Kunststoff war schon abgeschrieben. Doch den Wert einer guten Hülle macht nicht nur das Coronavirus deutlich. Ein Freitaler Unternehmen will die Herstellung optimieren.
FREITAL. Seit Jahren drängen Kunden und Politik Konsumgüterindustrie und Einzelhandel zu Produkten, die bestenfalls ohne Verpackung auskommen – der Umwelt zuliebe. Wo dies nicht möglich ist, zum Beispiel aus hygienischen Gründen, sollen Materialien aus biologisch gut abbaubaren Rohstoffen bei der Konfektionierung helfen. Denn die Verpackungsfrage ist in Konsumgesellschaften eine entscheidende.
Geeignete Antworten dafür zu entwickeln, hängt auch von Heizsystemen ab, die energie- wie materialarm, zuverlässig und hygienisch Joghurt, Tabletten, Shampoos und vieles mehr verpacken helfen. Das Unternehmen Watttron, 2016 in Freital im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gegründet, hat ein Matrix-Heizsystem entwickelt, das den Verbrauch von Energie und Material gegenüber bisherigen Verfahren um rund 30 Prozent senkt. Die Technik, mit der Kunststoff bei der Umformung punktgenau erhitzt wird, ist in der Lage, neben bewährten, aber oft aus zahlreichen Rohstoffen bestehenden und darum schwer recycelbaren Verpackungen auch sogenannte Monomaterialien zu verarbeiten. Diese neuartigen Kunststoffe ohne oder mit nur wenigen Zusätzen lassen sich gut wiederverwerten. Einige sind auch biologisch besser abbaubar, müssen jedoch teils noch unter Beweis stellen, dass sie sich gleichermaßen eignen, Produkte sicher und haltbar zu verpacken.
Daran wollte Watttron früh gemeinsam mit markterfahrenen Verpackungsmaschinenherstellern arbeiten. Das schlug jedoch fehl. Der kaufmännische Geschäftsführer Marcus Stein holte sich einen Korb nach dem andern. „Die Chancen, die in unserer Technologie liegen“, sagt der 31-Jährige, „wurden nicht erkannt oder als Konkurrenz wahrgenommen. Man hat wohl gehofft, dass wir bald wieder weg vom Fenster sind.“ Mittlerweile stellen sie ihre Technik selbst her, suchten zudem Kontakt zu den Kunden ihrer ursprünglich ins Auge gefassten Partner, damit die ihre Verpackungsmaschinen mit der innovativen Freitaler Technik nachrüsten. Procter & Gamble in den USA oder der britische Reinigungsmittel- und Haushaltswarenhersteller Reckitt Benckiser zählen zu den Kunden.
„Dauerhaft derartige Weltkonzerne zu beliefern und Service zu gewährleisten erwies sich bei Wachstum aus eigener Kraft aber als eine Nummer zu groß“, bekennt Marcus Stein. „Wir brauchen finanziellen Spielraum für den globalen Markteinstieg und die Weiterentwicklung der Matrixtechnik zur Serienreife.“ Den verschaffen zwei deutsche und ein österreichischer Wagniskapitalgeber, darunter mit Skion ein Unternehmen der reichsten Frau Deutschlands, Susanne Klatten. Zusammen mit dem Technologiegründerfonds Sachsen werden insgesamt 3,4 Millionen Euro bereitgestellt. Das kommt der mittlerweile 30 Mitarbeiter zählenden Firma sehr zupass, die aus dem Institut für Naturstofftechnik der TU Dresden sowie einer Fraunhofer-Einrichtung hervorgegangen ist.
Marcus Stein, der Technische Geschäftsführer Sascha Bach (42), Produktionsleiter Ronald Claus von Nordheim (38) sowie die für das operative Geschäft verantwortliche Michaela Wachtel (36) wollen mit Watttron nun „Marktführer für eine Produktkategorie werden, die wir Intelligente Temperiersysteme nennen“, sagt Stein.
Erreicht werden soll das einerseits mit dem Matrix-Heizsystem. Es basiert auf einer dünnen Heizplatte aus Keramik. Im Siebdruckverfahren werden Heizkreise aufgetragen. Diese können fast beliebig angeordnet werden. Die haltbaren, schmalen Platten lassen sich schnell und – das ist das Besondere – punktgenau erhitzen. Integrierte Sensoren ermöglichen es, die Temperatur in Echtzeit zu steuern. „Wir montieren und programmieren die Systeme aus Komponenten, die wir einkaufen, und nehmen sie beim Kunden in Betrieb“, sagt Stein.
Neben der Matrixtechnik, die derzeit Langzeittests durchläuft, bauen die Freitaler auf ein Siegelheizsystem, mit dem sie diesen Schritt schon gemeistert haben. Damit können Kunststoffe nicht nur in Ringformen zu unterschiedlichen Durchmessern geschweißt werden, sondern auch mit unregelmäßigen Verpackungsgeometrien. Der steigenden Nachfrage für beide Systeme Rechnung tragend, ist der Standort im Gründerzentrum Freital gewachsen. Der Umsatz ist von 100.000 Euro (2016) auf eine Million Euro (2019) gestiegen. Für 2020 wird mit 1,5 Millionen Euro kalkuliert. In zwei Jahren sollen Gewinne erwirtschaftet werden.
Während derzeit jährlich rund 100 Heizsysteme die Produktion verlassen, sollen es in fünf Jahren zwanzigmal so viele sein – zunächst für Kunden in Europa und Amerika. Mit dem neueingeworbenen Geld sollen die Geschäftsbeziehungen auf dem amerikanischen Markt stabilisiert, die Erschließung Asiens soll begonnen werden. Neben dem Verpackungssektor seien die Temperiersysteme in der Chemischen Industrie und der Biotechnologie einsetzbar, in der 3D-Elektronik oder Medizintechnik.
Die Belegschaft soll deshalb bis 2024 auf mindestens 65 Mitarbeiter wachsen, vor allem mit Elektronikern, Technologen sowie Fachkräften für Qualitätsmanagement. Um einen über Europa hinaus belastbaren Vertrieb mit Service aufzubauen, soll mit Maschinenbauern und regionalen Wartungsfirmen kooperiert werden. Impulse erhofft sich die Firma auch von der für die Branche bedeutenden Messe Interpack in Düsseldorf, die wegen Corona auf 2021 verschoben wurde. Dort wollen die Verpackungsfachleute der Fachwelt vorführen, dass Watttron reif ist für den groß angelegten Markteintritt.