für einen mittleren einstelligen Millionen-Euro-Betrag gekauft; schon wirbt er für den Umzug von Flottenpersonal nach Laubegast. Ist das alles? „Über einen Anleger auf dem Gelände könnten bald Charterschiffe die Werft anlaufen. Dafür“, sagt er, „sprechen wir gerade mit dem Wasser- und Schifffahrtsamt.“
Und sonst? Die Nachfrage folgt Tage später. Der Verein „Weiße Flotte Dresden – Freunde der Sächsischen Dampfschiffahrt“ hat am Montag Zweifel an deren privatwirtschaftlichem Betrieb angemeldet. Die Insolvenz zeige, so der Zusammenschluss von Dampfschiff-Enthusiasten, dass private Eigentumsverhältnisse für das „fahrende Museum“ ungeeignet seien. Darum wollen die Mitglieder Geld für dessen Erwerb sammeln, hoffen auf Hilfe von Freistaat und Kommunen. Zur Übernahme sei ein mittlerer einstelliger Millionen-Euro-Betrag nötig, heißt es in einer Vereinsmitteilung.
Am Dienstag geht die Dresdener Stadtratsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen mit einem Eilantrag für die Ratssitzung am 16. Juli an die Öffentlichkeit. Dieser sieht vor, den Oberbürgermeister zu beauftragen, „schnellstmöglich mit dem Freistaat und den Regionen Sächsische Schweiz und Meißen eine Bietergemeinschaft zu gründen“, um sich „mit einem sogenannten nicht indikativen Gebot, also zunächst einer Interessenbekundung“ am Insolvenzverfahren der Dampfschifffahrt zu beteiligen, sagt Torsten Schulze, der wirtschaftspolitische Fraktionssprecher, auf Nachfrage. Die Initiatoren des Antrags haben nach Gesprächen mit der Geschäftsführung „die Idee entwickelt, eine Bietergemeinschaft zu gründen“. Ziel sei es, die historische Dampferflotte in öffentliche Hand zu überführen. Bei Einstieg eines Privatinvestors wird auch die Zerschlagung der Flotte befürchtet.
Unternehmer Spielvogel plädiert für den Bestand der Flotte und sagt Tage nach der Werft-Visite am Telefon: „Wir haben Interesse angemeldet, die SDS mit den Tochterunternehmen Elbezeit, einem Cateringdienst, und der Veranstaltungsfirma Crash-Ice zu übernehmen.“ Auch ein konkretes Kaufangebot sei mittlerweile vorgelegt worden. Nun stünden Gespräche mit Insolvenzverwalter, Freistaat und anderen an. Die SDS-Geschäftsführung bestätigt die Offerte nicht. Ein Sprecher verweist auf mehr als einen und weniger als zehn Übernahme-Interessenten. Zu Details äußere man sich nicht, auch um anderen „die Tür weiter offen zu lassen“. Nur soviel: Entscheidend für einen Verkauf seien die Kombination aus Konzept und Kaufpreis sowie der Wille, Flotte und Arbeitsplätze zu erhalten.